Online-Bürospiele:Chinas Farmville

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Online-Bauernhofspiele liegen im Trend: In China pflegen 16 Millionen Menschen ihren virtuellen Gemüsegarten. Die Staatsmacht wird langsam misstrauisch.

Henrik Bork, Peking

"Ni Hao" ist völlig out. Eine neue Begrüßung ist dafür jetzt in China populär: "Heute schon Gemüse geklaut?" Der Grund dafür ist ein beliebtes Online-Spiel namens "Heiterer Bauernhof" (kaixin nongchang). Auf dem Computerbildschirm kann da Gemüse gezüchtet werden.

Chinesisches Online-Spiel: Im Morgengrauen kommen die Gemüsediebe (Foto: Screenshot: kaixin nong chang)

16 Millionen Büromenschen hat das Spiel innerhalb kürzester Zeit in virtuelle Gemüsebauern verwandelt. Sie können dabei nicht nur selber ackern, düngen, jäten und ernten, sondern auch die Möhren oder Tomaten ihrer Freunde klauen, was offenbar noch viel mehr Spaß macht.

Das über chinesische Online-Plattformen wie "QQ" und über Facebook zugängliche Spiel macht süchtig. Viele Chinesen kommen morgens früher ins Büro und schalten schnell ihre Computer ein. Am frühen Morgen wird besonders viel Gemüse geklaut. Das gilt es zu verhindern. In der U-Bahn in Peking oder Shanghai ist das Spiel Gesprächsthema Nummer eins.

In der Küstenstadt Wenzhou soll eine Beamtin gefeuert worden sein, weil sie nur noch auf ihrem Internet-Bauernhof herumharkte. Und in Nanping in der Provinz Guangzhou soll sich ein Ehepaar getrennt haben, weil er auf Dienstreise musste, und sie nicht gut genug auf das Online-Gemüse aufgepasst hatte. Manche Büromenschen vertrödeln täglich fünf Stunden oder mehr auf ihrem digitalen Acker.

Der 25-jährige Xu Cheng aus Shanghai und zwei Studienfreunde haben das Spiel erfunden. Vor drei Jahren hatten sie mit einem Start-up-Darlehen ihrer Universität in Höhe von umgerechnet 15.000 Euro eine eigene Internetfirma gegründet. Sie mieteten sich ein zehn Quadratmeter großes Büro und standen irgendwann kurz vor der Pleite.

Auch Taiwans Staatsdiener spielen

Mit dem Bauernhof gelang dann aber der große Durchbruch. Seit Anfang dieses Jahres schreibt die Firma "Fünf Minuten" schwarze Zahlen. Mehr als 300.000 Euro monatlich könnte sie inzwischen durch Werbung und den Verkauf virtueller Werkzeuge und Düngemittel einnehmen, schätzen Branchenkenner. Inzwischen sollen Risikokapitalgeber eine mehrstellige Millionensumme US-Dollar in die Firma gepumpt haben.

Nicht nur in der Volksrepublik, auch in Taiwan ist das Spiel erfolgreich. So erfolgreich sogar, dass es inzwischen schon den Ministerpräsidenten beschäftigt. "Manchmal spielen unsere Staatsdiener das Spiel während ihrer freien Minuten am Arbeitsplatz", musste Premier Wu Den-yih kürzlich auf einer Pressekonferenz zugeben. "Mit einem Verbot könnten wir das nicht verhindern", sagte er und ermahnte seine Beamten, wieder "mehr Mühe auf ihre offiziellen Pflichten" zu verwenden. Die Stadt Kaohsiung im Süden Taiwans hat das Spiel durch ihre Firewall blockieren lassen, damit ihre Beamten nicht mehr Tomaten klauen.

Auf dem Festland, in der kommunistisch regierten Volksrepublik, sind schon die ersten sauertöpfischen Kommentare in den staatlichen Medien erschienen. "Online Gemüse klauen ist ein schädliches Spiel, das moralische Werte unterminiert" titelte die Zeitung Shanghai Daily. Die Websurfer aber lieben das Spiel vor allem deshalb, weil es so kommunikativ ist. "Wer seinen Freunden Gemüse klaut, beim Unkrautjäten oder der Schädlingsbekämpfung hilft, sagt ihnen auf diese Weise hallo", schreibt der 23-jährige Wen Tianxue aus Guangzhou in einem Kommentar.

© SZ vom 17.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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