Viele Studenten drängen in den Hörsaal H 3 am Campus Riedberg der Frankfurter Goethe-Universität. Drinnen laute Musik. Vorne auf der großen Leinwand drei schmale Männer mit schulterlangen Haaren bei einem Auftritt, der lange zurückliegt. Noch heute gelten die drei Gibb-Brüder - besser bekannt als Bee Gees - als eine der erfolgreichsten Bands der Welt mit 200 Millionen verkauften Platten. Sie machten eine beispiellose Karriere, die wie viele andere in der Geschichte des Rock 'n' Roll von Erfolgen, Krisen und Schicksalsschlägen geprägt war. Ein Phänomen, das nicht nur Fans, sondern inzwischen auch Wissenschaftler beschäftigt.
Professor Dieter Steinhilber gehört auch dazu. Er beschreibt, wie die Bee Gees als Kinder ihren ersten Auftritt mit "Lollipop" hatten, mit den Eltern nach Australien auswanderten und dort ihren ersten Hit "Spicks and Specks" landeten. Richtig steil bergauf ging es für die Brüder aber erst, als sie 1967 nach England zurückkehrten, in das Land der Beatles und Rolling Stones.
Vererbtes Risiko
Dann folgt ein harter Schnitt. Professor Theo Dingermann spricht über die Schattenseiten ihres Erfolgs - und über Darmkrebs. Eine Krankheit, an der die Zwillingsbrüder Maurice und Robin Gibb gestorben sind. Denn im Hörsaal geht es nicht in erster Linie um Musik, sondern um Pharmazie. Auf der Leinwand sind Bilder von Tumoren zu sehen. Dingermann sagt, Krebs sei eine genetische Krankheit, keine Erbkrankheit. In den 80er-Jahren habe man diese sogenannten Onkogene entdeckt. Der Professor vergleicht den gesunden Menschen mit einem Bungeespringer, den doppelte Chromosomen mit zwei Seilen sichern. Ist ein Seil defekt, etwa durch Vererbung, ist der Mensch gefährdet, reißt auch das zweite Seil, ist er krank. Maurice Gibb starb ganz plötzlich 2003, sein Zwillingsbruder Robin kämpfte jahrelang mit der Krankheit, bevor auch er 2012 starb.
Die Bee Gees und ihr dreistimmiger Falsett-Gesang bleiben unvergessen. Gruppen wie Take That oder die Pet Shop Boys reichten nie an die Originale heran. Für die Studenten im Hörsaal H 3 sind die Bee Gees dagegen längst Geschichte, die alten Musikvideos amüsieren sie mehr, als dass sie sie begeistern. Aber sie lernen an diesem Beispiel, wie der Krebs in den Darm kommt. Wie erbliche und exogene Faktoren die Zellen entarten lassen. Dingermann redet von Epithel, Dysplasie, Adenom, Karzinom und Metastasen. "Es gibt ein familiäres Risiko", sagt er. Davon hatten die Gibb-Brüder damals vermutlich keine Ahnung. Immerhin, heute sind die Erkrankungen von Darmkrebs rückläufig.
Darmspiegelungen als Vorsorge, Operationen, Medikamente, Chemotherapie greifen als gängige Behandlungen. Dingermann nennt einige Medikamente mit Namen. Die Vorlesung endet mit einer Würdigung der Bee Gees, die sich selbst als eine Seele in drei Körpern beschrieben haben und die trotz ihres Saubermann-Images mit Drogen kämpften. Nicht nur sie. Viele Musiker und Künstler pushen ihre Karriere mit Alkohol, Drogen oder Tabletten.
Dingermann kennt sich damit aus. In seinem kleinen Büro im Biozentrum der Universität hängt ein großes Plakat mit den gezeichneten Konterfeis seiner Doktoranden. Es sind etliche. Der Professor hat eine Karriere als Apotheker, Professor für Biochemie und Molekularbiologie hinter sich. Nun, jenseits der Pensionsgrenze, macht er als Seniorprofessor weiter.