Umstrittene Nazi-Tattoos:Was auf Nikitins Körper steht

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Das Hakenkreuz auf Evgeny Nikitins rechter Brust ist überstochen. Doch die übrigen Tattoos auf dem Körper des verhinderten Bayreuther Sängers sind nicht minder zweifelhaft. Es handelt sich um Symbole mit klar erkennbarem Nazi-Bezug.

Antonie Rietzschel

Vom Heavy-Metal-Musiker zum Opernsänger - Evgeny Nikitin hat eine Geschichte zu erzählen. Die Tattoos, die seinen Körper überziehen, gehören dazu. Eigentlich hätte der russische Sänger bei den Bayreuther Festspielen den "Holländer" geben sollen. Doch dazu kam es bekanntlich nicht. Festspielleitung und Regisseur bestellten den 38-Jährigen zum Gespräch ein, nachdem sie in der ZDF-Kultursendung "Aspekte" ältere Aufnahmen von dem ehemaligen Schlagzeuger gesehen hatten. Der "Hakenkreuz-Skandal" nahm seinen Lauf.

Evgeny Nikitin als Schlagzeuger: Auf der rechten Brust ist das angedeutete Hakenkreuz zu erkennen. Auf der linken, bislang weitgehend unbeachtet: Die Lebensrune, ebenfalls ein Nazi-Symbol. (Foto: Kanal Kultura/dpa)

Was dabei weitgehend ausgeblendet wurde: Das mittlerweile überstochene Hakenkreuz auf der rechten Brust des Sängers ist nicht das einzige zweifelhafte Symbol, das sich Nikitin stechen ließ. Andere Zeichen sind weiterhin zu sehen. Dass die Bayerische Staatsoper, die Nikitin für eine Lohengrin-Aufführung im November gebucht hat, von der "Torheit eines 16-jährigen Rocksängers, der diese längst bereut und versucht hat, ungeschehen zu machen" spricht, ist deshalb zumindest fragwürdig.

Auf Nikitins linker Brust prangt noch immer eine germanische Rune. Ein senkrechter Strich, der am oberen Ende in drei kürzere Striche mündet. Wie sich etwa bei der Organisation "Netz gegen Nazis" nachvollziehen lässt, handelt es sich dabei um die Lebensrune, die zu Zeiten der Nazis von der Organisation Lebensborn und der NS-Frauenschaft genutzt wurde.

Die NS-Frauenschaft, das lässt sich etwa bei der Aktion Zivilcourage nachlesen, war ein Zusammenschluss mehrerer nationaler und nationalsozialistischer Frauenverbände. Er diente dem Nazi-Regime durch krankenpflegerische Tätigkeiten und war mit der Schulung weiblicher NSDAP-Mitglieder betraut.

Der Verein Lebensborn betrieb während der Zeit des Nationalsozialismus europaweit mehrere Heime, in denen meist nichteheliche Kinder zur Welt kamen, die wiederum von der SS-Organisation in Obhut genommen wurden. Nach Einschätzung des Vereins Lebensspuren, der die Schicksale dieser Kinder dokumentiert, diente der Lebensborn auf spezifische Weise der nationalsozialistischen Bevölkerungs- und Rassenpolitik. Solange die Lebensrune nicht im Zusammenhang mit dem Verein benutzt wird, ist ihre Verwendung in Deutschland nicht strafbar.

Unterhalb der Brust von Evgeny Nikitin prangt ein weiteres Tattoo, das wie ein einfacher Pfeil aussieht. Dabei handelt es sich jedoch um die Tyr-Rune. Auch sie hat eine nationalsozialistische Vergangenheit: Netz gegen Nazis zufolge wurde sie unter anderem bei der Hitlerjugend, der Nachwuchsorganisation im Nationalsozialismus, als Leistungsabzeichen verwendet. Außerdem war das auch Kampfrune genannte Symbol das Treueabzeichen für Absolventen der Reichsführerschulen der NSDAP.

Bis 2004 konnte man die Tyr-Rune in Kombination mit der Wolfsangel als Logo der bei Neonazis beliebten -Bekleidungsmarke Thor Steinar finden,. Nachdem 2004 diverse Gerichte die Kombination der Runen als verwechslungsfähig mit Symbolen verfassungsfeindlicher Organisationen und das Tragen des Logos damit als strafbar ansahen, änderte Thor Steinar das Logo. Die Frage der Strafbarkeit wurde von Oberlandesgerichten anderer Gerichtsbezirke später verneint.

Evgeny Nikitin will über die Bedeutung seiner Tattoos nichts gewusst haben. Der Bild am Sonntag erklärte der Sänger, er habe sich die Tattoos in den Jahren 1989, 1990 und 1991 in Russland stechen lassen und sie "in Büchern über nordische Mythen und aus Tattoo-Shop-Katalogen ausgesucht." Nikitin versicherte: "Die Zeichen haben für mich überhaupt keine politische, sondern nur eine spirituelle Bedeutung. Ich war nie Teil einer politischen Partei und bin es auch heute nicht."

Tatsächlich kommen Runen auch in esoterisch-heidnischen Zusammenhängen vor, ohne eine neonazistische Bedeutung zu haben. Allerdings haben die Nationalsozialisten viele dieser Symbole übernommen und für ihre propagandistischen Zwecke umgedeutet. Besonders die beiden Runen, die Nikitin noch immer trägt, sind durch die Geschichte schwer belastet.

Fragwürdig ist somit, warum sich Nikitin zwar das Hakenkreuz entfernen ließ, die anderen Tattoos jedoch nicht. Zumindest ein gedankenloser Umgang mit Nazi-Symbolen ist dem Sänger wohl anzulasten.

Anm. d. Redaktion: In einer früheren Version hieß es, das ursprünglich verwendete Logo von Thor Steinar sei in Deutschland verboten worden, weil es als Zeichen einer verfassungswidrigen Organisation eingestuft wurde. Tatsächlich wurde das Tragen des Logos von diversen Gerichten für strafbar befunden, weil das Logo Symbolen verfassungsfeindlicher Organisation zum Verwechseln ähnlich sehe. Oberlandesgerichte anderer Gerichtsbezirke verneinten später die Strafbarkeit.

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