Ein Jahr NetzDG:Besser als nichts

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Das "Gesetz gegen Hass im Netz", das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, ist seit einem Jahr im Kraft (Foto: dpa)

"Ich glaube, dass wir mit dem Netzwerk­durchsetzungs­gesetz besser dran sind als ohne", sagt der Jurist Chan-jo Jun über die neuen Regeln. Doch aus Sicht des Experten gibt es noch einige Probleme.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Wenn man Chan-jo Jun eine Weile lang zuhört, dann ist man am Ende fast überrascht, dass er doch ein halbwegs versöhnliches Fazit zum umstrittenen "NetzDG" zieht: "Ich glaube, dass wir mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz besser dran sind als ohne", sagt der Rechtsanwalt aus Würzburg. Auf Facebook gepostete Holocaust-Leugnungen zum Beispiel würden inzwischen immer besser gelöscht. Das ist aber auch schon das Beste, was er über das Gesetz zu sagen hat, das dazu beitragen soll, Hass und Verleumdungen aus dem Netz zu tilgen: Es ist besser als nichts.

Wobei man gar nicht genau unterscheiden kann, ob nun das Gesetz zu zahnlos oder Facebook besonders geschickt darin ist, es ins Leere laufen zu lassen. Für Chan-jo Jun, der die Facebook-Verantwortlichen vor gut zwei Jahren spektakulär (aber letztlich erfolglos) wegen der Duldung strafbarer Hetzkommentare angezeigt hatte, beginnt die Misere jedenfalls schon mit den Barrieren, die der Nutzer zu überwinden hat, wenn er Löschungen durchsetzen möchte. Das entsprechende Facebook-Formular ist schwer zu finden. Der Würzburger Anwalt hält es für einen "eklatanten Verstoß" gegen das Gesetz, wenn die formlos eingereichte Löschungsmeldung eines Users unter Verweis auf das Spezialformular nicht angenommen wird.

Ironie, Sarkasmus oder Satire sind ein Problem für Facebook

Das Kernproblem verweigerter Löschungen hat aber nach Juns Einschätzung damit zu tun, dass die Gemeinschaftsstandards von Facebook Verleumdungen schlicht nicht untersagen. Bekanntes Beispiel: Das berühmte Selfie des syrischen Flüchtlings Anas Modamani mit Angela Merkel, das im Netz zusammen mit falschen Beschuldigungen verbreitet wurde - etwa mit dem Vorwurf, Modamani sei an Terroraktivitäten beteiligt. Das Netzwerk weigerte sich, entsprechende Posts zu tilgen, "weil Facebook diese Sachen grundsätzlich nicht löscht. Da sind sie wirklich konsequent", sagt Jun.

Noch komplizierter ist das gegenläufige Szenario, nämlich der Versuch, rechtswidrig gelöschte Posts wiederherstellen zu lassen. Nach Juns Erfahrung kommt es zu diesem sogenannten Overblocking beispielsweise deshalb, weil die Facebook-Mitarbeiter schematisch Inhalte löschen, die bestimmte Schimpfworte oder despektierliche Vokabeln enthalten. Ironie, Sarkasmus oder Satire werden dagegen nicht beachtet. Oder zum Beispiel die Aktivitäten linker Gruppen: Wenn sie beim Vorgehen gegen Neonazi-Sprüche im Netz deren Inhalte zitieren, laufen sie Gefahr, selbst gelöscht zu werden.

Grundsätzlich geht Jun zwar davon aus, dass ein Rechtsanspruch gegen Facebook besteht, Posts wiederherzustellen, wenn sie die Standards des Netzwerks beachten. Aber auch hier fehlt aus seiner Sicht sozusagen die Infrastruktur des Rechtsschutzes. "Wir brauchen im NetzDG einen besseren Rechtsbehelf für Nutzer, um gegen Löschungen vorzugehen." Zudem sollte Facebook gehalten sein, Löschungen zu begründen. Und es müsse eine Beschwerdestelle eingerichtet werden, bei der man gegen Löschungen vorgehen könne. "Bisher kann man Facebook in diesen Fällen nur eine Mail schreiben und ein trauriges Smiley hinterlassen."

© SZ vom 28.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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