Wirtschaft kontra Naturschutz:Hickhack am Schliersee

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Auf diesem Grundstück am Schliersee will die Firma Sixtus bauen - mitten im Landschaftsschutzgebiet. Das polarisiert Gemeinde und Kreisbehörde. (Foto: Matthias Köpf)

Darf die Firma Sixtus ihre Fußsalben künftig im Landschaftsschutzgebiet produzieren?

Von Matthias Köpf, Schliersee

Wenn an diesem Samstag der Sixtus-Lauf um den Schliersee führt, dann werden die Sportler nach knapp zwei Kilometern aus dem Schlierseer Ortsteil Unterleiten herauslaufen und dann einen sanften Hügel, eine feuchte Wiese und die ehemalige SA-Gruppenschule links liegen lassen, die längst eine schmucke Wohnanlage ist. Danach werden sie links erst einmal nur noch den freien Berghang und rechts das Seeufer neben sich haben. Dass die feuchte Wiese als Biotop gilt, wird den Läufern auf die Schnelle kaum auffallen, denn die Sumpfdotterblumen sind schon verblüht. Genau hier will der Sponsor des Laufs, der Salben- und Fußpflegehersteller Sixtus, sein neues Produktionsgebäude errichten. Das Vorhaben polarisiert die Gemeinde Schliersee und auch die Kreisbehörde in Miesbach, denn der Bauplatz liegt im Landschaftsschutzgebiet. Doch ohne Eingriff in so ein Schutzgebiet ließe sich in der Gegend fast gar nichts mehr bauen.

Der Grund dafür liegt einige Jahrzehnte in der Vergangenheit. Um die widerwilligen Bauern nicht mit allzu vielen Naturschutzgebieten zu behelligen, entschied man sich im Landkreis Miesbach in den 1950er Jahren, stattdessen lieber großflächig Landschaftsschutzgebiete auszuweisen. Die erstrecken sich heute auf etwa die Hälfte des Kreises und praktisch den gesamten Süden rund um den Tegernsee und den Schliersee. Die Gemeinden hatten damit wenig Probleme, solange jeder neue Bebauungsplan die betreffende Fläche automatisch aus dem Schutzgebiet schnitt. Doch das hat der Bundestag schon lange geändert. Seither muss der Miesbacher Kreistag für jedes Vorhaben je nach Größe eine Befreiung erteilen oder die Fläche ganz aus dem Schutzgebiet nehmen. In einer Gegend, die zu einem großen Teil vom Tourismus und damit von ihrer möglichst unberührten Alpenlandschaft lebt, führt das regelmäßig zu heftigen Debatten. Als größte Sündenfälle der jüngeren Vergangenheit galten vielen eine Wellness-Herberge bei Waakirchen und besonders die Abfüllanlage der Tegernseer Brauerei in Kreuzstraße nahe Gmund. Am Tegernsee gibt es immer wieder Auseinandersetzungen um neue Wohnbaugebiete und Hotelprojekte.

Gerade im Vergleich zum Tegernsee legen die Schlierseer großen Wert darauf, dass ihre Seeufer noch weitgehend unverbaut sind. So werden die Läufer am Samstag auf der kurzen 7,5-Kilometer-Runde, die direkt am Ufer entlang führt, im Süden bei Fischhausen an Bootshütten und einigen verstreuten Häusern vorbeikommen und dann am Westufer an waldigen Hängen entlang nur einen Campingplatz passieren, ehe sie wieder im Ort ankommen.

Andererseits aber führt am Westufer eine Bahnlinie entlang und am Ostufer eine viel befahrene Bundesstraße. Zudem ist auch die Firma Sixtus für die Schlierseer von emotionaler Bedeutung. Der einstige Familienbetrieb wurde 1931 dort gegründet und heißt mit vollem Namen heute "Sixtus Werke Schliersee GmbH", obwohl das Werk 1980 auf ein ehemaliges Bergwerksgelände im benachbarten Hausham umgezogen ist. 2013 übernahm der Miesbacher Verpackungshersteller Kroha das kriselnde Unternehmen, 2015 stieg zudem der Fußballer Philipp Lahm mit seiner Beteiligungsgesellschaft ein. Nun zieht es Sixtus zurück nach Schliersee, wo - nur durch die Bundesstraße vom Ufer getrennt - eine Erlebnis-Manufaktur entstehen und Kunden anlocken soll.

Während die Anhänger das auch als touristischen Faktor sehen und daran erinnern, das Sixtus allerlei Alpenkräuter und Bergwiesenheu aus dem nahen Fischbachau verarbeite und daher ideal in die eigene regionale Vermarktungs- und Wertschöpfungsstrategie passe, sehen die Kritiker vor allem den Landschaftsverbrauch, zusätzlichen Verkehr und ein Sakrileg am Seeufer. Auf einem Teil der Fläche stand freilich früher eine Limonadenfabrik. Nachdem sich lange kein gewerblicher Nachnutzer fand, plante die Gemeinde dort zuletzt einige Wohnhäuser. Mit so einem Baugebiet ließe sich für die Gemeinde wesentlich mehr erlösen als mit einer Gewerbefläche, führen die Kritiker gegen die Sixtus-Pläne ins Feld, doch der Gemeinderat entschied sich nach harten Debatten trotzdem mehrheitlich für Sixtus.

So hielten es nun auch die Miesbacher Kreisgremien, wobei im Umweltausschuss die Stimme des grünen Landrats Wolfgang Rzehak den Ausschlag für die Gewerbeansiedlung gab. Für einen Discounter hätte er keinen Quadratmeter Landschaftsschutz geopfert, sagt Rzehak, dessen innere Abstimmung nach eigenen Worten mit 51 zu 49 für das Vorhaben ausgegangen ist.

Auch die Kreisverwaltung zeigte sich ganz im Gegensatz zu früheren Miesbacher Gepflogenheiten gespalten: Die Bauverwaltung sprach sich für das Vorhaben aus, die Naturschutzabteilung dagegen. Der Kreistag schließlich stimmte am Mittwoch mit größerer Mehrheit für Sixtus - und nahezu einstimmig dafür, den Ball zurück an den Schliersee zu spielen: Er machte die Herausnahme aus dem Schutzgebiet von einem entsprechenden Ergebnis eines Bürgerentscheids abhängig, für den im streitbaren Schliersee längst Unterschriften gesammelt werden.

© SZ vom 06.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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