Mitgründer Jack Dorsey zur Firmenstrategie:Twitter ohne twittern

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Twitter-Mitgründer Jack Dorsey kündigt nicht nur an, dass sein Unternehmen bald ein Deutschlandbüro eröffnen wird, sondern deutet auch einen Strategiewechsel an: Twitter soll mehr Informationswerkzeug, weniger soziales Netzwerk sein. Das ist vor allem dem Mitgliederverhalten geschuldet.

Johannes Kuhn

Jack Dorsey ist das erste Mal in Deutschland, doch klassische Sehenswürdigkeiten bekommt der Twitter-Mitgründer nicht zu Gesicht. "Ich sehe fast nur Hotellobbys", klagt der 35-Jährige - beim Interview in einer Hotellobby.

Twitter-Gründer Jack Dorsey beim DLD in München: "Ich sehe fast nur Hotellobbys". (Foto: Getty Images)

Dass Dorsey für drei Tage anreist, um die Werbetrommel zu rühren, hat Gründe: 2012 will der Kurznachrichtendienst den deutschen Markt erobern. "Das wird ein entscheidendes Jahr für uns", prognostiziert Dorsey und kündigt an, dass Twitter ein Büro in Deutschland eröffnen wird.

Was die Aufgabe der Dependance sein wird, wie viele Stellen ausgeschrieben werden, darüber gibt es allerdings keine genaueren Auskünfte. Das passt ins Bild, bleibt Twitter doch ein Unternehmen des Ungefähren. Das beginnt schon bei der Frage, was Twitter überhaupt ist: "Wir sind kein klassisches soziales Netzwerk, sondern ein Informationskanal und Kommunikationswerkzeug", sagt Dorsey. "Man muss nicht twittern, um Twitter sinnvoll zu nutzen".

Diese Interpretation ist neu und spiegelt das Mitgliederverhalten wider: Zwar könnte Twitter schon im Februar 500 Millionen Nutzer verkünden, doch viele Neumitglieder werden schnell zu Karteileichen. Nur gut ein Viertel der Registrierten loggt sich regelmäßig ein, Schätzungen zufolge schickt nur jedes zehnte Neumitglied überhaupt eine 140-Zeichen-Botschaft ins Netz. Eine neue Weboberfläche soll "relevante Informationen" einfacher auffindbar machen und die Absprungrate deutlich senken.

Weiterhin zurückhaltende Werbeformen

Dass sie sichtbar Dorseys Handschrift trägt, ist durchaus ein persönlicher Triumph: 2008 vom CEO-Posten in den Aufsichtsrat abgeschoben, spielt er seit März vergangenen Jahres wieder eine aktive Rolle und trägt neben dem Titel "Executive Chairman" auch die Verantwortung für die Produktentwicklung.

Das hat auch strategische Folgen, Dorsey gilt als Freund zurückhaltender Werbeformen: Bislang können Unternehmen nur ihre Nachrichten, Twitter-Konten oder Themen an prominenter Stelle in den Nachrichtenstrom der Nutzer einspeisen und hoffen, dass diese darauf reagieren. Ein System, das solche gesponserten Tweets mit wenigen Mausklicks buchbar macht, wird derzeit eingeführt.

Das Marktforschungsunternehmen e-Marketer schätzt, dass Twitter 2011 knapp 140 Millionen Dollar Anzeigenumsatz erzielt hat und diese Summe bis 2013 auf knapp 400 Millionen erhöhen könnte.

Reicht das für einen Börsengang in absehbarer Zeit? "Nur Journalisten stellen diese Frage, wir beschäftigen uns intern kaum damit", behauptet Dorsey. Bei einer Bewertung von etwa acht Milliarden Dollar klingt das nicht ungefähr, sondern unerhört.

Danke für die Anregungen an @thetrip, @sophist_, @mueller

Ergänzendes hier.

© SZ vom 24.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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