Todesfall nach verzögerter Behandlung:Patient oder Plastik

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Die alte Frau hat Schmerzen, doch den Arzt interessiert nur: Wo ist das Kärtchen? Zwei Stunden später ist sie tot. Ein Fall aus Hof wirft die Frage auf, ob Ärzte bei fehlender Versicherungskarte die Behandlung verweigern dürfen.

Von Olaf Przybilla, Hof

Seit dem Tod seiner Mutter ist fast ein halbes Jahr vergangen, Rudolf Hrdina aber muss in Etappen davon erzählen, so sehr bewegen ihn die Umstände dieses Todes noch immer. Wie seine Mutter, 83, an Pfingsten über Beschwerden und extreme Müdigkeit klagte. Wie Hrdina, 55 Jahre alter Unternehmer aus Hof, daraufhin einen Bereitschaftsarzt verständigte. Wie dieser nach einer Stunde eintraf, seine Mutter aber nicht in ein Krankenhaus einwies. Wie seine Mutter dann etwa zwei Stunden, nachdem der Arzt das Haus verlassen hatte, an Herz-Kreislauf-Versagen gestorben ist. Vor allem aber: Wie dieser Bereitschaftsarzt schon im Begriff gewesen sei, das Haus Hrdinas ohne Untersuchung der Mutter wieder zu verlassen. Weil Hrdina in der Aufregung zunächst das Versichertenkärtchen nicht hatte finden können.

Es gibt zwei Ebenen dieser Geschichte und Hrdina, kein zum Aufbrausen neigender Mann, ist sich dessen bewusst: eine juristische und eine ethische. Juristisch ist der Fall fünf Monate nach dem Tod seiner Mutter weiter in der Schwebe. Hrdina hat den Arzt wegen unterlassener Hilfeleistung angezeigt, die Hofer Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren zunächst ein. Darüber beschwerte sich Hrdinas Anwalt, inzwischen wurde das Verfahren wieder aufgenommen. "In der Beschwerde wurden neue Tatsachen vorgebracht", sagt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft.

Für Hrdinas Anwalt Rüdiger Fehn liegt der Fall klar: Dessen Mutter habe nachweislich an einer akuten Blasenentzündung gelitten. Ein Gutachter sei nach deren Tod zum Ergebnis gekommen, die Entzündung von Nieren und Harnwegen habe das Herzversagen der Frau letztlich begünstigt. Und so habe "der Arzt seine ärztlichen Pflichten grob verletzt", sagt Fehn: "Denn hätte er die Frau in eine Klinik eingewiesen, könnte sie vielleicht noch leben."

Aber das ist nur die eine Ebene dieser Geschichte. Noch erboster reagieren die Leute, wenn Hrdina deren zweiten Teil erzählt: wie der Bereitschaftsarzt im Begriff gewesen sei, das Haus unverrichteter Dinge zu verlassen, weil ihm keiner eine Versichertenkarte in die Hand drücken konnte. Hrdina erzählt diesen Teil so: An jenem Pfingstmontag habe er am späten Nachmittag den ärztlichen Bereitschaftsdienst verständigt. Seine Mutter habe Schmerzen und sei extrem müde, sie nehme Herzmedikamente. Die Dienststelle teilt mit, ein Arzt werde kommen. Als dieser zunächst nicht eintrifft, ruft Hrdina erneut an und bekommt zur Antwort: Es sei Pfingsten, da gäbe es eben nicht nur einen Patienten. Etwas mehr als eine Stunde nach dem ersten Anruf trifft der Arzt bei Hrdina ein.

Aber, so schildert es der 55-Jährige, um seine Mutter habe der sich zunächst nicht gekümmert. Denn Hrdina habe deren Versichertenkärtchen zwar bereitgelegt, aber an eine so ausgeklügelte Stelle, dass er es nicht mehr finden konnte. Der Arzt jedoch habe darauf bestanden, erst das Kärtchen zu bekommen. Auch das Angebot, sich vorläufig mit der Versicherungsnummer zu begnügen, habe er abgelehnt. Nach etwa fünf Minuten Suche sei der Arzt in Richtung Haustür gegangen. Hrdina will den Arzt auf dessen Eid angesprochen haben, der aber habe ihn nur angegrinst. "Ein höhnisches Grinsen", sagt er, "an dem ich ablesen konnte, was ich für ein Depp bin, ihn auf seine Pflichten als Arzt anzusprechen." Kurz danach findet Hrdina das Kärtchen, auf der Waschmaschine. Der Arzt untersucht die 83-Jährige und verschreibt ein Antibiotikum. In die Klinik müsse sie nicht. Zwei Stunden später antwortet die Mutter nicht mehr auf Hrdinas Fragen.

Arzt schweigt

Stimmt diese Darstellung? Der Arzt aus dem Landkreis Hof sagt dazu nichts. Er sei an seine "Schweigepflicht" gebunden, erklärt er. Die Sache mit dem Kärtchen? Da sei es ebenso. Im Übrigen könne man sich an Ulrich Megerle wenden, den Vorsitzenden des Ärztlichen Bezirksverbandes Oberfranken, der habe dazu eine klare Meinung.

Tatsächlich sagt Megerle, dem Arzt sei in der Kärtchen-Frage juristisch nichts vorzuwerfen. Nähme ein Arzt wahr, dass es sich um keinen Notfall handele, dürfe er eine Behandlung ohne Kärtchen ablehnen. Ärzte seien an Feiertagen "nicht selten mit Patienten konfrontiert, deren Behandlung ganz klar warten könnte". Das könne sehr ärgerlich sein. Ob er selbst eine Behandlung ohne Karte ablehne? "Nein, nie", sagt Megerle. "Dazu bin ich zu sehr Arzt."

Ruth Sharp, Sprecherin des Bayerischen Hausärzteverbandes, äußert ebenfalls Bedenken. Ein Patient könne die Karte doch nachreichen. Dass Patienten diese beim Arztbesuch vergessen, sei schließlich keine Seltenheit und sollte "einer Behandlung nicht im Wege stehen", sagt sie. Dass Ärzte berechtigt sind, die Behandlung eines Versicherten abzulehnen, betont dagegen die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns. Und zwar dann, wenn "dieser nicht vor der Behandlung die elektronische Gesundheitskarte" vorlege. Notfälle seien davon ausgenommen.

© SZ vom 13.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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