Republica 2019:Wer die Macht hat, hat die Möglichkeiten

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Schriftzug der Berliner Digitalkonferenz auf einer Glasscheibe: Die Teilnehmer diskutierten die großen Fragen, konkrete Antworten fanden sie wenige. (Foto: dpa)

In Zeiten von Klimawandel und Spätkapitalismus arbeitet sich die Digitalmesse Republica an der großen Frage ab: Wie sollen wir all die Probleme lösen?

Von Johannes Kuhn, Berlin

Auf der Republica mögen Ideen beschworen, Zukünfte entworfen und netzpolitische Entwicklungen gegeißelt werden; erhobene Zeigefinger und geballte Fäuste bleiben dabei allerdings meist in der Hosen- oder Rucksacktasche. Der Stil zwischen Wohnzimmer-Diskussionsrunde und Proseminar gehört zum Charme der Berliner Digitalkonferenz. Doch mag die Form weiterhin entspannt sein, die Lage ist es nicht.

Wenn Tausende relativ junger Menschen zusammenkommen, um die Welt von morgen zu diskutieren, steht dahinter natürlich die Frage: Wird diese Welt angesichts des ungeregelten und zunehmend digitalisierten Kapitalismus lebenswert sein? Oder, angesichts des fortschreitenden ökologischen Verfalls, für die Vielzahl von Menschen überhaupt bewohnbar?

Als "Realitätsschock" bezeichnete der Autor Sascha Lobo die Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit, die unsere Zukunft so unbeherrschbar erscheinen lassen. Der Soziologe Harald Welzer bediente sich auf der Republica des Digitalgeschäft-Jargons: "Die wirkliche Disruption ist, wenn 65 Prozent aller Insekten sterben. Es ist keine Disruption, wenn mein Kühlschrank für mich Milch bestellt."

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Für solche Äußerungen gab es nicht nur Applaus vom Publikum. Vielmehr signalisieren sie, dass auf der Republica die Kernthemen des progressiven Lagers inzwischen verschmelzen. Ob Digitalpolitik, Zukunft der Arbeit und Spätkapitalismus, Klimaschutz oder Strategien gegen wachsende Feindseligkeit - all das ist kaum voneinander zu trennen. Und dadurch drängte dieses Jahr eine Frage in den Vordergrund: Wer hat eigentlich die Macht - und damit auch die Macht, etwas zu verändern?

Unternehmen könnten gesellschaftliche Kosten einpreisen

Die Antwort darauf ist komplex. "Der Algorithmus ist mein Boss", beschrieb zum Beispiel Sarah Jochmann ihre Erfahrungen als Deliveroo-Fahrradkurierin, einer Berufsgruppe, deren Arbeitsbedingungen sie nun mit Hilfe einer Gewerkschaft verbessern will. Software als zwischengestaltete, anonyme Vorgesetzten-Instanz könnte in manchen Branchen zum Arbeitsalltag werden. Zuletzt wurde bekannt, dass Amazon die Produktivität Lager-Mitarbeiter automatisiert prüfen lässt und so auch Entlassungen veranlasst.

Doch wie Matthias Kettemann vom Hans-Bredow-Institut an anderer Stelle anmerkte: "Natürlich sind Algorithmen mächtige Steuerelemente, aber sie wurden von Menschen im Auftrag anderer Menschen entwickelt." Aus dieser Perspektive ist der Entwickler ebenfalls ein Rädchen im System, nur eben an anderer Stelle als ein Fahrrad-Kurier.

Nicht mehr als ein Rädchen zu sein, das sich immer weiter drehen muss: Das würden auch die Entscheider für sich in Anspruch nehmen, die in der Regel der Steigerung des Firmenwerts verpflichtet sind. Johannes Merck, beim Versandhändler Otto für die unternehmerische Verantwortung zuständig, gab zu: Sicher könne man die unsichtbaren gesellschaftlichen Kosten seiner Firma ins Produkt einpreisen lassen. Dann wäre zum Beispiel der CO₂-Ausstoß oder die Material-Entsorgung nicht mehr etwas, wofür einzig die Allgemeinheit später in Form ökologischer Probleme bezahlt. Nur wäre dann seine Firma eben bald pleite.

Menschenrecht ist nicht überall gleich Menschenrecht

Systemische Lösungen sind also nicht einfach in einer Welt, die durch ihre Vernetzung ständig komplexe Wechselwirkungen produziert. Das zeigt sich auch bei digitalen Regulierungsversuchen. Kartellamtschef Andreas Mundt dachte auf der Republica laut darüber nach, in ferner Zukunft vielleicht kleineren Firmen Zugang zu den Daten von Facebook und Co. zu geben. Um dann daran erinnert zu werden, dass das im EU-Datenschutzrecht problematisch wäre.

Und während die Schiedsstelle des umstrittenen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes nur einen Bruchteil der erwarteten Beschwerden abzuarbeiten hat, nutzte die russische Regierung den deutschen Vorstoß als exzellente Vorlage, ungeliebte Äußerungen im Netz zu zensieren.

Deshalb lobte Bredow-Jurist Matthias Kettemann zwar, dass Recht und Gerichte ein "Machtkorrektiv" in digitalen Belangen werden. Zugleich musste er einräumen, dass die örtlichen gesellschaftlichen Bedingungen eben doch eine gewaltige Rolle spielen. Menschenrecht ist eben nicht überall gleich Menschenrecht. Es ist in vielen Ländern politisch nicht einmal ein sonderlich wichtiges Konzept.

Radikalere Idee von Innovation

Aus dieser Gemengelage ergaben sich auf der Republica mehr Fragen als Antworten. Viele Redner forderten einfach mehr von dem, was sie ohnehin schon tun: Regulierer schlauere Regulierung, Forscher bessere Forschung, Politiker mehr politische Zusammenarbeit, Aktivisten lautstärkeren Aktivismus.

Doch Ratlosigkeit muss nicht unbedingt Stillstand bedeuten. Lobo präsentierte seinen "Realitätsschock" auch vage als Chance, neue Lösungen zu sehen. Selbst der dem Pessimismus zuneigende Evgeny Morozov hielt eine "radikalere Idee von Innovation" notwendig, die Solidarität in den Vordergrund stellt. Was vom Techoptimismus der frühen Republica-Jahre geblieben zu sein scheint, ist eine Ablehnung des TINA-Prinzips ("There is no Alternative", es gibt keine Alternative).

Diese Alternative ist freilich bislang nur schemenhaft zu erkennen. Es scheint ein Zeichen der Zeit, dass ihre auffälligste Eigenschaft ist, immer weniger Ähnlichkeit mit unserem profitorientierten Wachstumssystem zu haben.

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