Verlängerte Amtsdauer:Die Kunst des Abtretens

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Gelähmtes Land, geschwächte Nachfolger: Vor allem Bürgermeister und Landräte kleben oft jahrzehntelang an ihrem Stuhl. Warum Politiker meist den richtigen Zeitpunkt verpassen, um zu gehen.

Peter Fahrenholz

Von Ole von Beust, dem frisch zurückgetretenen Hamburger Bürgermeister, stammt der bemerkenswerte Satz, nach einer gewissen Zeit sei man als Politiker einfach "durchgenudelt", und dann sei es Zeit zu gehen.

Viele Kommunalpolitiker wissen nicht, was sie in der Zeit nach dem Amt mit sich anfangen sollen. Schließlich will niemand mit dem Ofenrohr ins Gebirge schauen. (Foto: Catherina Hess)

Roland Koch, der sein Amt als hessischer Ministerpräsident ebenfalls aufgegeben hat, hat sich sinngemäß ganz ähnlich ausgedrückt, als er nach Begründungen für seinen überraschenden Schritt gefragt wurde. Im Lauf der Zeit werde es immer schwerer, gegen das öffentliche Etikett, das einem angeheftet werde, Politik zu machen.

Edmund Stoiber wären solche Antworten im Traum nicht eingefallen. Dabei war Stoiber bei seinem Abschied im Jahr 2007 so was von durchgenudelt, dass seine Parteifreunde einfach nur erleichtert waren, als er endlich gegangen war. Selbst für seinen Rückzug hatte Stoiber noch eine letzte Frist herausgeschunden. Neun lange Monate war er nach der Ankündigung, dass er gehen werde, noch im Amt geblieben - eine Zeit, die das Land lähmte und seine Nachfolger schwächte.

Warum tun sich Politiker, die ein wichtiges Amt innehaben, so schwer, rechtzeitig abzudanken? Und zwar dann, wenn noch das Bedauern überwiegt und nicht die Erleichterung? Eine Antwort hängt mit der Amtsdauer zusammen. Je länger einer als Ministerpräsident, Bürgermeister oder Landrat amtiert, für desto unentbehrlicher und unersetzbarer hält er sich oft.

Was kein Wunder ist: Wer es über Jahre gewohnt ist, von anderen ehrerbietig oder gar unterwürfig behandelt zu werden, muss schon ein starker Charakter sein, um nicht irgendwann den Respekt vor dem Amt für die Bewunderung der eigenen Person zu halten. Wer lange regiert, kann in der Regel immer schlechter mit Kritik umgehen.

Die Tendenz zum autokratischen Regierungsstil

Also werden eigenständige, kritische Köpfe entweder ausgetauscht oder sie passen sich dem Chef an. Übrig bleibt nach vielen Jahren oft ein Heer von Schleppenträgern und Weihrauchkessel-Schwingern, das dem Chef bei der Flucht in den Realitätsverlust hilft, statt sie zu stoppen.

In der Kommunalpolitik ist die Tendenz zum autokratischen Regierungsstil noch ausgeprägter als auf Landes- oder Bundesebene. Denn in Bayern werden die Bürgermeister und Landräte direkt vom Volk gewählt. Das verschafft ihnen sowohl gegenüber den Gemeinde- und Kreisräten, als auch gegenüber der eigenen Partei eine extrem starke Stellung.

Ein derart legitimierter Amtsinhaber kann notfalls auch ohne eigene Mehrheit im Rücken regieren und darauf bauen, dass die Wähler es nicht goutieren werden, wenn im Gemeinde- oder Kreisrat Politik gegen ihn gemacht wird. Münchens ehemaliger OB Georg Kronawitter musste wegen zweier Überläufer Ende der achtziger Jahre drei Jahre lang ohne eigene Mehrheit regieren, die Strippen im Stadtrat zog sein CSU-Gegenspieler Walter Zöller mit seiner sogenannten Gestaltungsmehrheit.

Auf Bundes- oder Landesebene wäre so jemand wahrscheinlich als "lame duck" irgendwann zum Rücktritt gezwungen worden. Doch Kronawitter wurde 1990 glanzvoll als OB wiedergewählt, Zöller verschwand in der Versenkung. "Ich wusste, die Münchnerinnen und Münchner wollen nicht, dass ,ihr' Oberbürgermeister von einem Oppositionsführer schäbig behandelt wird", schreibt Kronawitter in seinen Erinnerungen.

Die starke Stellung kommunaler Regenten liefert zwei weitere Gründe, die eng miteinander zusammenhängen, warum sie oft Ewigkeiten im Amt bleiben: Sie sind einerseits wegen ihrer meist hohen Popularität für ihre Parteien als Wahllokomotive unersetzlich. Münchens Oberbürgermeister Christian Ude zum Bespiel hätte sich gerne schon 2008 zurückgezogen. 15 Jahre als OB seien genug, fand Ude.

Doch die SPD, die fürchten musste, ohne Ude an der Spitze die Macht in München zu verlieren, bekniete ihn, noch einmal weiterzumachen. Bei der Kommunalwahl im Jahr 2014 nützen alle Überredungskünste nichts, dann kann Ude aus Altersgründen nicht mehr antreten (die Pensionsgrenze für kommunale Wahlbeamte liegt bei 65 Jahren).

Nachfolger sind meist nicht in Sicht

Häufig genug, und das ist der zweite Grund, liegt die vermeintliche oder echte Unersetzlichkeit aber auch daran, dass sich die Amtsinhaber nicht rechtzeitig nach einem geeigneten Nachfolger umschauen und diesen gezielt aufbauen.

Kronawitter ist in dieser Hinsicht eine seltene Ausnahme. Er hat sich Ude schon lange vorher als Nachfolger ausgeguckt, hat ihn als Zweiten Bürgermeister aufgebaut und ist dann aus freien Stücken zurückgetreten, um für ihn Platz zu machen. Ude dagegen weiß heute noch nicht, wer ihm einmal nachfolgen könnte. Durch seinen Kopf schwirren alle möglichen Namen, einen echten Kronprinzen gibt es nicht.

Und es gibt noch einen weiteren, sehr wichtigen Grund, warum Politiker so oft an ihren Sesseln kleben: Sie wissen nicht, was sie danach tun sollen.

Als Peter Gauweiler 1994 als Umweltminister zurücktreten musste, behielt er sein Abgeordnetenmandat und verdiente anschließend als Anwalt so viel Geld, dass er es sich locker leisten kann, sechsstellige Beträge für juristische Gutachten auszugeben, mit deren Hilfe er Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht bestreitet. Auch Kronawitter verabschiedete sich nach seinem Rücktritt nicht in den Ruhestand, sondern ließ sich von seiner Partei für den Landtag nominieren.

Leute wie Koch oder von Beust brauchen sich um ihre berufliche Zukunft keine Sorgen machen. Aber was soll ein Bürgermeister oder Landrat machen, den außerhalb seines Gäus keiner kennt und der vielleicht vorher gar keinen ordentlichen Beruf gelernt hat, in den er zurückkehren könnte? Weil er sich nach der Ausbildung gleich in die Politik gestürzt hat.

So jemand wird nicht einfach zurücktreten und mag er noch so durchgenudelt sein. Sondern er wird sich im Zweifel lieber an sein Amt klammern und darauf hoffen, dass seine Popularität beim Wähler noch ein Stück weit trägt.

© SZ vom 25.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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