Selfapy-Gründerin Farina Schurzfeld:"Eine psychische Erkrankung wird nicht besser, je länger man wartet"

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Selfapy-Mitgründerin Farina Schurzfeld: "Wir wollen die klassische Therapie nicht abschaffen. Uns geht es darum, eine Lücke zu füllen und Soforthilfe zu geben." (Foto: OH)

Farina Schurzfeld will psychisch Kranken online helfen: Ihr Portal Selfapy bietet Kurse gegen Angstattacken und Bulimie. Aber das kann keine Therapie ersetzen.

Von Christoph Gurk

Schwer vorstellbar, dass irgendetwas im Leben Farina Schurzfeld aufhält. 31 Jahre alt ist sie jetzt, sie spricht ihre Sätze so schnell, wie ihre Karriere steil war. Nach dem Abi auf die Uni und dann weiter nach Australien. Mit 22 half sie dort, einen Ableger des Rabattportals Groupon aufzubauen, 90-Stunden-Wochen, ihre Freunde hätten gar nicht mehr gefragt, ob sie mit ausgehen wolle, sagt Schurzfeld: "Ich hatte ohnehin nie Zeit." Nach Australien ging es in die USA und dann weiter nach Berlin, wieder mitten rein in die Start-up-Szene, dann wurde 2015 bei Schurzfelds Mutter Krebs diagnostiziert. Krankenhaus statt Business-Meeting, Vollbremsung, alles stand still.

Drei Monate dauerte die Behandlung, im Anschluss suchte Schurzfeld einen Therapieplatz für ihre Mutter. Vergeblich. "Ich habe bestimmt bei 30 Praxen angerufen", sagt Schurzfeld. "Immer hieß es: Tut uns leid, alles voll." So geht das vielen Betroffenen. Wartezeiten von vier bis sechs Monaten sind keine Seltenheit. Schurzfeld begann nach Alternativen zu suchen. So stieß sie auf zwei junge Psychologinnen in Berlin, die an einem Therapieportal für Depressionen im Netz arbeiteten. "Ich war wie elektrisiert", sagt Schurzfeld. Genau so etwas hatte sie gesucht, für ihre Mutter, aber auch für sich selbst. Einen Job mit Sinn, bei einem Start-up, das sie mit aufbauen könnte.

Schurzfeld schrieb eine Mail, bald war sie Teil des Teams, und 2016 gründeten sie zu dritt Selfapy. Heute hat das Start-up 30 Mitarbeiter und bietet Kurse gegen Angstattacken, Bulimie, Schlafstörungen oder eben Depressionen. Drei Monate Onlinekurs kosten etwa 80 Euro, dafür darf man sich auf dem Portal dann durch eine Art Powerpointpräsentation klicken, sieht kurze Texte, bunte Bilder und ein paar Videos. Dazu gibt es Übungen, Fragebögen und Hausaufgaben. Wer möchte, kann auch ein wöchentliches Telefonat mit einem Psychologen dazubuchen. Der Kurs ist doppelt so teuer, dafür, sagt Selfapy, sei die Wirksamkeit dann aber klinisch bewiesen.

Millionen Depressive in Deutschland

Schurzfeld ist heute vor allem für das Marketing zuständig, doch das ist nicht immer einfach. Allein in Deutschland sollen mehr als vier Millionen Menschen an einer Depression leiden. Viele scheuen den Besuch bei einem Therapeuten, zu groß ist immer noch das Stigma einer psychischen Erkrankung. Onlinekurse könnten für solche Menschen eine Alternative sein - und für die Anbieter ein gutes Geschäft. Gewinn mache Selfapy noch nicht, dafür hat das Start-up im vergangenen Jahr eine siebenstellige Summe an Förderkapital eingesammelt.

Selfapy hat ein halbes Dutzend Konkurrenten, sie heißen Deprexis, Novego oder Moodgym. Ihre Angebote gleichen sich, und letztendlich wird sich der Kampf zwischen ihnen vermutlich daran entscheiden, wie viele Krankenkassen die Kursgebühren übernehmen. Für die Versicherer sind die Onlineportale eine Alternative zu klassischen und sehr teuren Therapien, sieben arbeiten darum schon zum Beispiel mit Selfapy zusammen. Andere Anbieter sind da zwar schon weiter, Schurzfeld glaubt dennoch an ihr Start-up. Selfapy sei besser designt, und gerade arbeite man an einem Algorithmus, der die Nutzer gezielter ansprechen soll.

Viele Experten betrachten die Portale im Netz dennoch mit Skepsis. Ein Onlinekurs könne nie eine echte Therapie ersetzen, sagen Kritiker, und im schlimmsten Fall Betroffene sogar davon abhalten, sich Hilfe im echten Leben zu holen. Schurzfeld kennt diese Vorwürfe: "Wir wollen die klassische Therapie nicht abschaffen. Uns geht es darum, eine Lücke zu füllen und Soforthilfe zu geben. Schließlich wird eine psychische Erkrankung nicht besser, je länger man wartet."

© SZ vom 21.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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