Kultusministerin Frauke Heiligenstadt:Handschrift hinterlassen

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Es geht auch konfliktfrei - Ministerin Frauke Heiligenstadt sprüht mit Kindern das Symbol "Gelbe Füße", das einen sicheren Schulweg markieren soll. (Foto: Ole Spata/dpa)

Die Halbzeit-Bilanz von Niedersachsens Schulministerin Frauke Heiligenstadt zeigt, wie viele Probleme ein solches Amt mit sich bringen kann.

Von Johann Osel, Hannover/München

Ohne Trillerpfeife schien in Niedersachsens Bildungspolitik nichts mehr zu gehen. Da fuhren im Januar Tausende Schüler aus allen Ecken des Landes, vom Harz bis Ostfriesland, nach Hannover, um lärmend zum Sitz von Kultusministerin Frauke Heiligenstadt zu ziehen. Sie wollten ihre Klassenfahrten wieder haben, viele Gymnasiallehrer hatten alle Ausflüge gestrichen - aus Protest gegen eine zusätzliche Unterrichtsstunde, wie sie Heiligenstadt eingeführt hatte. Oder beim Besuch der SPD-Politikerin im Osnabrücker Rathaus? Da wartete eine Horde wütender Lehrer auf sie, mit Trillerpfeifen, eben wegen der Arbeitszeit. Und kürzlich nach Beschluss ihres neuen Schulgesetzes? Ein Trillerpfeifen-Konzert vor dem Landtag, die Junge Union hatte eingeladen.

Der Job der niedersächsischen Schulministerin war zuletzt sicherlich nicht vergnügungssteuerpflichtig, ein Kampf an vielen Fronten. Vergangene Woche ist eine neue hinzugekommen: Die seit 2014 geltende Zusatzstunde für Lehrer ist verfassungswidrig, entschied das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg - und grätschte damit mitten hinein in die Politik der Ministerin.

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Von 2017 an sollen sich alle Bundesländer für ihre Abiturprüfungen aus einem gemeinsamen Aufgabenpool bedienen - zumindest in einigen Fächern. Ob das Abi damit wirklich gerechter wird, ist allerdings fraglich.

Spricht man mit Heiligenstadt in diesen Tagen, wirkt sie pragmatisch. Es war ja alles gut gemeint: Die Lehrer unterrichten etwas mehr, das gesparte Geld fließt zum Beispiel in den Ausbau der Ganztagsschulen. Sie hält es für "vertretbar", die Zahl der Unterrichtsstunden von 23,5 auf 24,5 pro Woche zu erhöhen, das übersteige nicht das Niveau der meisten anderen Länder. Die Lehrer konterten: Abseits der Tafel gebe es so viele Aufgaben, dass man auf 40 Stunden oder mehr komme. Es folgte der Boykott der Klassenfahrten und Ausflüge, der politische Krach wurde ausgetragen auf dem Rücken der Schüler. Bis zum Urteil des Lüneburger Gerichts, Heiligenstadt spricht von einer "bitteren Niederlage". Ausgestanden ist die Sache damit längst nicht.

Es sind Chaostage in Hannover, so könnte man die Lage beschreiben. Die Ministerin muss reagieren. Für fast 700 000 Schulstunden im Jahr braucht sie neue Lehrer, 740 Stellen laut Schätzung. Doch woher sollen die so hurtig kommen? Vielleicht können Teilzeitkräfte vorübergehend mehr unterrichten? Mit den Lehrergewerkschaften spricht die Ministerin an diesem Donnerstag. Der konservative Philologenverband und die linke GEW - sich sonst meist spinnefeind - waren Seit' an Seit' im Protest gestanden. Heiligenstadt muss auch mit dem Finanzminister sprechen, es gab keinen Plan B, ein Nachtragshaushalt muss her. Parallel warten die Hausjuristen auf die schriftliche Urteilsbegründung, eine Beschwerde wäre denkbar. Glücklich immerhin sind die Schülervertreter, viele Lehrer wollen den Fahrten-Boykott nun beenden.

Das sind die Folgen des Urteils. Und die Folgen für Heiligenstadt? Reif für den Rücktritt, meinen CDU und FDP. Sie selbst sagt: "Ich bin es gewohnt, die Ärmel hochzukrempeln, das wird weiterhin der Fall sein." Und das passt zu ihrer Amtszeit bisher, zu zweieinhalb Jahren mit viel Reformpolitik. Ihre Halbzeit-Bilanz zeigt mustergültig, wie sehr Landesregierungen in der Bildungspolitik ihre Handschrift zeigen wollen und auch können; und sie zeigt, welche Probleme man dabei bekommen kann.

Als Anfang 2013 Ministerpräsident Stephan Weil sein rot-grünes Kabinett berief, war die Personalie Heiligenstadt kaum überraschend. Die Verwaltungswirtin, 49, hatte sich als Bildungsexpertin der Opposition etabliert und sollte mit dem Regierungswechsel die Schulen umkrempeln. Sozialdemokratisieren. Die CDU in Hannover geriet schnell in Schnappatmung. Im neuen Gesetz werden die Gesamtschulen aufgewertet, die oft wie Gymnasien das Abitur anbieten. Es gibt Impulse für den Ganztagsunterricht, wo Niedersachsen im Ländervergleich schlecht dasteht. Die Regierung kassierte die verpflichtende Schulempfehlung nach der vierten Klasse. Insgesamt geplant: ein gerechteres System.

Heiligenstadt verweist oft darauf, dass sie als Kind einer sechsköpfigen Arbeiterfamilie Widrigkeiten beim Aufstieg erlebt habe. Aus Überzeugung, es müsse gerechter zugehen, ist sie mit 16 der SPD beigetreten. Sie wisse, "wie schwierig es ist, sich durch das Leben zu schlagen und Abitur zu machen, ohne Markenjeans tragen zu können". Zudem hat Niedersachsen als erstes Land das G 8 beerdigt, Schüler haben hier wieder neun Jahre bis zum Abitur. "Ich bin nicht der Typ für halbherzige Regelungen", sagt die Ministerin.

Offenbar fühlt sie sich ganz wohl an der Front. Zum dichten Reformprogramm hinzu kam die Arbeitszeit-Causa, es gab weitere Scharmützel und einige Malheure. Unlängst wurde auf der Homepage eines Gymnasiums nahe Bremen ein Bericht über eine Schüler-Demo zensiert - in Absprache mit dem Ministerium. Es gab eine deutschlandweit zitierte Meldung, dass Heiligenstadt wegen der nächtlichen WM-Fußballspiele 2014 einen späteren Schulbeginn anordnet; dabei hatte sie nur auf laut Gesetz theoretische Optionen für Schulleiter verwiesen. Sie will zudem, dass Schüler für Toleranz gegenüber Homosexualität sensibilisiert werden. Ein löbliches Anliegen - doch so hat Heiligenstadt auch noch nörgelnde Bischöfe und homophobe Kleingeister an der Backe. Zumindest die Schüler brauchen, wenn sich das Chaos lichtet und Klassenfahrten wieder stattfinden, wohl keine Trillerpfeifen mehr.

© SZ vom 18.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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