Verstaubt, verzopft, verzichtbar - das sind die Argumente, die nun wieder gegen Latein aufgeführt werden. Ein "Luxuswissen" sei die Sprache, ein exklusives Ding für dünkelhafte Großtuer, im Alltag allenfalls zu gebrauchen, um auf einer Party mit Sentenzen anzugeben. In der Debatte, die gerade wegen der Lateinpflicht für Gymnasiallehrer in den Sprachen, Geschichte, Religion und Philosophie entstanden ist, sind die Maßstäbe verrutscht.
Auf der einen Seite die Kritiker, hervorgegangen aus einer Bochumer Studenteninitiative - sie üben den Frontalangriff auf die alte Sprache, wollen sie am liebsten auf den Müllhaufen der Geschichte werfen, auch mittels oben genannter Argumente. Dem gegenüber steht die Lobby der Altphilologen, die mit der These durchs Land zieht, dass ein sinnvolles Leben ohne Latein schier unmöglich sei. Auch das ist Irrsinn.
Beiden Lagern kann man - in dem Kontext muss es erlaubt sein - mit Horaz kommen: "Est modus in rebus, sunt certi denique fines, / quos ultra citraque nequit consistere rectum." Frei übersetzt: Bei allen Dingen ist das rechte Maß zu finden - außerhalb gewisser Grenzen entsteht meistens Murks. Also eine Bestandsaufnahme: Warum soll Latein auch weiterhin in Schulen und Universitäten eine Rolle spielen?
Latein schult die Selbstdisziplin
Latein ist ein "Lernfach", ja. Aber auch im besten Wortsinne - man lernt viel. Schüler lernen, mit Sprache umzugehen, auch mit der eigenen. Mit Latein kann man das Lernen lernen, im Sinne einer systematischen Herangehensweise. Latein schult (auch wenn das Wort nicht mehr en vogue ist) die Selbstdisziplin. Dabei ist trotz der hohen Ansprüche der Nimbus der Quälerei und Paukerei nicht mehr aktuell: Deklinationsdiktatoren früherer Zeiten, die Grammatik wie militärische Übungen eintrichterten, gibt es kaum noch. Junge Lateinlehrer sehen sich nicht nur als Sprachdozenten, sondern als eine Art Kulturvermittler.
Latein ist Orientierung. Es macht ein Fenster auf, zu den Grundlagen von Kultur, Philosophie, Politik, das Schülern sonst eher verschlossen bleibt. Das, was Latein leistet, kann Geschichtsunterricht nicht leisten. Das Fach war teils Kürzungsopfer im achtjährigen Gymnasium, ganze Epochen werden in wenigen Stunden abgehakt.
Hinzu kommt: Ein Fach wie Latein, dessen ökonomischer Nutzwert nicht eins zu eins messbar ist, muss man pflegen. Bildung wird in der Gesellschaft nicht mehr als Wert per se definiert, es geht kaum um Bildung eines Menschen. Sondern um Bildung einer Arbeitskraft, um exakt anwendbares Wissen, das gefälligst in die Köpfe von Schülern zu verfrachten ist. Latein, als Schule des Lernens, als Schule des Denkens, als Fenster zur Kultur - es verschließt sich dem Zwang zur Ökonomisierung. Eltern und Schüler beweisen, dass Latein kein überkommener Bestandteil des Systems ist. Die Nachfrage ist steigend.