Wahlverlierer der SPD Rosenheim:Die Entwurzelten

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Abuzar Erdogan, SPDler aus Rosenheim. (Foto: oH)

Im Kreis Rosenheim ist die SPD von der parlamentarischen Landkarte verschwunden. Das Landtagsmandat: weg. Das Bundestagsmandat: weg. Trotzdem lästern die Sozialdemokraten über die "Volksfestgrüßgottsager" von der CSU.

Von Sebastian Beck

Das also ist der Wahlverlierer der SPD in Bayern: Ein smarter Jüngling von 19 Jahren. Wenn er redet, dann lächelt er freundlich, und auch sonst wirkt er kein bisschen traurig. "Für den Anfang ganz okay", sagt Abuzar Erdogan über sein Abschneiden bei der Bundestagswahl. Um genau zu sein: Es waren 12,5 Prozent der Erststimmen, die Erdogan am vergangenen Sonntag im Wahlkreis 223 Rosenheim holte.

Sogar nach bayerischen SPD-Maßstäben ist das mies. Kein anderer Direktkandidat der Sozis schnitt so schlecht ab wie Erdogan, obwohl ihm seine Parteifreunde eine große politische Zukunft prophezeien: "Das ist Personalentwicklung für uns", sagt Maria Noichl. Für die SPD im Bundestag wäre ein Typ wie er jedenfalls eine "totale Bereicherung" gewesen.

Noichl zählt ebenfalls zu den Verlierern. Sie scheiterte eine Woche vor Erdogan bei der Landtagswahl. Fünf Jahre lang gehörte die Lehrerin aus Rosenheim dem Parlament an. Eine resolute Oberbayerin, Agrarexpertin der Fraktion, mit 46 im besten Alter für Politik. Zwar hatte sie ihr Unglück mit Blick auf die oberbayerische SPD-Liste schon geahnt - "ich bin ja nicht doof" -, trotzdem sitzt sie jetzt im Bürgerbüro und hadert mit ihrem politischen Schicksal, aber auch mit dem Votum der Wähler. CSU-Justizministerin Beate Merk zum Beispiel: Warum die nach dem Fall Mollath so viele Stimmen bekam? Noichl schüttelt den Kopf: "Ich kann es nicht verstehen."

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Für die SPD im Landkreis Rosenheim waren die Wahlen ein schwerer Schlag: Binnen einer Woche ist die Partei von der parlamentarischen Landkarte verschwunden. Nachdem die Bundestagabgeordnete Angelika Graf altersbedingt ausschied und ihr Nachfolger Erdogan nur Platz 39 auf der SPD-Landesliste erhielt, war schon lange klar: Das Bundestagsmandat ist weg. Grafs Kollegin Maria Noichl betont zwar, dass sie bei der Landtagswahl die drittmeisten Zweitstimmen der SPD in Oberbayern bekam, genützt hat es ihr nichts. Auch Noichls Landtagsmandat: weg.

Für die Sozialdemokraten in der Region bedeutet das: Sie verlieren zwei kompetente Ansprechpartnerinnen, die beiden Bürgerbüros der Abgeordneten müssen schließen, einzig die SPD-Bezirksgeschäftsstelle in Rosenheim bleibt übrig - und die Frage: Warum tun sich die Sozis so schwer im zweitgrößten Landkreis Bayerns mit immerhin fast 250 000 Einwohnern und einer ansehnlichen Stadt in seiner Mitte? Ein SPD-Direktmandat für Erdogan wäre illusorisch gewesen, dass er aber mit 12,5 Prozent der Erststimmen hinter dem Rosenheimer Zweitstimmen-Ergebnis der Partei von 14,8 Prozent zurückgeblieben ist, das spricht nicht unbedingt für ihn.

Ein 19-Jähriger Juso mit kurdischen Wurzeln, Jurastudent im dritten Semester und angehender Intellektueller - das war womöglich ein bisschen zu viel auf einmal für die konservative Bürgerschaft in Südostbayern. Sie wählten lieber zum dritten Mal die CSU-Politikerin Daniela Ludwig als Direktkandidatin in den Bundestag. Auf deren Homepage kann man Ludwig unter anderem zusammen mit Kanzlerin Angela Merkel sehen, dem Papst, einem Hühnerhalter, Parteichef Horst Seehofer und anderen ganz Wichtigen, was heißen soll: Daniela Ludwig, die stellvertretende Chefin der CSU-Landesgruppe, ist auch eine ganz Wichtige.

Ihren SPD-Konkurrenten kennt sie eher flüchtig. Er war mal Schüler ihres Ehemanns, zweimal hat sie ihn auf Podiumsdiskussionen erlebt, sonst fällt ihr wenig zu Erdogan ein. Außer: "Die Verwurzelung der SPD im Landkreis ist sehr überschaubar." Ludwig und die CSU setzen auf das bewährte Rezept: Rosenheimer Herbstwoche, große Trachtenfeste - "Präsenz ist Pflicht, wo die Leute sind", sagt Ludwig. An diesem Wochenende steht für sie die Herbstwallfahrt des Katholischen Männervereins Tuntenhausen auf dem Plan. So geht das bei der CSU. Die Partei ist praktisch ständig im Wahlkampfmodus. Wenn man sich in Berlin auch noch für diverse Verkehrsprojekte einsetzt, dann kann in Rosenheim nur noch wenig schief laufen.

Erdogan hat sich auch eine Lederhose gekauft, obwohl er sich vor fünf Jahren noch dagegen gewehrt hätte, wie er sagt. Nun gut, da war er 14. Das grelle Bajuwarentum der CSU ist ihm und den Genossen suspekt. Er wolle sich nicht bloß deshalb verändern, um jemanden politisch anzusprechen. Noichl pflichtet Erdogan bei. Es müsse doch möglich sein, dass auch ein junger Mann wie er in den Bundestag komme, und nicht nur "Volksfestgrüßgottsager".

Der Abu, wie Erdogan von den Parteifreunden genannt wird, redet lieber über die ganz großen Themen. In die SPD ist er eingetreten, weil die Partei 1933 gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt hat. Das hat ihm, dem Sohn von Einwanderern, imponiert. Und das unterscheidet Erdogan von den vielen Bierfest-JUlern der CSU. Die SPD, doziert er, sei eine Programmpartei. Ihm geht es um Altersarmut, Bildungsgerechtigkeit, Mindestlohn. Bloß, im prosperierenden Rosenheim, wo sich selbst Verlierer nie als Verlierer bezeichnen würden, dringt man damit schlecht durch.

Zumal dann, wenn in der Rhetorik noch ein bisschen der Sozialkundeunterricht durchscheint. "Im Grunde genommen besteht die SPD aus Akademikern", sagt Erdogan. Den "primären und sekundären Sektor" - also Landwirtschaft und Industrie -, den gebe es so nicht mehr. Das engt die Klientel der Ex-Arbeiterpartei SPD doch ziemlich ein. Gewerkschafter, aber vor allem Lehrer zählen zu den treuen Gefolgsleuten im Landkreis. Und von denen sind viele älter als 50, auch wenn Erdogan neuerdings ein paar Jusos anlocken konnte. All das reicht in Bayern für 20 Prozent bei Wahlen, in Rosenheim für deutlich weniger. Wer hier zu den Einflussreichen gehört, wer an die Macht möchte, der geht zur CSU.

Der SPD-Kreisvorsitzende Manfred Bischoff, 64, attestiert Erdogan "erstaunlich reife Positionen". Seine Kandidatur sei keinesfalls eine Notlösung gewesen. Dahinter stecke strategisches Kalkül: "Wir wollen ein Alleinstellungsmerkmal." Das hat die SPD jetzt, aber anders als gewollt. Erdogan konzentriert sich erst einmal auf die Kommunalwahl im Frühjahr, bei der er für den Stadtrat kandidiert. Seit März ist er Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Rosenheim Innenstadt. Ein- oder zweimal noch müsse er bei der Bundestagswahl antreten, heißt es in der Partei, dann könne er mit einem aussichtsreichen Listenplatz rechnen. Das wäre dann voraussichtlich im Jahr 2021. Abu muss tapfer sein.

Maria Noichl geht als Lehrerin für Werken zurück an die Mittelschule. Von ihrer Tätigkeit als Abgeordnete bleiben ihr unter anderem der Jagd- und der Fischereischein. Und ja, ein Gefühl der Wehmut: Die Land- und Forstwirtschaft, in die sie sich so hart eingearbeitet hat, ist ihr ans Herz gewachsen. Sie hätte gerne weitergemacht. Aber die Wähler, die undankbaren, wollten es anders. Und sie will sich nicht verbiegen, auch wenn das Stimmen kostet. Die Rosenheimer Trachten- und Bussigesellschaft - nichts für Noichl, nichts für Erdogan.

Und wenn dann auch bei den nächsten Wahlen wieder die CSU gewinnt? Noichl sagt kühl: "Dann ist es so."

© SZ vom 28.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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