14-Jähriger prügelt auf Mitschülerin ein:Schüler muss sich wegen versuchten Mordes verantworten

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Kiefer, Nase, Zähne, Jochbein - alles zertrümmert: Wieder und wieder soll ein Schüler mit einem Stein auf eine 13-Jährige eingeschlagen haben. Das Landgericht Weiden muss nun vor allem eine Frage beantworten: Warum?

Von Wolfgang Wittl, Waldsassen

Die Wut, die einer solchen Tat zugrunde liegen muss, ist schwer zu begreifen. So unbegreiflich wie die Fülle der grausamen Verletzungen, die ein 14-Jähriger einer 13-Jährigen zuzufügen vermag. Wieder und wieder soll der Schüler mit einem Stein auf sein Opfer eingeschlagen haben, wieder und wieder, bis das Gesicht des Mädchens zermalmt ist: Kiefer, Zähne, Nase, Jochbein sind zertrümmert, auch der Schädel weist Frakturen auf. Von Mittwoch an wird sich der mutmaßliche Täter vor dem Landgericht Weiden deshalb wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung verantworten müssen. Bei einem Schuldspruch erwarten ihn bis zu zehn Jahre Haft.

Waldsassen steht unter Schock, als die Runde macht, was sich am 8. Oktober 2013 in der Kleinstadt in der nördlichen Oberpfalz zugetragen hat. Das türkische Mädchen, das an diesem Abend nicht nach Hause zurückkehrt, gilt als zuverlässig. Die Eltern sind besorgt, sie rufen die Polizei, auch Freunde und Verwandte begeben sich auf die Suche. Als sie die 13-Jährige eine Stunde vor Mitternacht finden, stockt ihnen der Atem: Das blutüberströmte Mädchen liegt in einer leeren Fabrikhalle, vermutlich Stunden schon, versteckt unter alten Kartons. Vom Krankenhaus Weiden wird sie ins Uniklinikum Regensburg verlegt, Ärzte unterziehen sie einer mehrstündigen Notoperation. Waldsassen setzt sofort ein Zeichen: An einer spontanen Lichterprozession für ein friedliches Miteinander beteiligen sich etwa 500 der 7000 Einwohner, Tage später demonstrieren in Regensburg weitere 250 Menschen, sogar der türkische Generalkonsul stattet der Oberpfalz einen Besuch ab.

Die Polizei ist dem mutmaßlichen Täter zu diesem Zeitpunkt bereits auf die Spur gekommen, er besucht dieselbe achte Klasse wie das Opfer. In ersten Vernehmungen räumt der Junge das Geschehen ein. Er sei wütend auf das Mädchen gewesen, habe er gesagt. Dennoch bleiben Fragen. Die Erforschung des Motivs werde daher "eine wesentliche Rolle spielen", teilt ein Sprecher des Landgerichts mit. Ausländerfeindliche Hintergründe sind nach derzeitigem Ermittlungsstand offenbar ebenso auszuschließen wie ein Sexualdelikt.

38 Zeugen und drei Gutachter

Fühlte sich der 14-Jährige von dem Mädchen in falsch verstandenem Stolz verletzt? Hatte er sich mehr erhofft als eine lose Freundschaft? Klarheit herrscht über das sogenannte Tatwerkzeug: einen Schotterstein von 217 Gramm - nicht sechs Kilo, wie mitunter spekuliert, und auch keine abgebrochene Bierflasche. Vier Verhandlungstage sind angesetzt, 38 Zeugen und drei Gutachter sollen gehört werden. Die Öffentlichkeit ist von dem Jugendstrafverfahren ausgeschlossen.

Ob das Mädchen dem Prozess persönlich beiwohnen wird, ist fraglich. Die Familie, die als Nebenkläger auftritt, wolle sich bis auf Weiteres nicht äußern, lässt sie über ihren Rechtsbeistand Burkhard Schulze ausrichten. Das Mädchen leide bis heute an einem posttraumatischen Belastungssyndrom, in die Schule hat es seit jenem Tag keinen Fuß mehr gesetzt. Auch in der Stadt lasse sich die inzwischen 14-Jährige kaum sehen. In der Anonymität einer Großstadt wäre dies womöglich anders, sagt ihr Rechtsanwalt. Da die Familie des mutmaßlichen Peinigers aber immer noch in Waldsassen wohne, traue sich das Mädchen nur selten auf die Straße. Der Beschuldigte ist seit Monaten in einer oberbayerischen Haftanstalt untergebracht.

Wie lange das Mädchen psychologisch betreut werden muss, ist derzeit nicht abzusehen. Vier Monate nach der brutalen Misshandlung erlitt die Familie einen weiteren Schicksalsschlag. Anfang Februar wurde der Vater tot sitzend in seinem Auto aufgefunden. Der Wagen war an einer Straße im tschechischen Grenzgebiet abgestellt, der Mann starb offenbar eines natürlichen Todes. Er war Anfang fünfzig. Drei Tage später hätte in Waldsassen ein Benefizkonzert zugunsten seiner misshandelten Tochter stattfinden sollen. Es wurde abgesagt.

© SZ vom 29.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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