Es ist ein großer Aufwand für eine kleine Brise. Das Raumklima der Zukunft wollen Ingenieure hier austüfteln - und Platz genug haben sie dafür: Hausfassaden werden nachgebaut, Flugzeugkabinen auch. Und um die Luftzirkulation im Inneren eines Autos zu messen, steht gleich nebenan ein verkabelter Mercedes. Denn: Wenn Luft besser zirkuliert, kann sie mit weniger Aufwand beheizt werden - man spart Energie. Genau darum geht es den Forschern in der großen Versuchshalle.
Das Areal ist Teil eines interdisziplinären Instituts an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen - dem "Eon Energy Research Center" (ERC). Der Energiekonzern hat es maßgeblich finanziert: Vier Millionen Euro fließen seit 2006 pro Jahr, zehn Jahre lang. So sieht es der Vertrag zwischen dem Unternehmen und der Universität vor.
Neben der Halle steht das neue Verwaltungsgebäude des ERC, die 170 Mitarbeiter sind erst vor wenigen Wochen umgezogen. Eine durchkomponierte Innenarchitektur erwartet den Besucher - es wirkt nicht wie die Einrichtung einer Hochschule, eher erinnert es an die Dependance eines Konzerns. Die Achse Forschung-Wirtschaft pflegt man in Aachen seit Jahren mustergültig: Mit 258 Millionen Euro hat die Uni 2010 bundesweit die meisten Drittmittel eingeworben.
Im Erdgeschoss hat Rik de Doncker sein Büro, der Direktor des ERC und einer von fünf Lehrstuhlinhabern, die über das Stiftungsmodell entstanden sind. Er sagt: "Wir sind zu 100 Prozent eine Einrichtung der RWTH. Aber durch die Zusammenarbeit können wir hier Forschung betreiben, die uns in diesem Umfang aus dem Haushalt der Universität allein wohl nicht möglich wäre." Zugleich lehren die Mitarbeiter des ERC auch an den Fakultäten. Und der Vorteil für den Sponsor? "Im Gegenzug verspricht sich Eon Input aus der Forschung", sagt de Doncker. Vertragsklauseln, denen zufolge Forschungsergebnisse vorab an den Konzern übermittelt werden müssten, gebe es aber nicht. Auch Patente, die das Ergebnis der Forschung sein können, verblieben alleine bei der Universität.
Das ist ein nicht ganz unwichtiges Detail - es ausdrücklich zu betonen, ist angesichts jüngster Entwicklungen offenbar vonnöten. Einerseits sind gestiftete Professuren und Institute, aber auch gesponserte Hörsäle im Trend; andererseits kommt die Freizügigkeit privater Geldgeber immer wieder ins Gerede - wegen des Vorwurfs, unter dem Deckmantel des Stiftens bloße Auftragsforschung zu betreiben. Derzeit gibt es gut 700 laufende Stiftungsprofessuren (circa zwei Prozent aller Ordinarien), zudem ein paar hundert ausgelaufene, die dann teils in den Haushalten der Hochschulen aufgingen.
Firmen und Konzerne stellen fast die Hälfte der Geldgeber, der Rest entfällt auf Stiftungen, Verbände, zuweilen Einzelpersonen. Es sind nicht nur Big Player, die sich spendabel zeigen: An der Uni Kassel etwa startet im Sommer eine Professur über die Brüder Grimm, überwiegend finanziert von Mittelständlern; in Würzburg gibt es eine Professur für Missionswissenschaft, bezahlt von der Diözese und katholischen Einrichtungen. Freilich fallen hier die Kosten geringer aus als bei üppigen naturwissenschaftlichen Projekten. Der Stifterverband der deutschen Wissenschaft, der etwa ein Drittel aller gesponserten Professuren betreut, rechnet vor: Die durchschnittlichen jährlichen Aufwendungen pro Professur liegen bei 82 000 Euro; was gerade für etwas mehr als die Bezahlung des Lehrstuhlinhabers reichen dürfte.
Auf den ersten Blick sieht der Trend zum Stiften nach einem für beide Seiten idealen Deal aus. Unternehmen bekommen inhaltliche Impulse, können nach Fachkräften Ausschau halten und polieren ihr Image auf; und Hochschulen können ihr Profil schärfen, ohne sich in die üblichen Verteilungskämpfe an den Fakultäten zu verstricken. Ihre Motivation ist klar: Weil die Länder ihnen zu wenig Geld bereitstellen, müssen sie um Drittmittel buhlen - von staatlichen Förderern wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder eben von privater Seite.
Doch der Stifter kann zum Unruhestifter werden. Beim Deutschen Hochschulverband (DHV), der Standesvertretung der Uni-Professoren, sieht man den Trend daher nicht ganz so rosig. "Hochschulen sind staatlicherseits chronisch unterfinanziert und müssen sich zusätzliche Geldquellen erschließen. Deswegen sind Stiftungsprofessuren grundsätzlich legitim", sagt Präsident Bernhard Kempen. Jedoch: Die Freiheit der Forschung müsse das oberste Kriterium sein. Wenn der Stifter konkrete Ergebnisse sehen wolle oder gar bestelle, "führt das bei den Wissenschaftlern zu einer Schere im Kopf, die mit fachlicher und geistiger Unabhängigkeit nicht vereinbar ist".
Dass aber alle Konzerne aus reiner Nächstenliebe Forschung finanzieren, ist schwer vorstellbar. Was die Praxis untermauert: In Berlin löste ein Vertrag zwischen der Deutschen Bank, der Humboldt-Universität und der Technischen Universität einigen Wirbel aus. Der Politologe Peter Grottian machte das geheime Dokument 2011 publik und beklagte die "Selbstaufgabe zweier Universitäten".
Für Professuren in Finanzmathematik mussten demnach der Bank unter anderem Forschungsergebnisse vor Veröffentlichung vorgelegt werden. Mit Auslaufen des Vertrags haben sich die Gemüter wieder beruhigt. Anders in Bremen: Dort deuteten im vergangenen Jahr Dutzende Wissenschaftler in einer Erklärung extern finanzierte Lehrstühle als "Außensteuerung der Universität". Anlass war eine Stiftungsprofessur für Weltraumfahrt-Technologie, finanziert von der Bremer OHB System AG, die auch militärisch nutzbare Güter produziert. Die Unterzeichner sehen hier - unisono mit Studentenvertretern - einen Verstoß gegen die seit 1986 gültige "Zivilklausel" der Uni, wonach jedwede Forschung mit militärischer Nutzung abzulehnen sei.
Die Causa schwelt noch, womöglich kippt die Uni gar die Zivilklausel. In Kiel erregte eine Professur der schleswig-Holsteinischen Milchwirtschaft - Thema Milchökonomie - Argwohn. Studenten behaupten, es werde erwartet, dass sich der Berufene mit Projekten für die Milchwirtschaft engagiere. Ein solcher Professor werde sich im politisch umkämpften Milchpreisstreit kaum neutral verhalten oder gar auf die Seite der Bauern stellen.
Besonders im Fokus stand zuletzt der Fall Bayer: Seit 2008 gibt es einen Kooperationsvertrag zwischen der Uni Köln und dem Pharmakonzern, Thema Herz-, Krebs- und Hirnforschung. Wie viel Geld fließt, ist ebenso wenig bekannt wie die Bedingungen. Das konsequente Schweigen sehen Kritiker als Beleg dafür, dass hinter verschlossenen Türen Auftragsforschung stattfindet. Nichtregierungsorganisationen und Studentenvertreter fordern eine Offenlegung des Vertrags. Man befürchtet, dass es eine Einflussnahme von Bayer auf die Ausrichtung der Forschung gibt - und diese Sorge lasse sich nicht ausräumen, solange es keinen Einblick in den Vertrag gebe, sagt Philipp Mimkes vom Aktionsbündnis Coordination gegen Bayer-Gefahren. "Wenn man das zulässt, werden Unikliniken auf Dauer zu ausgelagerten Forschungszentren der Konzerne."
Das Bündnis ließ juristisch prüfen, ob die Uni den Vertrag offenlegen muss, wenn ein öffentliches Interesse daran besteht. In der Tat kam der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit zu dem Schluss, dass ein "Informationszugangsanspruch" bestehe. Die Universität - und der Bayer-Konzern ohnehin - sehen das anders, kein Kommentar, eine Klage ist anhängig. Nur so viel sagt ein Sprecher der Hochschule: Im Dezember habe eine Arbeitsgruppe damit begonnen, Richtlinien für die Zusammenarbeit mit Unternehmen zu erarbeiten.
Für den Aachener Rektor Ernst Schmachtenberg ist es wichtig, klar zwischen Sponsoring und Auftragsforschung zu unterscheiden: "Sponsoring leistet einen Beitrag zur allgemeinen Förderung der Hochschule und ist nicht an große Bedingungen geknüpft. Bei der Auftragsforschung sieht das anders aus." Die RWTH erhielt im vergangenen Jahr private Forschungsaufträge im Umfang von etwa 40 Millionen Euro - vollkommen legitim, wenn dies auch als externe Forschung deklariert wird.
Auch beim Sponsoring ist man äußerst aktiv: Neben dem Eon-Zentrum mit seinen Lehrstühlen gibt es Stiftungsprofessuren etwa von Philips und der Deutschen Post. Zudem werden einzelne Hörsäle durch Sponsoren unterstützt, der "Ford-Saal", der "Generali-Saal" oder das "Sparkassenforum". "Wenn das Verfahren klar geregelt ist, ist Sponsoring grundsätzlich in Ordnung. Ich würde sogar einen Schritt weitergehen und sagen, es ist die Pflicht der Hochschulleitung, Sponsoring zum Wohle der Universität einzusetzen", so Schmachtenberg.
In der deutschen Hochschullandschaft gibt es ohnehin fast nichts, was sich nicht sponsern ließe. Sogar eine ganze Uni: 2006 stand die private International University Bremen vor der Insolvenz, über eine Stiftung rettete sie der Bremer Kaffeeröster Jacobs mit 200 Millionen Euro und verleiht ihr seitdem seinen Namen. An deutschen Hochschulen sind mehrere Dutzend Hörsäle nach Firmen benannt, was zu Titulaturen wie dem "Aldi-Süd-Hörsaal" an der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt führt. Zwischen 70 000 und 300 000 Euro investieren oft größere Konzerne in die Säle, die von dem Geld meist eine moderne Ausstattung bekommen; als Gegenleistung prangt oft der Name des Sponsors in oder vor dem Saal. Mehr aber nicht.
Dagegen können gestiftete Professuren durchaus unerwünschte Nebenwirkungen haben - die Euphorie über die Mittel weicht meist, wenn es auf das Ende des Förderzeitraums zugeht. Mit großem Trara begonnene Themen bleiben entweder unvollendet liegen, oder die Hochschule hat nach Auslaufen der privaten Finanzierung plötzlich einen neuen Haushaltsposten, den sie sich gar nicht leisten kann. Dies monierte ein Bericht des Rechnungshofs in NRW kürzlich: Von den zuletzt 74 Stiftungsprofessuren an 33 Hochschulen des Landes seien nur sechs unbefristet gewesen, in allen anderen Fällen versiegte nach vier bis sechs Jahren die Geldquelle. Zu vermeiden sei, "dass Stiftungsprofessuren mit teilweise sehr spezieller, vom Stifter vorgegebener Ausrichtung nach Ablauf der Finanzierung zu Lasten von grundständigen Lehrangeboten fortgeführt werden müssten", mahnten die Prüfer.
Ein wirkliches Plus für die Hochschulen könne zudem nur entstehen, wenn die Professuren flächendeckend aus dem Kapazitätsrecht herausgerechnet werden, wirft DHV-Präsident Kempen ein. Laut Verordnungsrecht muss eine Uni bei mehr Geld die Studentenzahlen anteilig aufstocken. "Gestiftete Stellen sollen die Betreuungsrelation verbessern, etwas Zusätzliches bieten - und nicht automatisch einen Aufwuchs bei den Studierendenzahlen nach sich ziehen", so Kempen. Die Politik stehe hier in der Pflicht. Im Gegenzug müssten die Hochschulen bei Stiftungsberufungen "die maximale Gewähr für Unparteilichkeit sicherstellen. Wir brauchen einen Code of Conduct in den Universitäten, und zwar überall, nicht nur an einzelnen Standorten".
Mit einem Verhaltenskodex versucht der Stifterverband Bedenken auszuräumen. Laut diesen "Empfehlungen" für die Stifter besteht kein Anspruch des Förderers auf die Verwertung von Forschungsergebnissen. Stiftungsprofessuren seien "kein Instrument zur Durchführung von Auftragsforschung", heißt es - was bislang offenbar noch nicht in alle Firmenzentralen durchgedrungen war.