Unter Bayern:Existentielle Fragen

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Innerhalb weniger Tage hat sich das Leben in Bayern radikal geändert. Es wird deutlich, warum Kirchen seit jeher die Tugend der Demut predigen

Kolumne von Sebastian Beck

Es geschieht gerade etwas sehr Seltsames in Bayern. Nein, es sind weder Panik noch Hysterie ausgebrochen. Aber ein paar Tage nur haben gereicht, um die eigene Wahrnehmung und vor allem die politische Agenda komplett zu verändern. Wen interessieren noch Künstliche Intelligenz oder Bienensterben oder Tempolimit? Die Menschen sind plötzlich auf sich selbst und existentielle Fragen zurückgeworfen. Sie sorgen sich um ihre Eltern oder Großeltern und vor dem, was in den nächsten Wochen oder Monaten bevorstehen könnte.

Wer als Journalist schon seit eineinhalb Jahren das Entstehen der Passionsspiele in Oberammergau begleitet, der erinnert sich dieser Tage fast zwangsweise an das Gelübde von 1633, als die Oberammergauer versprachen, alle zehn Jahre die Leidensgeschichte Jesu aufzuführen, wenn Gott sie von der Pest verschone. Das hat bestens funktioniert. 387 Jahre danach könnte es womöglich passieren, dass wegen der Corona-Pandemie zumindest die Premiere der Passionsspiele verschoben werden muss. Im Vergleich zur Pest erscheint das Virus harmlos, die moderne Medizin hat mit dem Irrglauben an giftige Dämpfe aufgeräumt, sie bietet Kranken wirksame Behandlungsmethoden und in einigen Monaten wohl auch Impfungen.

Anderseits kann man zum ersten Mal wenigstens halbwegs nachempfinden, welches Gefühl des Ausgeliefertseins die Menschen auch in Bayern immer wieder heimsuchte - angesichts von Unwettern, Krankheiten und Epidemien. Nicht umsonst geht es in der kirchlichen Fastenzeit um die Tugend der Demut. Oder anders ausgedrückt: Auch im Zeitalter von Netflix und Biotech kann was dazwischenkommen. Und genau das löst bei vielen Menschen dieses leicht beklemmende Gefühl aus.

Bevor die Zeilen zu sehr ins Pastorale abgleiten, sei daran erinnert, dass unsere Vorfahren in Fasten- wie in Notzeiten Wert auf eine geregelte Bierversorgung legten. Hier sieht es derzeit gut aus. Und der Legende nach waren es die Münchener Schäffler, die nach Ende der Pestepidemie ihren Tanz aufführten, um allen zu zeigen, dass die Luft rein war. Das sollten sie auch dieses Jahr tun. Danach wird wieder gemeinsam gefeiert, gerne auch im Biergarten - und hoffentlich schon bald.

© SZ vom 14.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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