Plagiatsverdacht:Schavans Lebensleistung ist größer als ihre Dissertation

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Der Fall Schavan zeigt: Die Wissenschaft muss Plagiatsvorwürfen nachgehen und gleichzeitig gemeinsame Leitlinien umsetzen, um die Folgen eines Plagiatsvorwurfs nicht dem Zufall zu überlassen. Doch es ist nicht die Aufgabe der Wissenschaft, über die Lebensleistung der Autoren zu urteilen.

Roland Preuß

Nach der Veröffentlichung eines Gutachtens zu Schavans Dissertation diskutiert die Wissenschaft darüber, welche Standards bei einer wissenschaftlichen Arbeit gelten müssen. (Foto: dpa)

Annette Schavan erfährt nach Tagen der Bedrängnis nun viel Rückhalt - nicht nur unter führenden Wissenschaftlern. Die Plagiatsvorwürfe aus der Universität Düsseldorf haben die Bildungsministerin von einem auf den anderen Tag in ein Schlachtfeld geworfen, in dem schon der Verdacht zur Waffe wird, wo Rücktrittsforderungen verschossen werden, und Wissenschaftler und Plagiatsexperten aufmarschieren wie verfeindete Truppen.

Die Vorgeschichte heizt den Streit zusätzlich an: Schavan hat die Dissertation vor 32 Jahren eingereicht, einem Zeitraum also, nach dem fast alle Straftaten verjährt sind, nicht aber Fehler einer Doktorarbeit. Und das Gutachten wurde vorzeitig an Medien gegeben, in einem Moment, in dem Schavan weitgehend wehrlos war, weil sie die Vorwürfe nicht genau kannte.

Der Fall Schavan ist speziell, doch er wirft allgemeine Fragen auf: Darf ein vor drei Jahrzehnten begangener Fehler wie ein Plagiat eine Lebensleistung zunichtemachen? Soll eine Universität im Jahr 2012 tatsächlich ein Werk von 1980 prüfen? Und ist es Zeit für neue Maßstäbe im Umgang mit akademischen Fehlern?

Es liegt in der Logik der Wissenschaft, jahrzehntealte Werke zu prüfen

Eine Antwort auf die letzte Frage deutet sich schon an. Namhafte Forscher sind dabei, die Grenze zu verschieben, was beim Schreiben wissenschaftlicher Arbeiten noch erlaubt sein soll. Der Fall Schavan eignet sich dazu, weil er ein Fall an dieser Grenze ist: sie hat die Autoren, bei denen sie sich absatzweise wörtlich bedient hat, ja in aller Regel genannt - nur eben nicht zitiert. Es sieht deshalb aus wie ihre eigene Leistung.

Dieses unsaubere Paraphrasieren wird von Unterstützern Schavans als zulässig, als üblich, allenfalls als Grauzone gesehen. Doch das ist es nicht. Diese Sicht weist vielmehr den Weg zu weicheren Standards, zu einer Beliebigkeit der Methoden, die den Kernauftrag der Wissenschaft berühren: neue Erkenntnisse zu liefern über das von anderen Erarbeitete hinaus - und sei es nur über eine Nische wie die Abwasserpolitik im Kaiserreich. Paraphrasen liefern keine neuen Erkenntnisse.

Dass auch heute Werke aus der Zeit geprüft werden, als Helmut Kohl noch nicht mal Kanzlerkandidat war, liegt in der Logik der Wissenschaft. Sie baut auf den Erkenntnissen anderer Forscher auf, gerade Dissertationen spielen dabei eine Schlüsselrolle - und selbst Schavans Befürworter sprechen von einer Doktorarbeit, die immer noch Gewicht habe. Auf diese Vorarbeit müssen sich Forscher verlassen können, egal wie sehr das Werk in die Jahre gekommen ist. Ein Plagiat kann auch nach 50 Jahren noch Schaden anrichten.

Angreifbar sind die Prüfverfahren selbst. Sie folgen den Regeln der einzelnen Universitäten: mal wird wie im Fall Schavan oder Guttenberg geprüft, ob jemand getäuscht hat, mal nicht. Gleichbehandlung sieht anders aus. Leitlinien, was untersucht werden muss, sind längst erarbeitet.

Nun ist es an den Universitäten, diese umzusetzen, um die Folgen eines Plagiatsvorwurfs nicht dem Zufall zu überlassen. Die Frage des Verfahrens umfasst auch die Frage der Vertraulichkeit, wie das Beispiel Schavan zeigt. Wer die Vertraulichkeit bricht, riskiert eine Vorverurteilung - und öffentlichen Druck, der eine seriöse Bewertung erschwert.

Die Wissenschaft ist in der Pflicht, Plagiatsvorwürfen nachzugehen, sonst würde sie sich selbst aufgeben. Es ist nicht ihre Aufgabe, über die Lebensleistung der Autoren zu urteilen. Tatsächlich kann ein Titelentzug aber den bürgerlichen Tod bedeuten: er kann den Ruf, die Arbeitsstelle und manchmal ein Vermögen kosten. Die Lebensleistung eines Politikers an einem Plagiat aufzuhängen, ist aber genauso verfehlt, wie die Bilanz eines Ministers auf die x-beliebige Affäre zu reduzieren, die zu seinem Rücktritt führt.

Denkbar wäre eine Verjährung für akademische Fehler

Diese faire Bewertung müssen Medien, Politiker oder Historiker leisten. Selbst wenn Schavans Titel aberkannt werden sollte, so schmälert dies nicht ihre Verdienste als langjährige Ministerin. Dies kann aber nicht bedeuten, dass ihre Arbeit nicht untersucht wird. Warum sollte sie verschont werden, frisch Promovierte aber nicht? Auch für sie ist ein Titelentzug ein tiefer Fall, der jahrelange Arbeit zunichte macht. Auch hier geht es um eine Lebensleistung, sie wird nur nicht öffentlich verhandelt.

Eine Ausnahmeregelung für gealterte Doktorarbeiten von Prominenten ließe sich schon praktisch nicht umsetzen. Denkbar wäre eine Verjährung für akademische Fehler. Doch sie schützt nicht vor Plagiatesuchern im Internet und ihren Vorwürfen. Hier kann sie sogar das Gegenteil bewirken, weil es keine Institution gäbe, welche die Vorwürfe offiziell ausräumen kann. Das wäre bei Straftaten nicht anders. Hätte Schavan vor 30 Jahren eine Bibliothek angezündet, bliebe sie trotz Verjährung nicht im Kabinett.

© SZ vom 17.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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