Schule:Wie sich der Religionsunterricht in Deutschland verändert hat

Schule: Welchen Platz wird der Glaube künftig an den Schulen einnehmen?

Welchen Platz wird der Glaube künftig an den Schulen einnehmen?

(Foto: Illustration Jessy Asmus für SZ.de)

Immer weniger Schüler besuchen den konfessionellen Reli-Unterricht, dafür steigen die Anmeldezahlen in Ethik. Über die Entwicklung eines vieldiskutierten Schulfachs - mit interaktiver Grafik.

Von Matthias Drobinski und Markus C. Schulte von Drach

Reli. Ist das nicht dieses Fach, wo nette, aber schluffige Lehrer in Gesundheitsschuhen mal über Jesus, mal über Sekten und mal über Drogen reden wollen - und am Ende auch der faulste Schüler noch eine Drei kriegt? Oder ist es jenes Fach, bei dem die Gesandten der großen Kirchen den Kindern den rechten Glauben beibiegen?

Über kein Schulfach wird seit Jahrzehnten immer wieder so heftig gestritten wie über den Religionsunterricht. Mathe, Deutsch, Englisch sind wichtige Fächer, na gut. Aber Religion? Man kann das Thema ja mal bei einer Party aufbringen, für Unterhaltung ist den Abend über gesorgt, Anekdoten aus dem eigenen Schulleben inklusive. Langweilig ist Reli so gesehen schon mal nicht.

Mathe, Deutsch und Englisch mögen wichtig sein, der Religionsunterricht ist aber das einzige Schulfach, dessen Existenz das deutsche Grundgesetz garantiert. Im Artikel 7 heißt es im Absatz 3: "Der Religionsunterricht ist (...) ordentliches Lehrfach." Und: "Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt."

Der Staat hat also darauf zu achten, dass nichts unterrichtet wird, das sich gegen Recht und Gesetz richtet. Ansonsten aber mischt er sich nicht in die Inhalte des Unterrichts ein. Der Staat stellt und bezahlt in der Regel die Religionslehrer - die aber brauchen auch die Erlaubnis der Kirchen, um unterrichten zu dürfen. Bei schweren Verstößen gegen kirchliche Regeln können sie diese Erlaubnis verlieren.

Der Religionsunterricht ist damit eine "res mixta", eine gemischte Angelegenheit von Staat und Kirche. Die Idee stammt aus der Weimarer Reichsverfassung von 1919. Sie war ein Kompromiss zwischen den Sozialisten, die gar keine Religion in der Schule haben wollten, und der katholischen Zentrumspartei, die für die Konfessionsschulen kämpfte; formuliert hat diesen Kompromiss der liberale Abgeordnete Friedrich Naumann.

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Weil die Konstellation bei der Diskussion ums Grundgesetz 1948 wieder die gleiche war, übernahm man einfach die Artikel von damals. Nur die Staaten Hamburg, Bremen und Berlin, die schon zuvor eigene Gesetze für den Religionsunterricht verabschiedet hatten, durften bei ihren Regelungen bleiben.

Bis in die siebziger Jahre hinein meldeten sich nur wenige Schüler von diesem Unterricht ab - dann nahm die Zahl zu. Was tun? Die Freistunde genügt nicht, fanden die Kultusminister, und richteten, ein Bundesland nach dem anderen, einen Ethik-Unterricht ein, mal als Ersatzfach, wie in Baden-Württemberg, Bayern und sechs weiteren Ländern, mal als Wahlpflichtfach und damit faktisch gleichberechtigt mit dem Religionsunterricht, wie in Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

Althergebrachte Begründungen für den Reli-Unterricht sind brüchig geworden

Mit der Wiedervereinigung Deutschlands hat sich ohnehin die Lage verändert: Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR sind die Christen eine Minderheit, die meisten Menschen gehören keiner Konfession an. Entsprechend richtete das Land Brandenburg 1996 das Fach "Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde", kurz LER ein - unter der evangelischen Kultusministerin Marianne Birthler von den Grünen. Alle Schüler sollten neutral über die verschiedenen Religionen und Ethik-Konzepte informiert werden. Die Kirchen liefen Sturm und klagten vor dem Bundesverfassungsgericht - mussten aber auch zugeben, dass sie in Brandenburg gar nicht genug Religionslehrer hätten. Der Streit endete in einem Kompromiss: Der konfessionelle Religionsunterricht wurde aufgewertet (und hat nun steigende Schülerzahlen), LER als Pflichtfach blieb.

Der große Streit ums kleine Schulfach zeigte: Die althergebrachten Begründungen für den Religionsunterricht sind brüchig geworden. 2006 führte auch das Land Berlin einen Ethik-Unterricht ein, Religion - wie auch der Humanistische Lebenskundeunterricht - blieb daneben als freiwilliges Wahlfach bestehen. Die Kirchen sammelten Unterschriften für einen Volksentscheid "pro Reli". Doch der endete für sie mit einer krachenden Niederlage - es beteiligten sich zu wenige Berliner an der Abstimmung. Selbst im Westen der Stadt war eine Mehrheit für den religionsneutralen Ethik-Unterricht.

Es ist Zeit, den traditionellen Religionsunterricht durch einen neutralen Religions- und Lebenskunde-Unterricht zu ersetzen, sagen manche Bildungsexperten. Als Argument führen sie auch jene Zahlen an, die die Süddeutsche Zeitung von den Kultusministerien erfragt hat: Seit Jahren sinkt die Zahl der Schüler im Religionsunterricht und steigt die Zahl derjenigen, die einen religionsneutralen Ethik-Unterricht besuchen.

In Bayern nahmen 2001/02 noch 1,27 Millionen Schülerinnen und Schüler am katholischen oder evangelischen Religionsunterricht teil; im Schuljahr 2014/15 sank die Zahl auf 1,025 Millionen. Die Zahl der Ethik-Schüler stieg im gleichen Zeitraum von 143 000 auf 229 000. Selbst in christlich geprägten Regionen geht die Zahl der Reli-Schüler zurück und steigt die Zahl der Ethik-Schüler.

Geradezu dramatisch ist die Lage für den Religionsunterricht in entkirchlichten Stadtteilen wie Berlin-Marzahn: Dort hatten sich 2013 nur 50 Schüler zum katholischen Reli-Unterricht angemeldet - dabei wohnen in dem Plattenbau-Viertel mehr als 100 000 Menschen. Der religionskritische Politologe Carsten Frerk berechnet allein die Personalkosten für den Religionsunterricht mit 1,6 Milliarden Euro und kommt zu dem Ergebnis: eine gigantische Subvention für Institutionen, denen gerade die Felle davonschwimmen.

Die Befürworter des Religionsunterrichts halten dagegen: Immerhin nehmen nach wie vor mehrere Millionen Schülerinnen und Schüler am Religionsunterricht teil, viel mehr als am Ethik-Unterricht. Es hat sich ja auch sehr geändert, das Fach, sagen viele Religionslehrer selbstbewusst: Wir bringen in die Schule, was sonst keiner leisten kann. Wir unterrichten authentisch über unseren Glauben. Bei uns kommen die existenziellen Themen zur Sprache - und unser Unterricht dient der Persönlichkeitsentwicklung, bei der es nicht nur auf die Noten ankommt.

Und kann man überhaupt neutral über Religionen, über Glauben unterrichten? Bringt nicht jeder Lehrer seinen eigenen Glauben und Nichtglauben in den Unterricht mit ein, ist die angebliche Neutralität nicht ein Konstrukt? Und ist nicht ein Staat, der von sich aus definiert, was der Inhalt dieser und jener Religion ist, kein freiheitlicher, sondern ein übergriffiger Staat?

Noch steht der Religionsunterricht fest. Dass er eine Ewigkeitsgarantie hat, bedeutet das nicht. Zu einem wichtigen Argument für diesen Religionsunterricht sind inzwischen überraschenderweise die Muslime geworden, die weder 1919 noch 1948 eine Rolle spielten, als der Religionsunterricht in die Verfassungen von Weimar und Bonn kam. Für sie gab es lange einen religionskundlichen Unterricht, allein: Er wurde nicht angenommen, viele Muslime schickten ihre Kinder in irgendwelche Korankurse mit irgendwelchen Inhalten. Ein islamischer Religionsunterricht könnte dies ändern, hoffen nun die Bildungsplaner in den Ländern. Die Muslime als starkes Argument für den christlichen Religionsunterricht - noch so ein Thema, mit dem man eine Party aufmischen kann.

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