Europa und das Internet:Ein Kontinent sperrt sich

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Das Blockieren von illegalen Webseiten hat sich bereits durchgesetzt. Nun wächst der Druck, illegales Herunterladen europaweit mit dem Entzug des Internetanschlusses zu bestrafen.

Johannes Kuhn

Finnland, das Internet-Utopia Europas: Jüngst verkündete die Kommunikationsministerin in Helsinki, dass jedem Bürger ihres Landes künftig der Zugang zu Breitbandverbindungen garantiert werde.

Versperrtes Europa: Das Blockieren von Internetseiten ist in vielen Ländern gang und gäbe (Foto: Foto: iStock)

Finnland, das Internet-Utopia? Matti Nikki sieht das etwas anders: Seit Anfang 2008 können finnische Internetnutzer seine Homepage unter ihrer herkömmlichen Adresse nicht mehr erreichen. Sie ist auf der geheimen schwarzen Liste gelandet, auf der die finnischen Behörden Kinderpornoseiten vermerken, um sie zu sperren.

Nikkis Seite heißt übersetzt "Kinderporno.info", mit der Verbreitung von entsprechendem Material hat er allerdings nichts am Hut. Er dokumentiert vielmehr, welche Seiten die finnischen Behörden blockieren und hat so unter anderem nachgewiesen, dass zum großen Teil legale Pornographie gefiltert wird.

Blocken weit verbreitet

Unter Verdacht, Kinderpornos zu verbreiten, steht er inzwischen nicht mehr. Dennoch liegt sein Fall seit anderthalb Jahren bei der Staatsanwaltschaft. "Ich weiß noch nicht einmal, ob ich überhaupt das Recht habe, mich zu beschweren", klagt er. "Das finnische Recht auf Breitband ist wie eine Garantie, überall Straßen zur Verfügung zu haben." Aber was hilft es, fragt er, "wenn man nicht überallhin fahren darf".

Das Blocken von Internetseiten mit vermeintlich illegalen Inhalten ist in der EU inzwischen eher Regel als Ausnahme. So haben die skandinavischen Länder, Großbritannien, Belgien, Frankreich, die Niederlande, Italien oder Irland Filtermethoden eingerichtet, die den Zugang zu Webseiten mit kinderpornographischen Inhalten verhindern sollen. In Deutschland liegt das "Zugangserschwerungsgesetz gegen kinderpornographische Inhalte" derzeit auf Eis, allerdings vorerst nur für ein Jahr.

Die Kritik an solchen Netzsperren erzürnt Bürgerrechtler aus ganz Europa. Erst jüngst erschien eine internationale Studie im Auftrag der Bürgerrechtsstiftung Open Society Institute, in der die Autoren die Wirksamkeit solcher Maßnahmen anzweifeln. Fazit: Europas Regierungen geben viel Geld für Sperren aus, die leicht zu umgehen sind, den Falschen treffen können und die Grundrechte der Bürger verletzen.

Begehrlichkeiten wachsen

"Die meisten kinderpornographischen Inhalte liegen auf Servern in Russland und den USA", sagt Ko-Autor Cormac Callanan, "warum müssen wir bei uns Inhalte blocken, die aus Ländern kommen, in denen es ein Rechtssystem gibt?" Sein Rat: Die EU sollte auf internationale Zusammenarbeit pochen, anstatt "neue Mauern" zu errichten.

Viele kleinere EU-Länder weigern sich bislang aus Kostengründen, Netzsperren einzuführen. Eine EU-Verordnung, die sie dazu zwingen könnte, ist im Moment unwahrscheinlich. Größere Begehrlichkeiten wachsen allerdings gerade in einem anderen Feld: So verabschiedete Frankreich ein Gesetz, wonach Internetnutzer, die illegal urheberrechtlich geschütztes Material herunterladen, nach zwei Verwarnungen der Internetzugang gesperrt werden kann.

Inzwischen hat auch Großbritannien solche Maßnahmen angekündigt. Rechteinhaber wie Musik- und Filmindustrie drängen bereits länger darauf, gegen illegale Downloads vorzugehen. Der britische Wirtschaftsminister Mandelson hat die EU inzwischen aufgefordert, sich der Angelegenheit anzunehmen.

Dass ein Brite plötzlich Brüssel um Hilfe ruft, hat vor allem damit zu tun, dass viele internationale Konzerne der Branche ihr Europahauptquartier in London haben. Druck auf die EU-Staaten üben auch die USA aus: Wie englischsprachige Medien berichten, soll die amerikanische Delegation bei den internationalen Verhandlungen zur Bekämpfung der Internet-Piraterie darauf gedrängt haben, künftig Internetprovider für Urheberrechtsverstöße ihrer Nutzer haftbar zu machen und sie dazu zu verpflichten, illegale Filesharer nach zwei Warnungen mit dem Entzug des Internetanschlusses zu bestrafen.

Sollte die EU eine solche Richtlinie erlassen, wäre auch der entsprechende Passus des schwarz-gelben Koalitionsvertrag in Deutschland hinfällig. Dort heißt es: "Wir werden keine Initiativen für gesetzliche Internetsperren bei Urheberrechtsverletzungen ergreifen." Das könnte im Umkehrschluss bedeuten: Startet Brüssel eine solche Initiative, wird sich Deutschland dem nicht verweigern.

Eine "Three Strikes"-Regel wird inzwischen auch in anderen europäischen Ländern diskutiert. Nach Informationen von sueddeutsche.de verhandeln die italienischen Internetprovider mit der dortigen Urheberrechts-Lobby gerade über ein entsprechendes Abkommen.

Sperren ohne Gerichtsbeschluss?

Bürgerrechtler fürchten, dass einige Länder beim Abklemmen von Internetanschlüssen die ordentliche Gerichtsbarkeit umgehen könnten. So soll in Großbritannien ein "unabhängiges Tribunal" der Telekommunikationsbehörde Ofcom über die Sperrungen und die entsprechenden Einsprüche dagegen entscheiden.

Im Frühjahr hatte das EU-Parlament solche außergerichtlichen Instanzen noch lautstark abgelehnt. Die Verhandlungen mit dem EU-Ministerrat zum Telekom-Paket, das den Rahmen für die Telekommunikationsgesetze der nächsten Jahre vorgeben soll, drohten sogar kurzzeitig zu scheitern: Das Parlament hatte im Zusatz 138 festlegen wollen, dass EU-Staaten verboten wird, den Bürgern ihren Internetzugang ohne richterlichen Beschluss zu kappen.

Im Kompromissvorschlag, der am Mittwoch in der letzten Verhandlungsrunde abgesegnet wurde, ist diese Forderung nicht mehr zu finden. Stattdessen kann jedes Land selbst entscheiden, wie es die Sperren von Internetanschlüssen regelt; einzig ein "faires und unabhängiges Verfahren" müsse gewährleistet sein.

Der Ministerrat, in dem Länder wie Frankreich und Großbritannien großes Gewicht besitzen, hatte sich schlicht geweigert, den Gerichtsvorbehalt aufzunehmen. In Paris hat inzwischen allerdings das Verfassungsgericht entschieden, dass Sperren nur von Richtern ausgesprochen werden dürfen.

Blühende Zensurphantasie

"Eigentlich sollten Politiker danach entscheiden, was machbar und sinnvoll ist", sagt Joe McNamee von der europäischen Bürgerrechtslobby EDRI, "wenn es um das Internet geht, sagen sie aber oft: 'Das müsste doch möglich sein.'" Welche Blüten eine solche Haltung treiben kann, zeigt ein Gesetzesentwurf, den der christdemokratische Senator Gianpiero D'Alia in Italien einbrachte: Demnach sollten alle Seiten gesperrt werden, auf denen Material zu finden ist, das "ein Verbrechen verteidigt oder dazu aufruft".

Dies würde bedeuten, dass bei einem entsprechenden Kommentar eines Facebook-Mitglieds die komplette Plattform für alle italienischen Internetnutzer blockiert werden müsste.

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