Versandhaus Quelle:Die Geschichte des Konsums

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Rollkommandos räumen die Büros von Quelle: Die Mitarbeiter fühlen sich für die Geschichte des Versandhauses verantwortlich- und versuchen verzweifelt, Material fürs Museum zu retten.

Uwe Ritzer

Frau Hermine Sangl aus Ingolstadt hatte die alte Langspielplatte auf einem Flohmarkt gefunden und war "angetan und überrascht zugleich, dass es so etwas noch gibt." Sie schickte die "Quelle-Operettenparade" mit der auf das Cover gedruckten Bestellnummer 74624 an Grete Schickedanz.

Die Rollkommandos rücken in den Quelle-Büros an: Die Mitarbeiter retten, was zu retten ist, unter anderem Hunderte von Quelle-Katalogen aus vielen Jahrzehnten. (Foto: Foto: AP)

Selbstverständlich werden wir die Platte in unser Archiv aufnehmen", antwortete die Versandhauschefin und legte ihrem Brief an Frau Sangl einen Einkaufsgutschein über 50 D-Mark bei. 19 Jahre ist das jetzt her.

Gute alte Quelle-Zeit, mag Manfred Gawlas, 47, denken, aber stattdessen zitiert er eine Kollegin, die vor ein paar Tagen angemerkt habe, in den Büros und Fluren der Quelle-Hauptverwaltung in Fürth habe eine Art Neutronenbombe eingeschlagen: "Die Menschen hat's erwischt, die Materie bleibt." Aus den meisten Büros verschwanden die Menschen und zurück blieben Schreibtische, Schränke und Computer.

"Eine Ende mit Anstand und Würde"

An Pinnwänden hängen noch die Postkarten, die Kollegen aus Urlauben geschickt haben. Der Insolvenzverwalter hatte viele Leute von jetzt auf gleich nach Hause geschickt, als klar war, dass es keine Rettung mehr für Quelle gibt. Es ist totenstill im vierten Stock unter der Mansarde, wo früher 18 Mitarbeiter der PR-Abteilung unablässig hinaus posaunten, wie toll Quelle doch sei.

Einsam sitzt Manfred Gawlas im Büro Nummer 406.1. "Ich bin der letzte Pressesprecher in der 82-jährigen Geschichte des Versandhauses Quelle", sagt er feierlich. Am 28. Februar 2010 läuft auch seine Zeit ab, nach 18 Jahren im Unternehmen. "Vorher will ich das hier mit Anstand und Würde zu Ende bringen", sagt Gawlas.

Das heißt vor allem, dass er die Rollkommandos aufhält. Neulich erst sind wieder ein paar kräftige Jungs angerückt, in einer der vielen Quelle-Niederlassungen in Nürnberg und Fürth, die eine nach der anderen geräumt werden. Das heißt konkret: Alles in Abfallcontainer und weg damit.

Ein einzigartiges Firmenarchiv

Vor einem Raum stellte sich den Verwertern ein Mitarbeiter in den Weg und rief Gawlas an. Der sorgte dafür, dass die Insolvenzverwaltung das Rollkommando zurückpfiff und wieder ein Stück Quelle-Geschichte gerettet werden konnte, in diesem Fall Hunderte Kataloge aus vielen Jahrzehnten. So kämpft Manfred Gawlas um ein einzigartiges Firmenarchiv, das ohne sein Tun auf dem Müll landen würde.

Ständig taucht in den vielen Katakomben des sterbenden Versandhausgiganten irgendetwas auf, das es wert ist, aufgehoben zu werden: Werbematerial, historische Nähmaschinen, Foto- und Filmapparate, Diaprojektoren, Haushalts- und andere Geräte, Textilien, Trockenhauben aus den fünfziger Jahren, oder aufklappbare UV-Gesichtsbräuner des Typs "Quellux-Sonne" von anno dazumal.

Vieles von alledem verwahrt inzwischen Matthias Murko in den Depots des Nürnberger Museums Industriekultur. Dessen Leiter Murko freut sich darauf, mit den Quelle-Reliquien in ein paar Jahren eine Ausstellung zu machen, "mit der wir sicherlich Neuland betreten werden." Vor allem die Bestände von Foto-Quelle seien "ein echter Knaller", sagt Murko.

Mitarbeiter fühlen sich für Versandhausgeschichte verantwortlich

Mit dem, was bereits archiviert wurde könne man nicht nur eine einzigartige Firmengeschichte erzählen, "sondern Konsum über Jahrzehnte hinweg abbilden und Alltagsgeschichte in Reinkultur zeigen." Es werde Monate dauern, alles zu sichten und einzuordnen, vor allem die Unmengen von Fotos und Filmmaterial, sagt Matthias Murko. Hinzu kommt Ware, die Quelle-Kunden auf einen entsprechenden Aufruf vorbeibrachten, bis hin zum Motorroller der Quelle-Zweiradmarke "Mars".

Am meisten beeindruckt Murko, wie Mitarbeiter des Versandhauses sich für dessen Geschichte verantwortlich fühlen. Allen voran Manfred Gawlas. "Auch für ihn ist bald Schluss und er müsste verärgert und frustriert sein", sinniert Murko. Stattdessen handele der PR-Mann "sehr umsichtig und macht sich verdient".

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Noch sind längst nicht alle Schätze gehoben, die in irgendwelchen verlassenen Keller- und Archivräumen schlummern. Viele derer, die früher ein Auge darauf hatten, sind nun in alle Winde zerstreut. Manfred Gawlas führt über verwinkelte Gänge in einen fensterlosen Kellerraum der Fürther Quelle-Zentrale. Die Luft ist abgestanden, auf dem Boden stapeln sich Dutzende Kartons.

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Der Quelle-Geist: die familiäre Atmosphäre

In denen schlummern unter anderem Hunderte Kataloge, der älteste von 1938. "Sie sind illustrierte Konsumgeschichte", sagt Gawlas. Jeder Katalog bildet den Zeitgeist und das Lebensgefühl seiner Zeit ab und zwar komplett. "Man kann ein Versandhausangebot für spießig halten, aber es zeigt den Alltag der Menschen", sagt Gawlas.

Und kündet in diesem Fall vom Anspruch des Gustav und der Grete Schickedanz, elitäre Produkte über eine zahlungskräftige Minderheit hinaus für jedermann erschwinglich zu verkaufen. Filmkameras zum Beispiel. "Wenn Sie so wollen, hat Schickedanz solche Produkte demokratisiert", sagt Gawlas.

Er wühlt in einer der Kartons und findet ihn sofort, den Quelle-Geist, die familiäre Atmosphäre nämlich, die alte Mitarbeiter nostalgisch beschwören. Gawlas schlägt ein Fotoalbum auf mit Bildern von einem Firmenfasching in Fürth. Mitten unter den Mitarbeitern tanzt das Ehepaar Schickedanz - und der ehemalige Wirtschaftsminister und Bundeskanzler Ludwig Erhard.

Eine beeindruckende Sammlung mit Schwachpunkt

Mit Narrenkappe auf dem Kopf und Gardemädchen am Arm. Dann öffnet Gawlas noch respektvoll eine graue, in Leinen gefassten Schatulle, eine Sammlung von Federzeichnungen und Aquarellen. Ein Unikat. Jedes Motiv zeigt einen anderen Quelle-Standort. Mitarbeiter haben die Bilder gemalt und Gustav Schickedanz zu seinem 70. Geburtstag geschenkt.

So beeindruckend auch ist, was Gawlas und Murko inzwischen an Exponaten zusammengetragen haben - einen Schwachpunkt hat die Sammlung. Sie enthält keine private Korrespondenz und keine wichtigen internen Geschäftsunterlagen. Solche Dokumente wanderten teilweise schon vor etlichen Jahren an die Vermögensverwaltungsfirma der Erbin Madeleine Schickedanz.

Der Erlanger Historiker Gregor Schoellgen erhielt exklusiven Zugang zu dem Material und hat es im Auftrag von Madeleine Schickedanz ausgewertet. Er will daraus ein Buch machen, das nicht nur Aufschluss über die NS-Vergangenheit des Gustav Schickedanz verspricht, sondern überhaupt überaus Spannendes zum Aufstieg und Fall der Firma Quelle erzählen dürfte. Aber noch ist unklar, ob das Buch jemals erscheinen wird. Madeleine Schickedanz hat dazu das letzte Wort.

© SZ vom 30.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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