Marktforschung im Internet:Knecht und Käufer

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Marktforschung? Entwicklungskosten? Ideen? Von wegen. Viele Unternehmen lassen ihre Aufgaben lieber günstig im Netz erledigen - von den eigenen Kunden.

Angelika Slavik

Die Sache mit dem Glitzerzeug ist kompliziert. Ist es ein Kaufanreiz, wenn Duschgel schimmert? Sollte es dazu auch noch blau sein? Rosa? Oder kauft es dann keiner mehr, der älter als sieben Jahre alt ist?

Soziale Netzwerke
:Die Galerie der Facebook-Typen

Facebook ist ein Klischee: Ob Online-Witzbold, Chef oder die gutvernetzte Klette - die Selbstdarsteller im Netz lassen sich recht einfach kategorisieren. Eine Nutzer-Typologie

Früher haben sie sich bei der Drogeriekette dm immer viele Gedanken gemacht, wenn die Eigenmarke Balea mit einem neuen Produkt auf den Markt kommen sollte. Es wurde eine Menge Zeit investiert, Marktforschung, Studien, Fokusgruppen, wie die meisten Unternehmen das eben so machen. Das kostet ganz ordentlich, aber die Gefahr, den Geschmack der Zielgruppe nicht zu treffen, ist dann immer noch nicht gebannt. Trotz des ganzen Aufwands. Diesmal aber soll das alles ganz anders laufen: Es soll billiger werden und schneller und am Ende sollen die Kunden ganz verrückt sein nach dem Zeug - weil sie es ja schließlich auch selbst entwickelt haben. Beim Online-Netzwerk Facebook.

Seit ein paar Wochen basteln Konsumenten dort am neuen Duschgel. Sie streiten über Inhaltsstoffe, Namen und über das Glitzerzeug natürlich. Immer wieder wird über die einzelnen Vorschläge abgestimmt. Am Ende werde das Produkt genau so im Regal stehen, wie die Facebook-Nutzer es haben wollen, heißt es bei dm. Derzeit ganz vorne: Blau, mit "samtiger Konsistenz", wie es heißt. Und, ganz genau: mit Glitzerzeug.

Catharina van Delden ist die Gründerin der Firma Innosabi, ein Unternehmen, das sich auf sogenannte Open-Innovation-Prozesse spezialisiert hat. Sie organisiert also Aktionen, mit denen Unternehmen ihre Entwicklungsprozesse öffnen: für externe Berater natürlich, aber immer öfter auch für Kunden. "Für die Firmen ist das eine gute Möglichkeit, mit geringem finanziellen Aufwand herauszufinden, was die Zielgruppe eigentlich wirklich will", sagt van Delden. Und es ist ein ziemlich einfaches Konzept, Kosten einzusparen: Marktforschung? Hat sich erübrigt. Produkttests? Machen die Kunden zu Hause. Marketing? Erledigen sie auch gleich mit - etwa wenn sie ihre Freunde einladen zum Duschgel-Testen oder zur Diskussion bei Facebook.

"In den meisten Fällen entsteht bei den Konsumenten eine enge, sehr emotionale Bindung an das Produkt, das sie selbst mitgestaltet haben", sagt van Delden. Anders ausgedrückt: Die Kunden übernehmen erst die ganze Arbeit. Und dann fühlen sie sich dem Produkt auch noch verpflichtet und wollen nicht mehr bei der Konkurrenz kaufen.

Kann Wirtschaft schöner sein?

Solche Aussichten locken nicht nur Unternehmen wie dm. Die australische Brauerei Brewtopia etwa entstand im Jahr 2002 aus einer ähnlichen Aktion: 13 Wochen lang ließ Gründer Liam Mulhall über Name, Geschmack und Optik des ersten Biers abstimmen. Was mit 140 E-Mail-Kontakten und einer mickrigen Internetseite begann, wuchs schnell zu einer 16.000 Mitglieder umfassenden Gemeinde, die eifrig Ideen lieferte, Proben verkostete und abstimmte. Das Ergebnis war die erste, wie Mulhall es nennt: basisdemokratisch kreierte Biermarke "Blowfly". Vier Jahre später ging das Unternehmen an die Börse.

Auch der amerikanische Chips-Hersteller Kettle bat bereits seine Anhänger um Ideen für neue Geschmacksrichtungen und ließ dann über die Vorschläge abstimmen - die Gewinner-Chips sollen sich seither doppelt so gut verkaufen wie die anderen Sorten. Der Modekonzern Hugo Boss sammelt gerade Design-Ideen von seinen Facebook-Freunden ein. Und auch der dänische Spielzeughersteller Lego hat die Methode schon getestet: Das Unternehmen schickte die Kreativsten seiner Kunden schließlich sogar auf Spielemessen, wo sie ihre Erfindungen selbst anpreisen sollten. Gleich wieder was erledigt.

Bleibt die Frage: Was haben die Kunden davon? Manche Firmen belohnen die Mühen ihrer Klientel mit Preisen oder Vergünstigungen auf das entstandene Produkt - das ist allerdings die Ausnahme. "Die meisten machen einfach aus Spaß mit", sagt Innosabi-Chefin van Delden. Es gebe aber auch Konsumenten, die unzufrieden wären mit dem, was ihnen von den Unternehmen bislang angeboten wurde - etwa in Hinblick auf die Qualität oder auf die Herstellungsbedingungen. "Denen gefällt der Gedanke, dass sie endlich mal ein Produkt bekommen können, das wirklich ganz genau ihren Wünschen entspricht", sagt van Delden. Facebook, Instrument der Unzufriedenen.

Mit dieser neuen Methode, Produkte zu entwickeln und Kunden an sich zu binden, könnten soziale Netzwerke für die Unternehmen endlich auch eine lukrative Seite entwickeln. Denn bisher war der direkte, schnelle Dialog mit den Kunden für die Unternehmen vor allem eins: anstrengend.

Eine Präsenz bei Netzwerken wie Facebook oder Twitter wird vor allem von den großen Konzernen heute erwartet - und dennoch scheitern viele an der Kommunikationskultur im Netz. Werden Anfragen von Internetnutzern nicht schnell genug oder mit plumper PR beantwortet, kann der Online-Auftritt schnell zum Desaster werden: Der Schweizer Lebensmittelkonzern Nestlé musste das bereits ebenso schmerzhaft erfahren wie die Deutsche Bahn.

Auch für die Internet-Unternehmen selbst scheint sich eine neue Einnahmequelle aufzutun: Das auf berufliche Kontakte ausgerichtete Netzwerk Xing etwa präsentierte erst vor wenigen Tagen eine neue Anwendung zur Marktforschung: Unternehmen können damit Fragen an eine bestimmte, klar definierte Zielgruppe übermitteln lassen. Nutzer, die bereit sind, die Fragen zu beantworten, bekommen ein Honorar, die Firmen zahlen abhängig von der Summe der abgegebenen Stimmen.

Allerdings: Auch das Internet löst nicht alle Probleme. Das Facebook-Duschgel von dm etwa soll nun also blau werden und glitzern und gleichermaßen "würzig" und "frisch" riechen, so viel ist klar. Einen Namen hat es aber noch immer nicht. Denn der ursprüngliche Abstimmungssieger "Schimmernder Eistraum" könne nun doch nicht umgesetzt werden, hieß es vergangene Woche auf der Facebook-Seite des Projekts. Die Patentanwälte hätten dagegen ihr Veto eingelegt. "Zusammen finden wir eine andere Lösung", war da zu lesen. Irgendwo muss die Macht der Konsumenten eben auch ein Ende haben. Und wenn es beim Patentrecht ist.

© SZ vom 13.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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