Mit ein bisschen Wohlwollen lässt sich selbst dem akuten Mangel an Pädagogen noch etwas Positives abringen. "Das aktuell sehr große Stellenkontingent sorgt erneut für gute Berufsaussichten für angehende Lehrerinnen und Lehrer in fast allen Schularten", so formulierte es Baden-Württembergs Schulministerin Susanne Eisenmann (CDU) zu Beginn des neuen Schuljahres. Um dann immerhin einzuräumen, dass in diesem Jahr "besonders viel Kreativität und Einsatz" nötig gewesen seien, um die Stellen mit geeigneten Personen zu besetzen. Man habe "alle Register gezogen", um die Lage zu entschärfen: Teilzeiterhöhungen, Versetzungen, Abordnungen, der Rückruf pensionierter Lehrer. Gereicht hat es nicht.
Über den Lehrermangel in Deutschland ist im Sommer viel diskutiert worden. Nach Ansicht der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ist die Lage so "zugespitzt wie seit zehn Jahren nicht", der Verband Bildung und Erziehung (VBE) warnte, Deutschland steuere "sehenden Auges in einen pädagogischen Notstand". Bereits im Juli hatte die Bertelsmann-Stiftung in einer Studie einen künftigen "Schüler-Boom" prophezeit - und damit eine weitere Verschärfung der Lage.
Um das Ausmaß des Lehrermangels in Deutschland zu Beginn des neuen Schuljahres, das nun auch in Bayern und Baden-Württemberg begonnen hat, zu beziffern, hat die Süddeutsche Zeitung die Zahlen aller Länder eingeholt. Das Ergebnis: Es sind mehr als 3300 Lehrerstellen unbesetzt. Die Suche geht weiter, eingestellt wird auch während des Schuljahres. Die mit Abstand größte Lücke klafft in Nordrhein-Westfalen. Zwar sind im bevölkerungsreichsten Bundesland allein zum Schuljahresbeginn 2883 neue Lehrer eingestellt worden - im Kalenderjahr 2017 summiert sich deren Zahl damit auf mehr als 5500. Doch 2139 Lehrerstellen sind nach wie vor unbesetzt.
Bremen setzt sogar auf Studenten
Erheblich ist auch der Mangel in Baden-Württemberg: Dort fehlen 635 Lehrer. 5100 Stellen waren ausgeschrieben, 4465 wurden bislang besetzt. Der Hauptgrund ist laut Ministerium eine große Pensionierungswelle, die viele Nachbesetzungen erfordere und noch drei bis vier Jahre lang spürbar sein werde. Eine Herausforderung, vor der alle Länder stehen: Im Schnitt sind die deutschen Lehrer die zweitältesten im gesamten OECD-Raum. Hinzu kommen zusätzliche Aufgaben wie die Inklusion, die Integration Hunderttausender Flüchtlingskinder, der Ausbau der Ganztagsschulen. Kritiker sagen, die Politik habe das Problem zu lange ignoriert und sich darauf verlassen, dass die Schülerzahlen weiter sinken werden. Ein Trugschluss.
Große Probleme hat auch Sachsen-Anhalt, wo 100 von 370 ausgeschriebenen Stellen nicht besetzt werden konnten. Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein melden unbesetzte Stellen im zwei- oder niedrigen dreistelligen Bereich. In Bremen fehlen etwa 90 Stellen, ein Drittel davon ist derzeit mit Masterstudenten besetzt. So gelinge es, "größeren Unterrichtsausfall" zu vermeiden, erklärt der Bildungssenat.