Traunstein:13 Tote bei Schleusung über das Mittelmeer - hohe Haftstrafen gefordert

Lesezeit: 3 Min.

Prozess gegen zwei mutmaßliche Schleuser und einen Helfer. (Foto: dpa)
  • 13 Menschen starben im Mittelmeer, die Staatsanwältin macht dafür die Angeklagten verantwortlich.
  • Die Verteidigung sieht als Motiv das Wohl der Landsleute.
  • Ob der Steuermann das Boot freiwillig lenkte, darüber sind sich die Zeugen nicht einig.

Von Theresa Krinninger, Traunstein

Das Bild zeigt den kleinen Alex mit Rettungsweste und Trillerpfeife. Er strahlt vor Freude. Er freut sich an diesem späten Septembertag 2015 auf seine Bootsreise in ein besseres Leben. Seine Eltern ahnen nicht, dass es für ihren Sohn, seine Tante und deren drei Kinder eine Reise in den Tod werden soll. Mit dieser ergreifenden Episode beginnt die Staatsanwältin am Dienstag ihr Plädoyer vor dem Landgericht in Traunstein. Für die besagte Bootsfahrt in der Ägäis und ihr tödliches Ende macht die Staatsanwaltschaft zwei mutmaßliche Schleuser und einen Helfer verantwortlich. Die Anklage: gewerbs- und bandenmäßige Schleusung mit Todesfolge. Seit Ende Juni läuft die Hauptverhandlung. Das Urteil soll am Freitag fallen.

Es geht hauptsächlich um eine Unglücksnacht auf dem Mittelmeer. Mindestens 13 Flüchtlinge ertranken auf dem Weg vom türkischen Izmir nach Lesbos, als ihr völlig überfülltes Schlauchboot mit dem 109 Meter langen türkischen Frachter Sultan Atasoy kollidierte. Der Staatsanwaltschaft zufolge waren mindestens 46 Menschen an Bord. Unter den Opfern waren fünf Kinder. Eines davon war Alex, er war keine zwei Jahre alt. Ein siebenjähriges Mädchen und ein elfjähriger Bub werden vermisst. Weil einer der mutmaßlichen Schleuser später in einer Flüchtlingsunterkunft in Burghausen verhaftet wurde, landete der Fall beim Landgericht Traunstein.

Der Hauptangeklagte sei ein großes Licht im "Schleusersystem" von Izmir, sagt die Staatsanwältin. Sie fordert zwölf Jahre und sechs Monate Haft. Das Unglücksboot sei nicht die einzige Schleusung des Angeklagten gewesen. Sechs Fälle hat die Staatsanwaltschaft dokumentiert, dabei sollen mindestens 250 Menschen nach Europa gelangt sein.

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Bei einer Überfahrt war der 27-Jährige selbst dabei, so kam auch er als Flüchtling nach Deutschland. Er stammt aus einer palästinensischen Enklave im syrischen Aleppo. Im türkischen Izmir, wohin er zunächst geflohen war, habe er der Anklage zufolge aus einem breiten Kundenstamm seines Herkunftsortes geschöpft. Die Verteidigung sieht den 27-Jährigen dagegen als kleines Rädchen in der Organisation des Khal - des "Onkels".

Der Angeklagte habe aus freundschaftlichen, nicht aus wirtschaftlichen Gründen gehandelt. Zudem habe er nur einen geringen Anteil von 50 Euro pro Person kassiert. Und alle von ihm vermittelten Flüchtlinge hätten überlebt. Die Verteidigung fordert eine deutliche mildere Strafe.

Der zweite Angeklagte, ebenfalls aus Syrien, der zum Zeitpunkt des Unglücks mit seiner Familie in Berlin lebte, muss sich wegen illegaler Geldgeschäfte verantworten. Er hat die Gebühren für die Überfahrt verwaltet, auch jene für das Unglücksboot, und erst an die Schleuser ausgezahlt, wenn die Flüchtlinge am Etappenziel angekommen waren und per Mobiltelefon einen Code übermittelten. Der 34-Jährige wurde in Berlin wegen seiner Tätigkeit als "Hawaladar" schon einmal zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.

Im gerade verhandelten Fall will er lediglich Geld weitergeleitet haben, das nicht zum Bezahlen der Schleuser diente. Die Staatsanwältin fordert für ihn wegen Beihilfe zur unerlaubten Einreise in die EU viereinhalb Jahre Gefängnis. Die Verteidigung betrachtet ihn jedoch als "vernünftigen Täter", der für das Wohl seiner Landsleute handelte.

39 Zeugen hatte das Schwurgericht geladen, 29 sind zum Prozess erschienen. Ihre Schilderungen waren teils so ergreifend, dass sogar die sonst äußerlich ungerührten Männer auf der Anklagebank ihre Gesichter in den Händen verbargen. Etwa bei der Geschichte des toten Jungen Alex. Seine Eltern hielten den herankommenden Schatten des Frachters für einen Berg auf der griechischen Insel, die sie ansteuerten, denn sie hatten schon Autoscheinwerfer am Ufer erblickt.

Als sie die Bugwellen sahen, war es schon zu spät: "Wir konnten nicht einmal mehr springen", sagte die Mutter. Vier Stunden lang seien sie zwischen Schiffsbug und der rechten Schlauchbootwand eingeklemmt gewesen, vier Stunden lang hätten sie geschrien, während sie der Frachter weiter zerrte. Als das Schiff anhielt und rückwärts davonfuhr, war es schon hell geworden.

Überlebt hat auch der Mann, der das Boot gesteuert hatte. Er lebte in Rüsselsheim, bis er verhaftet wurde. Nun ist er der Beihilfe angeklagt. Ob er sich freiwillig als Steuermann gemeldet hatte oder von Männern mit Kalaschnikows gezwungen wurde, darüber waren sich die Zeugen nicht einig. Für die Staatsanwältin ist die Lage klar: Die Schleuser hätten üblicherweise Flüchtlinge steuern lassen, hautsächlich solche, die den Tarif von 1000 Dollar für die Überfahrt nicht bezahlen konnten. Sie fordert für den palästinensischen Flüchtling sechseinhalb Jahre Haft, die Verteidigung plädiert für einen Freispruch für den 24-Jährigen.

© SZ vom 09.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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