Unter Bayern:Kindheit auf dem Land stählt

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Friseurtermine könnten sich zur heißesten Dealerware des Landes entwickeln, dürften die Friseure bloß ihr Handwerk ausüben. Aber nein, nicht mal heimlich dürfen zurzeit Haare geschnitten werden. Das steht besser durch, wer schon früh mit den Auswüchsen einer Art dörflichen Wellness konfrontiert war

Glosse von Katja Auer

Die Summen sollen immer höher werden, heißt es, die Risikobereitschaft immer größer. Im Dunkeln würden sie durch die Straßen schleichen, Ausgangssperre hin oder her, sich in feuchten Kellerräumen behandeln lassen und hinterher Geld auf den Tisch legen wie sonst nur am Trüffeltag beim Lieblingsitaliener. Aber es hilft alles nichts, die Friseure haben zu. Unmoralische Angebote bringen sie nur in Bedrängnis, Hausbesuche gibt es nicht und Schwarzarbeit ist ohnehin verboten. Termine sind so begehrt wie jene im Impfzentrum und wer richtig wichtig ist, merkt das daran, dass er einen solchen hat am 15. Februar gegen 7 Uhr früh - für den Fall, dass der Lockdown tatsächlich enden sollte.

Dem Rest bleibt nur die Eigeninitiative, Haarschneidegeräte sind wohl bald so begehrt wie einst Klopapier. Dabei ist im Vorteil, wer auf dem Dorf aufgewachsen ist. Wieder einmal. Zu Beginn der Pandemie waren es die Grundkenntnisse in Handarbeit (Masken nähen), Gartenpflege (Gurken ziehen) und Vorratshaltung (Gurken einwecken), die das Leben im Lockdown erleichterten, jetzt ist es eine gewisse Furchtlosigkeit dem eigenen Erscheinungsbild gegenüber. Wer als Kind mit dem ewig gleichen Topfschnitt herumgelaufen ist, den die Mütter bei Mädchen wie Buben selbst fabrizierten, und draußen eh ein Kopftuch umgebunden bekam, dessen Ego kommt besser klar, wenn die Frisur nicht ganz perfekt sitzt.

Freilich gab es auch einen Friseur im Dorf, oder einen Bader eher, der zumeist auf Dauerwellen spezialisiert war. Dessen Frau kürzte währenddessen schon mal den Kindern die Haare, nicht weil sie es gelernt hätte, aber weil Salon, Schere und Kind halt schon mal da waren.

Haare schneiden war eher wie Schafe scheren, eine offenbar unvermeidbare Notwendigkeit. Und kam der Schafscherer auf die Höfe, gehörte es zum Ritual, dass er - ein Schaf zwischen den Knien - dem am nächsten stehenden Kind zurief, dass es auch gleich drankommen werde. Das wohlige Gruseln ist vergleichbar mit jenem, das sich einstellte, wenn der Metzger bei der Hausschlachtung die Borsten vom toten Schwein schrubbte und gut gelaunt fragte, ob noch jemand Lust auf eine Massage habe. Die Vorstellung von Wellness war damals einfach eine andere auf dem Land.

© SZ vom 30.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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