Unter Bayern:Von Amts wegen hintersinnig

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Recht sprechen kann sachlich und trocken ablaufen. Oder mit so viel Feinsinn und Witz, dass Richter zu heimlichen Stars werden

Von Hans Kratzer

In recht aufgeheizter Stimmung hatten zwei Fans des TSV 1860 einem Anhänger des FC Bayern die Fankluft vom Leib gezerrt und sie mutwillig zerrissen. Daraufhin verdonnerte eine Münchner Amtsrichterin die Halbstarken zu einer 15-monatigen Haftstrafe. Überdies stellte die Richterin die Löwenfans auf eine harte Probe: Das Urteil sah eine Haftverschonung für den Fall vor, dass sie ihrem Opfer die Kleidung ersetzen, und zwar im FC-Bayern-Fanshop. Die Angeklagten schluckten schwer, ergriffen aber die Gelegenheit beim Schopf. Der FC-Bayern-Fanshop erschien ihnen allemal erträglicher als der Gang in eine Zelle.

Immer wieder bringt die bayerische Justiz Köpfe hervor, die Recht und Gesetz weitaus origineller auslegen als jene, über die Ludwig Thoma einst spottete, sie seien Juristen und auch sonst von mäßigem Verstand. Zu den findigsten bayerischen Rechtsgelehrten zählte der Erdinger Amtsrichter Johann Baptist Cantler. Kleinen Sündern gegenüber verhielt er sich verständnisvoll, den vorgesetzten Dienststellen begegnete er auf humorvolle Weise respektlos und mit sarkastischem Witz, wie sein Biograf Peter Leuschner über ihn geurteilt hat.

Einmal stand ein Wilderer vor Gericht, der Staatsanwalt forderte fünf Monate Gefängnis. Der Angeklagte tobte und warf Cantler, der ungerührt blieb, das Götz-Zitat an den Kopf. Den prüfenden Beamten des Landgerichts missfiel Cantlers Nachsicht, sie monierten, im Urteil fehle der Wortlaut der Beschimpfungen. Cantler antwortete auf einem Briefbogen: "Gehorsamst zurück an das königliche Landgericht München. Ihr könnt mich alle miteinander kreuzweise am Arsch lecken." Erst auf der nächsten Seite fuhr er fort: "Sagte der Angeklagte Egidius Heuwieser, als ihn der unterfertigte Richter fragte, was er zu dem Strafantrag der Anklage zu sagen hat."

Ein andermal tat ein Knecht, der zwei Ochsen entführt hatte, vor Gericht so treuherzig, dass ihn die beiden Schöffen für unschuldig hielten. Sie überstimmten den skeptischen Cantler, der den Angeklagten damit freisprechen musste. Verärgert verkündete er folgendes Urteil: "Der Angeklagte wird von der Anklage des Diebstahls von zwei Ochsen" - an dieser Stelle verbeugte er sich in Richtung der Schöffen - "freigesprochen!"

© SZ vom 08.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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