Gülen-Bewegung:Weltliche Fassade

Eine schwäbische Mädchenschule mit Internat wird von Anhängern des türkischen Predigers Gülen betrieben. Sein Netzwerk verfolgt religiöse Ziele. Doch die Schulleitung streitet den Zusammenhang ab.

Von Stefanie Schoene

Günther Strecker wird laut: "Nein, die Schule gehört zu keinem Netzwerk. Das sind Erfindungen der Presse!" Vier Jahre lang leitete der pensionierte Schuldirektor die Mindeltalschulen in Jettingen-Scheppach, von der Gründung im Jahr 2009 bis 2013. Das Schulzentrum zwischen Augsburg und Ulm vereint Gymnasium, Realschule und Internat. An diesem Julitag feiert es sein zehnjähriges Bestehen. Auch Streckers Nachfolgerin und Thomas Schropp, der heutige Direktor, sind da. Draußen auf dem Parkplatz stehen mehr als hundert Autos aus Bayern, Baden-Württemberg, Österreich und der Schweiz. Drinnen im Erdgeschoss sieht man Schuhpaare vor einer Tür, im Raum dahinter knien Männer auf einem Teppich. Dann wird schnell die Tür zugezogen. "Ach, das ist nur ein Büro", sagt Schulleiter Schropp. Kein Gebetsraum? "Nein, ein Büro. Mal auch Versammlungsraum."

Die Internatsschule für Mädchen wurde von fünf muslimisch-türkischen Vereinen gegründet, alle im schwäbischen und oberbayrischen Umkreis - und alle seit Mitte der 90er-Jahre Pioniere der Gülen-Bewegung in der Region. Das Netzwerk des türkischen, in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen umfasst in vielen Teilen der Welt Bildungseinrichtungen vom Nachhilfezentrum bis zur Universität, Wohnheime, Krankenhäuser, Berufsverbände, Bau-, Finanz- und Medienunternehmen. Den einen gilt es als fromme soziale Vereinigung, die für einen friedfertigen Islam steht, andere sehen darin ein sektenähnliches Kollektiv.

Der Twitteraccount der Internatsleiterin verrät ihre Verbindung zu der Bewegung

Auch eine Augsburger Sozialarbeiterin, der zusammen mit einem Arzt im Anfangsstadium der Mindeltalschulen die Leitung angeboten worden war, äußert sich ablehnend. "Die Cemaat war mir schon immer suspekt, auch theologisch", sagt sie. "Als ich klein war, erzählte man sich in Augsburger Moscheen Wundertaten von Gülen, zum Beispiel, dass er an mehreren Orten gleichzeitig sein könne." Cemaat bedeutet "Gemeinde", aber in dem Begriff schwingt mehr mit: die Idee einer konspirativen, hierarchisch gegliederten Gemeinschaft, die abgeschottet von der Allgemeinheit ihre eigene Agenda verfolgt. Die Sozialarbeiterin und der Arzt schlugen das Angebot aus.

Zum Jubiläum der Schule sind Hunderte Gäste gekommen. Sie bedienen sich im Hof an Getränkeständen und Grillstationen, viele Frauen tragen Kopftuch. Die Schule steht im Jettinger Industriegebiet, ein umgebautes Bürogebäude und ein fünf Millionen Euro teurer Neubau. 121 Schülerinnen besuchen die private, staatlich genehmigte Einrichtung, die der Freistaat Bayern mit etwa 720 000 Euro jährlich bezuschusst. Nach außen präsentiert sie sich als weltliche Internatsschule, mit bayerischem Lehrplan und Ethikunterricht. Der Name Gülen oder das Wort Hizmet (Dienst), wie sich die Bewegung selbst nennt, tauchen nirgends auf. Mädchen aus Einwandererfamilien sollen hier Chancen auf gute Schulabschlüsse bekommen, die ihnen in an anderen Schulen versagt blieben, erklärt Thomas Schropp. Eine Verbindung des Schulträgers zum Gülen-Netzwerk existiere nicht, Geld fließe keines.

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan macht für den Putschversuch in der Türkei vor drei Jahren Fethullah Gülen und seine Bewegung verantwortlich. Erdogans Anhänger sehen das ebenso. Seit dem Sommer 2016 werden Mitglieder des Netzwerks in und außerhalb der Türkei verfolgt. Die Bewegung besaß nach eigenen Angaben fünf Millionen Anhänger im Land. Ihre religiösen Seilschaften waren auf allen Ebenen etabliert, von Stadtteilen bis in die hohe Administration. Heute gilt das Netzwerk, von dem weite Teile der türkischen Gesellschaft glauben, es hätte mit dem Putsch endgültig den Staat übernehmen wollen, in der Türkei als handlungsunfähig. Im übrigen Europa reorganisiert es sich, besonders erfolgreich in Bosnien und Deutschland, Staaten, die keine Gülen-Anhänger an die Türkei ausliefern.

Hätte sich die Bewegung erst in Schweigen gehüllt, seit ihre Anhänger gejagt werden - es wäre nachvollziehbar. Aber so ist es nicht. Schon lange vor dem Putschversuch verfolgte sie ihre Ziele im Stillen, in Deutschland ebenso wie in der Türkei. Mit dem Unterschied, dass hier die Mehrheitsgesellschaft bis auf wenige Experten nicht über das Netzwerk Bescheid weiß. Dass es zahlreiche Kindergärten, 75 Nachhilfezentren, 300 Vereine und ungezählte Wohngemeinschaften religiös engagierter Studenten nutzt, um Kinder und Jugendliche mit den Geschlechter- und Gesellschaftsvorstellungen eines orthodoxen sunnitischen Weltbilds zu versorgen, ist in Deutschland weitgehend unbekannt. Nach dem Putschversuch versprach die Stiftung Dialog und Bildung in Berlin, die nach eigener Aussage "über die Aktivitäten von Hizmet in Deutschland" informiert, eine neue Transparenz. Auf die Bitte der Süddeutschen Zeitung, für die Recherche zu diesem Artikel die 22 Schulen der Gülen-Bewegung aufzulisten, antwortete sie allerdings, dies sei nicht möglich, weil die jeweiligen Trägervereine sich alle "unterschiedlich definieren".

Eine dieser 22 Schulen ist die in Jettingen-Scheppach. Doch Sadettin Akpolat, der Geschäftsführer des Trägers, der Vision Privatschulen GmbH, streitet, wie so viele andere Führungspersönlichkeiten der Bewegung, eine Zugehörigkeit zunächst ab. Dabei stammt er nachweislich aus der Gülen-nahen Münchner Szene und hat für deren dortigen Nachhilfeverein als Lehrer gearbeitet. Erst auf mehrfache Nachfrage erklärt Akpolat, dass er auch in einem Lichthaus gewohnt habe. Lichthäuser nennen Gülen-Anhänger die studentischen Wohngemeinschaften, in denen Gebete und Koranstudium zur täglichen Routine zählen und in die sie Kinder und Jugendliche zum Islamunterricht schicken.

Auch seine Frau Sümeyra Akpolat gehört zur Bewegung. Sie leitet das angeschlossene Internat, in dem 123 Mädchen in Dreierzimmern untergebracht sind. 51 besuchen das Gymnasium, 72 die Realschule. Ihr Twitteraccount zeigt seit 2013 kontinuierlich Meldungen aus dem direkten Umfeld Fethullah Gülens. Für ein Gespräch mit der SZ steht Sümeyra Akpolat nicht zur Verfügung. Ihr Mann erklärt, außer ihr und einer Stellvertreterin gebe es noch 13 Ablas, zu Deutsch: große Schwestern. So werden in der Bewegung Frauen in führenden Positionen bezeichnet. Mit Gülen habe das aber nichts zu tun, behauptet Akpolat, die Ablas seien normale "Mentorinnen". Seltsam verschlossen ist auch der Internatsbereich der Website. Während der schulische Bereich über Unterrichtsangebote und das Lehrerkollegium informieren, wird das Internat auf dürren 17 Zeilen erklärt. Der einzig mögliche Klick auf "Aktivitäten" führt zu vier Fotos, die den Besuch einiger Schülerinnen in einem Seniorenheim zeigen. Wer über das Personal und das Leitbild des Internats etwas erfahren will, findet auf der Website nichts.

Eine Lehrkraft vermutet, das Internat solle hinter der Schule versteckt werden. Dort werde ein konservativer Islam gelebt, so ihr Eindruck. So habe vor einiger Zeit die Geschäftsführung die damals einzige türkischstämmige Lehrerin aufgefordert, lange geschlossene Kleidung zu tragen und die Hälfte ihres Gehalts an die Schule zurückzuspenden. Die Lehrerin habe daraufhin gekündigt. Aktuell seien rund 90 Prozent der Schülerinnen türkischstämmig. Viele würden auf Unterrichtsthemen wie Nahostkonflikt, Frauenrechte oder Homosexualität ablehnend reagieren. Kritische Mädchen hätten das Internat indes als "Gefängnis" beschrieben und das Verbot ärmelloser T-Shirts oder die Anweisung, sich vor Gebeten abzuschminken, als Übergriff empfunden. Und die Ablas im Internat seien keine Fachkräfte, sondern islamisch korrekt gekleidete Studentinnen. Auch Sümeyra Akpolats Gülen-Karriere begann als Abla in Jettingen.

Einige Lehrkräfte sind besorgt. Fünftklässlerinnen zeigten im Ramadan Schwächesymptome

In der Schule selbst gibt es das Fach Ethik, aber keinen Religionsunterricht. Umso intensiver finde die religiöse Erziehung im Internat statt, glaubt die Lehrkraft. Da Fünftklässlerinnen im diesjährigen Ramadan Symptome von Schwäche, Schlaf- und Flüssigkeitsmangel im Unterricht gezeigt hätten, sei ein Streit zwischen Lehrern und Internatsleitung entbrannt: "Wir Lehrer waren besorgt und haben der Geschäftsleitung geschrieben, bekamen jedoch keine Antwort." Den Brief habe er ans Internat weitergereicht, sagt Akpolat - an seine Frau. Die kritisierten Vorfälle habe es aber nicht gegeben. "Märchen", sagt auch Schulleiter Schropp.

Schropp bleibt dabei: Seine Schule habe keine Verbindung zu einem türkischen Netzwerk. Auch die Teilnahme von Schülerinnen an einer Wissensolympiade in Sarajewo im vergangenen Februar habe nichts mit Gülen zu tun. Dabei gelten solche Wettbewerbe als Drehscheiben für die Bewegung. In Bosnien ist das Netzwerk seit 25 Jahren aktiv. Zudem wurde die Olympiade von Nachfolgern der Bildungsorganisation Bosna Sema organisiert. Amerikanische und britische Unternehmen, die Gülen nahestehen, hatten Bosna Sema nach dem Putsch aufgekauft, um 15 angeschlossene Schulen und Universitäten vor dem Zugriff Erdoğans zu retten. Aber solche Zusammenhänge verschweigt die Bewegung - offenbar auch gegenüber dem Schulleiter.

Es bleibt die Frage: Wozu das Abwimmeln, Nichtwissen, Verschleiern? Gibt es eine politische Agenda, wie sie in der Türkei sichtbar wurde? Der Islamwissenschaftler Florian Volm unterstellt das nicht: "Gülens Ideale sollen zwar intern durchgesetzt werden, aber nicht zwingend gesamtgesellschaftlich." Der Konstanzer Politikwissenschaftler Jan-Markus Vömel zählt das Netzwerk dagegen sehr wohl zum politischen Islam. Zumindest in der Türkei sei es um eine "jahrzehntelang erarbeitete Macht im Staat" gegangen.

Und warum schalten die Schulleiter nach zehn Jahren immer noch auf Durchzug? Auch der zuständigen Schulaufsichtsbehörde in Augsburg dürfte es schwerfallen, das zu erklären. Fragen der SZ nach dem Gülen-Hintergrund und der religiösen Ausrichtung der Trägervereine kann die Dienststelle nicht beantworten: Ihr lägen dazu keine Erkenntnisse vor.

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