Software:Verschwende deinen Speicherplatz

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Immer mehr Code bedeutet noch lange nicht immer mehr Eiffizienz. (Foto: iStockphoto.com)

Die Hardware wird schneller, die Software langsamer: Ein Betriebssystem umfasste einst 30 Megabyte, heute sind es zwölf Gigabyte - ohne wirklich mehr zu bieten.

Von Michael Moorstedt

In der vergangenen Woche ist Paul Virilio gestorben. Mit ihm ist ein wichtiger Zitatgeber verstummt. Begriffe wie "Maschinenzeit" und "Chrono-Diversität" wirkten wie Zauberwörter, die Ausfransungen der Gegenwart erträglicher machten. Virilio war aber auch einer der ganz wenigen poststrukturalistischen Denker, dessen Theorien sich handfest nachweisen lassen. Denn nichts bringt sein Bonmot vom "rasenden Stillstand" wohl besser zum Ausdruck als der Computer.

Virilio meinte eher den Menschen, der durch die Teletechnologien erstarre. Der Horizont verschwinde, Projektion verkomme zur Introjektion. Dabei sind es auch und vor allem die Geräte, jene "elektronischen Motoren", die sich im Leerlauf befinden. Analog zum Moore'schen Gesetz, das besagt, dass sich die Leistungsfähigkeit von Computerchips etwa alle zwei Jahre verdoppelt, gibt es ein anderes Axiom, das wahlweise Bill Gates oder Google-Gründer Larry Page zugeschrieben wird. Demnach werde neu programmierte Software in derselben Zeit immer langsamer, in der die Hardware schneller wird.

Der russische Programmierer Nikita Prokopov hat dieses Problem vergangene Woche in einer Textform angesprochen, die man im Netz "Rant" nennt, eine Mischung aus Manifest, Brandrede und Hilferuf. Auf seinem Blog attestiert er sich eine Art "Software Disenchantment", eine Entzauberung von Apps und Programmen, die ihren Nutzern zwar Beschleunigung versprechen, doch in einem, wie Virilio es ausdrückte, "Pool des Stillstands" gefangen bleiben. Wenn Computer Tausende Male leistungsfähiger sind als vor 30 Jahren, so fragt Prokopov, warum bekommt man von diesem unglaublichen Schub dann so gut wie nichts mit?

Ein Hauptgrund ist der "Software Bloat". Software dehne sich aus, um Speicher zu füllen. "Warum", so fragten sich viele Programmierer, "soll ich effiziente Software programmieren? Computer sind doch schnell genug", fasst Prokopov die Haltung dahinter zusammen. Ein Betriebssystem umfasste vor 20 Jahren gerade mal 30 Megabyte, heute sind es um die zwölf Gigabyte. Sein Funktionsumfang ist dabei jedoch mehr oder weniger der gleiche geblieben.

Der Code ist voller Fehler und Redundanzen

Das liegt zunächst ganz banal an Schludrigkeit. Als Speicherplatz noch knapp war, sahen sich die Programmierer gezwungen, ihren Code so minimalistisch wie möglich zu schreiben. Heute ist Speicher üppig - und wird verschwendet. Ein weiteres Problem ist, dass die Systeme, die in der Gegenwart den Takt antreiben sollen, nicht modern sind, sondern geradezu archaisch. Seit Jahrzehnten ist kein echtes, neues Betriebssystem entwickelt worden. Die alten sind nur immer weiter gewachsen. Und so sind die Abermillionen Zeilen von Programmcode, die sich über die Jahre angehäuft haben, durchsetzt von Flüchtigkeitsfehlern, Redundanzen und Atavismen.

Ein kompletter Neuanfang wäre also bitter nötig, ist aber in Zeiten immer schneller werdender Produktzyklen und Veröffentlichungstermine kaum noch vorstellbar. Hin und wieder stürzen darum selbst die allerneuesten Programme ab, und keiner vermag zu sagen, warum gerade passiert, was passiert.

Prokopov scheint einen Punkt getroffen zu haben, jedenfalls wird sein Aufsatz hunderttausende Male geteilt, retweetet und übersetzt. Während der Programmierer nahezu deprimiert eine Ausweglosigkeit der Lage beschreibt, beklagt sich der Endnutzer vor allem darüber, dass sein Smartphone mit einer neuen Software-Version mal wieder langsamer geworden ist. Das Upgrade wird so eigentlich zum Downgrade. Oder wie es Virilio einmal ausgedrückt hat: "Die Erfindung des Schiffs war gleichzeitig die Erfindung des Schiffswracks."

© SZ vom 24.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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