Unter Bayern:Royale Zahnlücken

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Ein Blick auf ein Gebiss aus der Steinzeit lässt Gruseliges erahnen

Kolumne von Hans Kratzer

Neulich wurde in der SZ recht einfühlsam das Schicksal einer jungen Frau aus der Steinzeit dargelegt. Au Backe, wird sich die Leserschaft gedacht haben, denn das Skelett verriet: Das arme Mädchen hat unter schrecklichen Zahnschmerzen gelitten. Neun total kariöse Backenzähne nähren den Verdacht, dass sie in Ermangelung des erst 7000 Jahre später erfundenen Schokoriegels wohl reichlich Honig genascht hat. Puuh, welch ein Trost, dass die Zahnheilkunde den Zuckerfressern von heute zumindest die Freuden einer Wurzelbehandlung oder einer gepflegten Zahnextraktion zuteil werden lässt.

Das Gute am Zahnschmerz ist, dass er keine Standesunterschiede kennt, er quält die Mächtigen ebenso wie die Mühseligen und Beladenen. König Ludwig II. fehlte 1871 bei der Kaiserproklamation, weil er Zahnweh hatte. Was Wunder, stopfte er doch wahllos Süßigkeiten in sich hinein. Der daraus resultierende Zahnverlust entstellte ihn, wegen der Löcher im Mund war er kaum noch zu verstehen. Gleichwohl ließ sich der König nach einer Zahnbehandlung gerne ein Tablett "mit weichen Biskuits, Rahmschneetörtchen, Pralinés und einem Fläschchen süßen Likörs" reichen. Noch ärger litt der Franzosenkönig Ludwig XIV., er verlor bei einer Extraktion einen Teil des Oberkiefers. Wegen der Öffnung zur Nasenhöhle lief ihm fortan beim Trinken des geliebten Rotweins ein Teil aus der Nase.

Dass die Menschen mit 30 ein Gebiss trugen, war früher keine Seltenheit. Die Zahnhygiene war unterentwickelt, die Bader, die auch die Haare schnitten und Blutegel setzten, waren impulsive Zahnreißer, natürlich ohne Spritze. Auf die Frage, wo der Bader wohne, hieß die Antwort in Niederbayern: "Da wo sie recht schreien, da gehst hin!" Wurde, was gelegentlich vorkam, der falsche Zahn gezogen, musste der Patient in Gottes Namen halt nochmals antanzen. Das Drama fand auch mit Gebiss kein Ende. Nachdem sie sich ihre Nasen mit Schnupftabak vollgestopft hatten, befreiten Wirtshauszecher einst ihr Atemorgan lautstark rotzend von dem klebrigen Zeug. Im Bierrausch merkten manche gar nicht, dass sie ihr Gebiss gleich mit ins Pissoir spuckten. Im Ranking der in Bayern aufgetauchten Fundstücke liegt das Gebiss deutlich vor Brautkleidern und Unterhosen.

© SZ vom 18.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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