Kommentare:Kalkulierte Aufregung

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Soziale Netzwerke leben von Polarisierung und heftigen Debatten. Es ist daher nicht zu erwarten, dass die Konzerne sich selber regulieren - die Politik muss eingreifen.

Kommentar von Caspar Busse

Aufregung, Skandalisierung, Spaltung, Polarisierung: Das sind wichtige Teile des Geschäftsmodells von sozialen Netzwerken, allen voran von Twitter und Facebook. Die Unternehmen aus dem Silicon Valley verdienen auf diese Weise Milliarden. Aufmerksamkeit ist die entscheidende Währung in sozialen Netzwerken. Derjenige, der am stärksten polarisiert, der die ungewöhnlichste und stärkste Meinung auf wenigen Zeilen vertritt, dringt am ehesten durch, hat besonders viele Likes, Re-Tweets und Shares - und am Ende auch die meisten "Freunde" oder Follower. Die sind ohnehin die eigentliche Währung, nicht nur bei Twitter und Facebook, sondern auch bei Youtube oder Instagram. Wer über eine möglichst große Reichweite verfügt, ist auch für die Werbewirtschaft interessant.

All das dürfte auch Grünen-Chef Robert Habeck bislang nicht verborgen geblieben sein. Deshalb überrascht seine Begründung, warum er sich nun - als erster wichtiger deutscher Politiker - aus den sozialen Netzwerken Twitter und Facebook verabschiedet hat. Er sei "von sich selbst entsetzt" gewesen, bekannte er Anfang dieser Woche in bemerkenswerter Offenheit. Zuvor hatten seine Äußerungen über Thüringen zu Recht für massive Kritik gesorgt. "Wir versuchen, alles zu machen, damit Thüringen ein offenes, freies, liberales, demokratisches Land wird", hatte der Politiker bei Twitter mitgeteilt, dabei sind die Grünen seit 2014 Teil der Landesregierung in Erfurt. Es war nicht der erste Fehltritt des Grünen-Chefs. Twitter sei ein "sehr hartes Medium, wo spaltend und polarisierend geredet wird", sagte Habeck. Das färbe auf ihn ab.

Es ist oft die kalkulierte Aufregung oder gar der berechnende Tabubruch, der dazu genutzt wird, möglichst schnell an die Öffentlichkeit zu kommen. Der amerikanische Präsident Donald Trump ist dafür das beste Beispiel, seine Tweets sorgen sehr regelmäßig für Aufsehen und Aufregung - aber es gibt viele Nachahmer, die ihrerseits ihre Gier nach Anerkennung und Wahrnehmung bei Twitter und Facebook befriedigen. Alles zusammengenommen befeuert dies das Geschäft der sozialen Netzwerke.

Das weiß auch Donald Trump: Je mehr Nutzer ein Netzwerk hat, desto größer ist die Bühne

Die Effekte sind dabei selbstverstärkend: Je erfolgreicher ein soziales Netzwerk ist, je mehr Nutzer es hat, desto größer wird auch die Bühne. 2,27 Milliarden Menschen weltweit nutzen Facebook mehrmals im Monat, fast 1,5 Milliarden davon jeden Tag. Twitter wird zwar vor allem von Politikern, Journalisten und Multiplikatoren genutzt, die Plattform kommt aber auch auf mehr als 300 Millionen monatliche Nutzer. Soziale Netzwerke sind heute aus dem Leben vieler nicht mehr wegzudenken, sei es im privaten oder im beruflichen Bereich, sei es zu Informationszwecken oder zur Unterhaltung. Das ist das Potenzial, an dem diese Unternehmen gnadenlos verdienen und die so zu wahren Geldmaschinen werden.

Gerne sehen sich Unternehmen wie Facebook oder Twitter als bloße Plattformen, die den Nutzern "nur" die Möglichkeit geben, miteinander in Kontakt zu treten. In Wirklichkeit sind diese Unternehmen aber viel mehr und auch für die Inhalte, die von ihnen verbreitet werden, verantwortlich, ähnlich wie Medienfirmen. An einer Selbstregulierung, was etwa den Schutz sensibler Daten angeht, sind Konzerne wie Facebook oder Twitter aber trotzdem nicht wirklich interessiert. Wer etwa auf eine funktionierende Selbstzensur von Inhalten hofft, wird wohl ebenfalls enttäuscht. Denn damit würde womöglich das Geschäftsmodell beschädigt. Dazu kommt eine immer weiter wachsenden Marktmacht dieser Internetkonzerne, viele rufen schon nach Regulierung, auch das mit einiger Berechtigung. Kartellbehörden und Politiker müssen hier aktiv werden - und sie sind es teilweise bereits.

Wichtig ist aber auch ein verantwortlicher Umgang der Nutzer mit den sozialen Netzwerken. Habeck, der auch noch Opfer eines Hackers geworden war, welcher private Daten veröffentlicht hatte, ist da kein gutes Beispiel. Statt sich quasi aus Eigenschutz zurückzuziehen und die Accounts einfach zu löschen, sollte er lieber als Vorbild dienen, besser kommunizieren, sich in Selbstdisziplin üben - und sich auch für eine funktionierende Regulierung einsetzen. Gerade Parteien wie die Grünen nutzen soziale Netzwerke, um in Kontakt mit vor allem jüngeren Wählern zu kommen. Dass über Plattformen wie Facebook und Twitter für Politiker aber gar kein echter Dialog möglich sei, merkt Habeck dabei reichlich spät. Die Verantwortung für sein falsches Verhalten kann er jedenfalls nicht einfach den angeblich so "bösen" sozialen Netzwerken anlasten.

© SZ vom 10.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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