Science-Channels:Wissenschaft - ein Hit auf Youtube

Quantenphysik, Kernkraft, Flüchtlingskrise: Auf Youtube wagen sich die Macher von Bildungskanälen an schwierige Themen - und erreichen damit viele Millionen Zuschauer.

Von Kathrin Hollmer

Die Sache mit dem Namen ist kompliziert. Irgendwie heißt Philipp Dettmers Youtube-Kanal "In a Nutshell", irgendwie aber auch "Kurzgesagt", das ist die deutsche Übersetzung des Begriffs. "Ich bin auch nicht sicher, wie wir heißen", sagt er selbst. 2013 hat er den Youtube-Kanal gegründet. Dettmer, 30, Strick-Hoodie, dunkle Haare und viel Bart, setzt noch einmal an: "Die meisten sagen Kurzgesagt. Wir mögen den Namen In a Nutshell by Kurzgesagt."

Sehr kompliziert, aber eigentlich ist der Name auch nicht so wichtig. Kurzgesagt, um bei einem zu bleiben, hat sich zu einem der größten Bildungs-Kanäle der Welt entwickelt und ein Dutzend Preise gewonnen, darunter Gold beim renommierten Datenvisualisierungs-Award "Information is Beautiful". Mehr als 2,5 Millionen Abonnenten zählt er aktuell. Er gehörte im Mai erneut zu den am schnellsten wachsenden Kanälen und insgesamt zu den 20 größten in Deutschland.

Trifft man Dettmer in seinem Büroloft in der Münchner Innenstadt, wird schnell klar: So wie mit dem Namen ist vieles bei Kurzgesagt: etwas verplant, aber mit einer guten Geschichte. Während des Kommunikationsdesign-Studiums verbrachte Dettmer sechs bis acht Stunden täglich auf Youtube, vor allem auf Bildungs- und Wissenschaftskanälen wie Crash Course, Vsauce und CGP Grey. Als Bachelor-Arbeit produzierte er ein animiertes Video, das in zwölf Minuten die Evolution erklärt.

Englische Videos werden viel häufiger angeschaut als deutsche

Ihm liegt das Designen, er liebt es zu recherchieren und Geschichten aufzuschreiben. Im Studium lernte er Stephan Rether, 27, kennen, der sich auf Animation spezialisiert hat. "Dann waren wir halt eine Art Firma."

Ihr erstes gemeinsames Video - "Das Sonnensystem" - ging im Sommer 2013 online. Die ersten Youtube-Filme erschienen auf Deutsch und Englisch. Das zweite Video, über Fracking, ging viral, aber nur das englische. Nach drei Tagen hatte es eine Million Views, 500 Mal so viel wie das deutsche. Trotzdem bestehen beide Kanäle weiter, werden aber mit unterschiedlicher Intensität befüllt: Auf dem deutschen wurde zuletzt vor einem Jahr ein Video veröffentlicht, auf dem internationalen erscheinen ein oder zwei Neue pro Monat.

Der Chef Philipp Dettmer mag keinen Personenkult

Nach dem Fracking-Video bekam Dettmer die ersten Aufträge von Firmen. "Und es wurden einfach immer mehr", sagt er. Seit 2015 gehört Kurzgesagt zu den wichtigsten Wissenskanälen auf Youtube, beschäftigt acht festangestellte und sieben freie Mitarbeiter, darunter Designer und Animatoren, und verdient Geld mit Werbung und Aufträgen aus der ganzen Welt, von Organisationen wie der Bill & Melinda Gates Foundation, von Technologie-, Medizin- und Finanzunternehmen.

Die Karriere von Kurzgesagt ist kein Einzelfall, Wissenskanäle boomen. Minutephysics, CGP Grey und Crash Course haben Millionen Abonnenten und Hunderte Millionen Gesamtaufrufe, Vsauce sogar mehr als eine Milliarde. Ihre Videos beantworten gleichzeitig gründlich und charmant-ironisch Fragen wie: "Was sind Moleküle" oder "Was ist Kapitalismus?"

Youtube setzt fort, was ProSieben schon versucht hat

"Das Angebot an Wissensvideos im Internet wird immer größer und differenziert sich immer mehr aus", sagt die Medienwissenschaftlerin Joan Bleicher von der Uni Hamburg. Die einzelnen Videos könnten als Beiträge in einer Folge Sendung mit der Maus für Erwachsene laufen. "Das hat schon ProSieben mit Galileo versucht", sagt Bleicher. "Da setzt Youtube einen Trend fort, den das Fernsehen begonnen hat."

Seit etwa fünf Jahren wird die Qualität von Wissensvideos auf Youtube besser. Wissenschaft ist dort so etwas wie Popkultur geworden. Online-Vorlesungen, sogenannte MOOCs, werden unterhaltsam inszeniert und millionenfach angeklickt, ebenso wie TED-Talk-Vorträge, Ratgeber-Vorlesungen ("Wie werde ich glücklich?"), aber auch wissenschaftliche Referate über das menschliche Gehirn.

Das Erfolgsgeheimnis auf Youtube ist in der Regel der Star - Kurzgesagt aber hat Erfolg, obwohl es auf alles Persönliche verzichtet. Nicht einmal ihre Gesichter wollen Dettmer und seine Mitarbeiter in einer Zeitung sehen: "Das Internet neigt zum Personenkult", sagt Dettmer, "und das wollen wir nicht."

Große Fragen nach dem Wesen der Zeit und des Lebens

In den Videos tauchen stattdessen immer wieder Vögel als Protagonisten auf. Wenn es um etwa Schwarze Löcher geht, stürzt ein hellblauer Vogel in ein solches und sieht den Rest des Universums im Zeitraffer vorbeiziehen. "Schwarze Löcher gehören zu den komischsten Dingen in dieser Welt", sagt der Sprecher aus dem Off. "Wo kommen sie her? Und was passiert, wenn man in eines hineinfällt?"

In wenigen Minuten erklären die Macher von Kurzgesagt politische Zusammenhänge wie die Flüchtlings- oder Irak-Krise, aktuelle Themen wie Fracking und Ebola, Grundsätzliches wie Quantencomputer oder das Immunsystem. Sie stellen große Fragen nach dem Wesen der Zeit und des Lebens und beantworten diese unter wissenschaftlichen, wirtschaftlichen oder philosophischen Aspekten.

Videos pro und kontra Nuklearenergie

Auch durch ihre Optik werden die Videos einprägsam. Kurzgesagt hat einen eigenen Stil, eine einfache, geometrische, bunte Bildsprache. Wie in einem Animationsfilm freut man sich über immer wieder neue Details, etwa das Immunsystem, dargestellt als Figuren mit Reißzähnen und bewaffnet mit Schild und Speer. "Die Leute denken immer wieder, dass wir den Stil, Flat Design, erfunden haben", sagt Dettmer. "In Wahrheit kann ich einfach nicht dreidimensional designen."

Kurzgesagt erklärt die Dinge mal neutral, mal meinungsstark. Im Ebola-Video rechnet Dettmer Malaria- und Grippe-Todesopfer den Ebola-Opfern gegen, um die Panikmache zu relativieren. Im Flüchtlings-Video widerlegt er Argumente von Rechtspopulisten, die behaupten, Europa werde zu einem islamischen Kontinent. In eine politische Richtung lässt sich der Kanal nicht drängen. Es gibt sowohl ein Video mit dem Titel "3 Reasons Why Nuclear Energy Is Terrible!" als auch "3 Reasons Why Nuclear Energy Is Awesome!" Das bisher erfolgreichste Video war das meinungsstärkste von Kurzgesagt: ein Flüchtlingsvideo mit fast neun Millionen Aufrufen.

Philipp Dettmer fuchst sich in die Themen hinein, spricht mit Physikern, Biologen, Informatikern. Seine Videos werden an Unis und Schulen gezeigt. "Manche schreiben, dass wir sie neugierig gemacht haben und sie jetzt das Fach studieren", sagt er. "Das ist das coolste Feedback." Er ergänzt aber gleich, dass die Videos nicht das Lernen ersetzen. Er fände es "ziemlich gruselig", wenn Leute sich nur anhand seiner Videos über ein Thema informieren würden. Dettmer sagt: "Idealerweise lesen die Leute danach auf Wikipedia weiter."

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