Unter Bayern:Wo bist du, Mettensau?

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Für Weihnachten mästeten sich Kleinhäusler einst Schweine heran. Mitunter waren sie eine Quelle von großen Dramen

Von Hans Kratzer

Als Altkanzler Adenauer im Januar 1966 seinen 90. Geburtstag feierte, war zum Empfang in Bonn auch das Fräulein Barbara aus Altötting geladen, es war genauso alt wie Adenauer. Nach der Rückkehr von der Festlichkeit wollten natürlich alle wissen, wie es gewesen sei. "Ja grad schön war's", soll die Barbara nach Aussage von Zeitzeugen gejubelt haben, "die Häuser, die Leut', das Essen, so eine Ehr, so eine Ehr. Bloß: Alt is er halt worn, der Hitler .. .!"

Jahrzehnte nach dem Krieg spukte das Ungeheuer von Braunau immer noch im Kopf der alten Barbara herum, aber nicht nur bei ihr. Bis heute geistert der Name Hitler durch den Blätterwald, dabei hat er es nicht einmal geschafft, ein paar kleine Schrazen zu zeugen. Letzteres könnte an einem Defekt im Fortpflanzungsapparat gelegen haben, der durch die soeben veröffentlichten Medizinalakten aus dem Landsberger Gefängnis belegt ist, in dem der spätere Diktator 1924 einsaß.

Freilich sind nicht nur Tyrannen mit maroden Hoden ausgestattet. In Bayern wird dieser Mangel seit jeher ausdauernd bewertet. Parolen wie "Blasius der Hodenlose trägt trotzdem eine Lederhose" zählen zum idiomatischen Ursubstrat des Freistaats. Der Volksmund lindert den Verdruss zeugungsschwacher Männer mit der Diagnose "Kalkeier" mitfühlend, aber doch rustikal.

Bei diesem Thema ist der Übergang zur Kastration fließend, aber aus kulinarischer Warte dringend geboten. Mastferkel müssen zum Beispiel schon deshalb früh kastriert werden, damit ihr Fleisch später nicht riecht. Über Jahrhunderte hinweg hat dieser Eingriff auch politische Streithändel geprägt. Hagelbucherne Rhetoriker wie der ehemalige Bundestagsabgeordnete Franz-Xaver Unertl (CSU) definierten ihr Verhältnis zu den Sozis mit der bitteren Klage, leider habe man "die roten Ochsen zu spät kastriert." Ungeachtet dessen mästeten früher sogar Kleinhäusler extra für Weihnachten eine Mettensau heran. Das Futter sparten sie sich vom Munde ab, damit am Heiligen Abend ein Festbraten auf dem Tisch stand. Doch beschwor eine Mettensau in ärmlichen Zeiten auch unvorstellbare Dramen herauf. Als im niederbayerischen Haarbach ein Pfarrer kurz vor Weihnachten seine Mastsau schlachten wollte, hing am Stall ein Zettel, und darauf war gekritzelt: "Lieber Pfarrer Kimmer, deine Sau, die siehst du nimmer."

© SZ vom 24.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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