Schulsport:Hampelmann per Videounterricht

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Leeres Tor, leerer Platz: Sportunterricht findet derzeit in fast allen Bundesländern nicht statt. (Foto: Robert Haas)

Die Schulen in Deutschland bewegen sich langsam wieder Richtung Normalität, doch ein Fach fällt noch immer fast überall aus: Sport.

Von Paul Munzinger

Mitte März, als die Schulen zumachten, hat Moritz Schneider seinen Fünftklässlern einen Fitnessplan mit nach Hause gegeben: Hampelmann, Hüpfübungen, ein Paar Socken im Sitzen mit den Füßen hochheben. Was Kinder daheim halt so machen können. Einmal die Woche fragt Schneider, der an einer Gesamtschule in Kelkheim bei Frankfurt unterrichtet, am Telefon nach, wie es läuft - und hört von vielen Kindern die offene Antwort: Läuft gar nicht. Keine Zeit, keine Lust. Schneider findet, dass das ein echtes Problem ist. Denn für mehr als die Hälfte seiner Schüler, schätzt er, ist Schulsport der einzige Sport - und der fehlt jetzt auch noch.

In Hessen, wo Moritz Schneider arbeitet, ist es wie in fast allen Bundesländern: Der Sportunterricht fällt derzeit komplett weg - auch jetzt noch, wo die Schüler zumindest zeitweise wieder zurückkehren an die Schulen und die anderen Fächer langsam wieder anlaufen. Das bayerische Kultusministerium begründet dies unter anderem damit, dass die Nutzung von Umkleidekabinen derzeit verboten sei, verweist aber darauf, dass Schulen "Bewegungsangebote außerhalb des Sportunterrichts" abhalten könnten. Nur ein Bundesland macht nach Auskunft der Deutschen Sportjugend (DSJ) eine Ausnahme: Thüringen. Dort darf seit 25. Mai 2020 wieder Sportunterricht stattfinden, "möglichst im Freien".

Die "ohnehin vorhandene Bewegungskrise" verstärke sich, warnt die Deutsche Sportjugend

Die DSJ und der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) fordern nun alle Bundesländer auf, Sport an den Schulen wieder zu ermöglichen. "Bildung ist mehr als Mathematik und Deutschunterricht", sagt Jan Holze, Vorsitzender der DSJ und Präsidiumsmitglied im DOSB. "Sportunterricht muss wieder stattfinden." Die derzeitige Situation verstärke "die ohnehin vorhandene Bewegungskrise bei Kindern und Jugendlichen", heißt es in einem Positionspapier der DSJ; schon vor Corona habe sich mehr als die Hälfte von ihnen nicht genug bewegt. Die Bildungsministerien der Länder sollten daher "nach gangbaren Wegen" suchen, um auch in Corona-Zeiten einen "bewegten Schulalltag" zu ermöglichen.

Nach diesen gangbaren Wegen suchen auch Moritz Schneider und seine Kollegen - bislang ausschließlich digital. Für den Sport-Leistungskurs, der nächstes Jahr Abitur machen wird, haben sie sich ein Projekt ausgedacht, das sowohl den LK-Teilnehmern Beine machen soll als auch der ganzen Schule: Jeder der 14 Schüler erstellt ein Video-Work-out, das vorführt, wie sich eine Sportart zu Hause trainieren lässt. Beim Fußball zum Beispiel heißt das: Dribbeln, Ballhochhalten, natürlich nach Alter differenziert: Die Kleineren sollen es erst mal mit einem Luftballon versuchen.

Doch diese Videos sind für Schneider nur ein schwacher Trost, der Sportunterricht stößt eben noch früher an die Grenzen des Digitalen als andere Fächer. Auch der 32-Jährige hofft deshalb, dass er bald auch wieder analog Sport unterrichten kann. Klar, die Lage sei schwierig. Kontaktsport ist derzeit nicht erlaubt, und auch der Einsatz von Kugeln, Schlägern oder anderen Geräten praktisch unmöglich - der Hygieneaufwand wäre riesig. Doch gangbare Wege, findet er, gebe es durchaus. Man müsse eben kreativ sein, so wie in seinem Hockeyverein. Dort hat jeder Spieler seine eigene Aufwärmzone, das Training finde in Kleingruppen statt, ohne Zweikämpfe. So ähnlich könne es auch in der Schule gehen, gerade jetzt: "Sollten die Abstands- und Hygieneregeln im Winter immer noch gelten", sagt Schneider, "dann könnten wir es bereuen, dass wir den Sommer nicht für Sportunterricht im Freien genutzt haben."

Eine Befürchtung aber kann er nicht bestätigen: dass seine Schüler fragten, warum in der Bundesliga wieder Fußball erlaubt ist, aber nicht in der Schule. "Die Verbindung ziehen die Kinder gar nicht", sagt er. Der Profi-Fußball sei von ihrem Leben einfach zu weit weg.

© SZ vom 02.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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