Netzneutralität:EU-Ausschuss akzeptiert Zwei-Klassen-Internet

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Die umstrittene EU-Verordnung zur Netzneutralität hat eine wichtige Hürde genommen. Der federführende Industrieausschuss empfiehlt, dass Internetprovider Spezialdienste einführen dürfen. Kommt jetzt das Zwei-Klassen-Netz?

Von Friedhelm Greis, golem.de

Die Befürworter einer strikten Netzneutralität haben im EU-Parlament eine Niederlage erlitten. Der federführende Industrieausschuss ITRE stimmte am Dienstag in Brüssel für den Entwurf einer Verordnung zum digitalen Binnenmarkt, der ausdrücklich die Einrichtung von "Spezialdiensten" wie Fernsehübertragungen, Videokonferenzen und Gesundheitsdiensten in einer "verbesserten Qualität" vorsieht. Der entsprechende Kompromissvorschlag der konservativen Berichterstatterin Pilar del Castillo erhielt 33 Ja-Stimmen und 23 Nein-Stimmen. Während Konservative und Liberale den Vorschlag unterstützten, votierten Sozialdemokraten, Linke und Grüne dagegen. Die Bundesregierung kündigte an, die Formulierungen konkretisieren zu wollen.

Der Kompromiss von del Castillo verändert den Entwurf der EU-Kommission zum digitalen Binnenmarkt in Sachen Netzneutralität nur geringfügig. Demnach sollen Spezialdienste über "eigene Kapazitäten" und "strikte Zugangskontrolle" verfügen. Gestrichen werden umstrittene Formulierungen in Artikel 23, wonach Provider und Inhalteanbieter untereinander Vereinbarungen zur Übertragung von Datenvolumina oder Spezialdiensten für die Endkunden schließen dürfen. Nun dürfen sowohl Zugangsprovider als auch Diensteanbieter mit den Nutzern Spezialdienste vereinbaren, die allerdings nur bei ausreichender Netzwerkkapazität und ohne Beeinträchtigung des Internetzugangs angeboten werden dürfen. Netzblockaden sollen in Zukunft nur noch durch richterlichen Beschluss und nicht mehr durch Rechtsvorschriften oder zur Verhinderung von schweren Straftaten möglich sein.

Die Grünen kritisierten den Ausgang der Abstimmung scharf. "Das offene Internet hat heute einen schweren Rückschlag erlitten", sagte der industriepolitische Sprecher der Grünen im EU-Parlament, Reinhard Bütikofer. "Diese Entscheidung wird dazu führen, dass große Konzerne deutlich bessere Chancen haben als kleine und mittelständische Anbieter, sich eine Überholspur im Internet zu kaufen und sich mit ihren Onlineangeboten auf dem Markt durchzusetzen." Der Netzpolitik-Experte der Grünen, Jan Philipp Albrecht, befürchtet, dass "Netzsperren und eine Überwachung des gesamten Datenverkehrs damit legitimiert" werden. Die "falsche Richtungsentscheidung" müsse in der Plenarabstimmung Anfang April korrigiert werden, forderte Albrecht. Die "Digitale Gesellschaft" befürchtet, dass die Einführung von Spezialdiensten zu einem "Tarifdschungel" führt und die Verbraucher sich "einer Vielzahl unterschiedlicher Zugangsangebote und Zusatzpakete konfrontiert sehen".

Bundesregierung will konkretere Formulierungen

Wenn das Plenum des EU-Parlaments über den Entwurf abgestimmt hat, können anschließend die sogenannten Trilog-Verhandlungen zwischen Mitgliedstaaten, Kommission und Parlament über den Entwurf beginnen. Die Bundesregierung will in den Verhandlungen versuchen, den Kommissionsvorschlag zu konkretisieren. "Um den Erfordernissen des offenen Internets und dem 'best effort'-Prinzip besser Rechnung zu tragen, gehört hierzu insbesondere die begriffliche und inhaltliche Konkretisierung von 'Internetzugangsdiensten' und 'Spezialdiensten'", teilte das Wirtschaftsministerium auf Anfrage von Golem.de mit. Die Bundesregierung werde in den Verhandlungen zum Verordnungsentwurf darauf achten, dass die Vorschläge der EU-Kommission auch mit den Interessen der europäischen Verbraucher in Einklang gebracht werden.

Im Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD dem Erhalt des "offenen und freien Internets" verpflichtet: "Die Gewährleistung von Netzneutralität wird daher als eines der Regulierungsziele im Telekommunikationsgesetz verbindlich verankert und die Koalition wird sich auch auf europäischer Ebene für die gesetzliche Verankerung von Netzneutralität einsetzen", heißt es darin.

Roaminggebühren sollen bis Ende 2015 fallen

Die EU-Kommission hatte den Entwurf der Verordnung im vergangenen September vorgestellt. Er sieht neben den Passagen zur Internetregulierung auch die Abschaffung von Roaminggebühren vor. Unternehmen haben demnach die Wahl, entweder unionsweit geltende Telefontarife mit einem Roaming zu Inlandspreisen anzubieten, deren Preise durch den inländischen Wettbewerb bestimmt werden, oder ihren Kunden zu erlauben, sich für einen anderen Roaminganbieter zu entscheiden, ohne eine neue SIM-Karte kaufen zu müssen.

Mit dem Vorhaben hätten die Unternehmen auch keine Möglichkeit mehr, für einen Festnetzanruf innerhalb der EU mehr zu verlangen als für ein Inlandsferngespräch. Mobilfunkanrufe innerhalb der EU dürften nicht mehr als 19 Cent pro Minute plus Mehrwertsteuer kosten. Das Verbot für die Roaminggebühren könnte im Dezember 2015 kommen, berichtete der britische Guardian . Es gebe jedoch Befürchtungen, wonach die Inlandstarife steigen könnten, um die ausgefallenen Einnahmen der Mobilfunkbetreiber zu kompensieren.

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