SZ-Serie: Mensch und Wald:Zwischen Klimaschutz und Holzertrag

Lesezeit: 4 min

Im Grießenbacher Moos untersucht die LWF, wie Waldbau und Moorschutz unter einen Hut gebracht werden können. (Foto: Sebastian Beck)

Nicht nur Autos, sondern auch trockengelegte Moorwälder blasen große Mengen Treibhausgase in die Atmosphäre. Unterwegs mit Stefan Müller-Kroehling, der nach einer Lösung sucht.

Von Sebastian Beck

Stefan Müller-Kroehling ist ein Mann, der sich begeistern kann. Seine Liebe gilt den Laufkäfern, speziell jenen Laufkäfern, die durch die bayerischen Moore laufen. Deshalb hat er zum Termin im Unterholz neben diversem Forscherwerkzeug unter anderem seine Doktorarbeit mitgebracht, an der er zehn Jahre lang nebenbei geschrieben hat: "Laufkäfer als charakteristische Arten in Bayerns Wäldern", heißt das Werk, das er in einer Umhängetasche mitführt. Wo andere Menschen nur Gestrüpp sehen und allenfalls über vollgelaufene Turnschuhe jammern würden, da erkennt Müller-Kroehling im Kleinen die ganz großen Zusammenhänge. Da ist er in seinem Element.

So ist es auch an diesem trüben Vormittag südlich von Grießenbach, einer Ortschaft bei Wörth an der Isar. Müller-Kroehling schreitet voran in Richtung Forschungsfläche - ein Waldstück, das eher unspektakulär wirkt, sieht man mal davon ab, dass die bayerischen Stechmücken hier gerade ihre Landesversammlung abhalten.

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Von Süden weht der Verkehrslärm der A 92 herüber, ein Bussard schreit. Keine Gegend für Baum-Umarmer. Ein Wald halt. Aber aus Sicht des Diplom-Forstwirts Müller-Kroehling ein ganz besonderer. Er holt seinen Bohrstock heraus und rammt ihn in den Boden: Eine krümelige Torfschicht kommt im Bohrkern zum Vorschein, zu trocken zwar, aber immerhin zwei Meter dick. Ihr gilt das Interesse von Forschern wie Müller-Kroehling und neuerdings auch der Staatsregierung.

Noch ist der Torf zu trocken und krümelig, das zeigt der Bohrkern. (Foto: Sebastian Beck)

Denn hier im Grießenbacher Moos breitet sich ein Niedermoor aus, also ein Feuchtgebiet, in dem sich das Grundwasser sammelt. Im Laufe der Zeit wächst aus abgestorbenen Pflanzen millimeterweise eine Torfschicht in die Höhe - schließlich entsteht ein Hochmoor, das Regen wie ein Schwamm speichert. So funktioniert der Prozess freilich nur, wenn das System ungestört bleibt.

Aber nicht nur in Bayern wurde seit dem 19. Jahrhundert Torf als Brennstoff eingesetzt, sogar Lokomotiven wurden damit befeuert, um die knappen Holzvorräte zu schonen. Als nach dem Ersten Weltkrieg Heizmaterial besonders knapp war, erließ Bayern das Torfwirtschafts- und das Ödlandgesetz. Als Folge entstanden in den Zwanzigerjahren auf staatseigenen Flächen Torfwerke, die bis zum Ende des Jahrhunderts große Zerstörungen anrichteten - zuletzt für die Gewinnung von Gartentorf, der nun aus Osteuropa herangekarrt wird. In Bayern ist der Torfabbau bis auf wenige Ausnahmen eingestellt worden. Hier versucht man die Fehler von früher wieder zu korrigieren.

Eindeutig ein Rotrandiger Bartläufer, das erkennt Stefan Müller-Kroehling ohne Nachschlagewerk (Foto: Sebastian Beck)

So auch im Grießenbacher Moos, einem Relikt aus jener Zeit, in der sich die Isar noch frei durchs Tal schlängelte, ehe sie im 19. Jahrhundert wie fast alle anderen Flüsse begradigt wurde. Später zogen die Bauern dann Entwässerungsgräben durch das "Unland", wie solche Flächen bezeichnet wurden; in den Achtzigerjahren kam die Autobahntrasse hinzu - der Grundwasserspiegel sank weiter, und die austrocknenden Moore verwandelten sich auch hier von Kohlendioxidspeichern zu Treibhausgasschleudern. Müller-Kroehling rechnet vor: Moorböden bedecken drei Prozent der Fläche Bayerns, aber sie sind für sechs Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Vor allem dort, wo darauf intensive Landwirtschaft betrieben wird, gelangt Lachgas in die Atmosphäre.

Das würde nicht nur Müller-Kroehling gerne rückgängig machen. Weltweit haben Forscher in den vergangenen Jahren den Wert von Mooren für den Klimaschutz entdeckt. Wobei sich die bayerischen Moorflächen mit ihren 2115 Quadratkilometern eher mickrig ausnehmen. Alleine das Wasjugan-Moor in Sibirien würde mit seinen 53 000 Quadratkilometern Dreiviertel des Freistaates bedecken. Nicht auszudenken, was passiert, wenn so eine Fläche austrocknet.

Was also soll man tun? Im Prinzip ist es ganz einfach - auch im Grießenbacher Moos: "Hier geht es darum, den Grundwasserspiegel anzuheben, ohne Betroffenheiten zu schaffen", fasst Müller-Kroehling das Vorhaben zusammen. Damit das Moor wieder Kohlendioxid speichert, muss es nur vernässt werden. Doch das Wort "Betroffenheiten" weist auf das Problem hin: Ein großer Teil der Niedermoore ist zum einen von Wirtschaftswäldern bedeckt, zum anderen wie hier in Grießenbach in Privatbesitz. Würde man die Gräben ganz zuschütten oder Dämme bauen, wären etwa Fichten schon nach ein paar Monaten tot. Ein Graus für die Waldbesitzer, deren Kapitalanlage ohnehin unter dem Klimawandel leidet.

Hier kommen nun Müller-Kroehling und sein Arbeitgeber, die Landesanstalt für Wald- und Forstwirtschaft in Weihenstephan ins Spiel. Die staatliche Behörde mit ihren 180 Mitarbeitern erforscht seit 140 Jahren das Ökosystem Wald und alles, was damit zusammenhängt - von Forsttechnik über Jagd bis hin zur Beratung von Privatwaldbesitzern reichen die Aufgaben.

Der Rotrandige Bartläufer gehört eigentlich nicht ins Niedermoor, die Moorbirken jedoch schon. (Foto: Sebastian Beck)

Müller-Kroehling ist der Spezialist für Bayerns Waldmoore, und als solcher untersucht er in Grießenbach mit seinem Team seit Juni 2021 auf einer Fläche von 60 Hektar, wie man die Erhaltung von Mooren und die Waldwirtschaft unter einen Hut bringen kann. "Das wird die Blaupause für den Schutz der Moorwälder", hofft er. Dass er hier arbeiten kann, hat Müller-Kroehling dem Waldbesitzer Christoph Freiherr von Grießenbeck zu verdanken, einem "Weltbürger", wie er sagt, der sich ebenfalls um den Wald sorgt, in dem die Eschen reihenweise wegsterben.

Konkret geht es darin um die Frage, welchen Grundwasserstand die Bäume vertragen, wo der beste Kompromiss zwischen Klimaschutz und Holzertrag liegt. "Man kann das Moor nicht wieder vernässen, wie es einmal war", sagt Müller-Kroehling. Wenn die Torfschicht erhalten werden soll, muss das Wasser bis etwa 50 Zentimeter unter der Oberfläche stehen. Das hält er für machbar, auf welche Weise genau, das müssen sie noch herausfinden. Und Grießenbeck müsste nach Ende der Bestandsaufnahme auch noch zustimmen.

Sein Wald steht mit Ausnahme der Eschen noch vergleichsweise gut da. Schon vor Jahrzehnten hat er damit begonnen, ihn umzubauen. Heute wachsen Schwarzerlen, Moorbirken und skandinavische Aspen in die Höhe, die auch als Nutzholz gefragt sind. Die Ernte wird freilich schwieriger, wenn das Niedermoor wieder renaturiert ist. Dafür müsse es staatliche Unterstützung geben, sagt Müller-Kroehling, schließlich erbringe der Waldbesitzer eine Leistung im Dienste des Gemeinwohls.

Käfern kommt eine wichtige Rolle als Zeigerart zu – hier ein Gemeiner Schulterläufer. Teile des Waldes könnten schon bald kontrolliert vernässt werden. (Foto: Sebastian Beck)

Und dann sind da noch die Käfer. Müller-Kroehling nennt sie "kleine Außendienstmitarbeiter". 500 verschiedene Laufkäferarten gibt es in Bayern, alle haben ganz spezifische Lebensräume. Wer den Zustand eines Moores erfassen will, kann den PH-Wert messen. Er kann aber auch Käfer fangen und bestimmen: "Jede Art sagt mir was." So ein Carabus Granulatus würde jetzt zum Beispiel sagen, dass dies ein typisches Niedermoor ist, weil er darin massenhaft vorkommt. Leider ist der grün-goldene Carabus Granulatus unkooperativ, er versteckt sich an diesem Tag.

Dafür stößt Müller-Kroehling im Totholz auf Leistus rufomarginatus, den Rotrandigen Bartläufer. Der kann fliegen und mag Wärme, weshalb er sich in Bayern immer weiter ausbreitet. Der andere Käfer, der ins Sieb geht, ist ein Gemeiner Schulterläufer, einer der häufigsten Laufkäfer in den Wäldern. Einem Experten wie Müller-Kroehling zeigen die beiden Exemplare: So toll ist der Zustand des Grießenbacher Mooses noch nicht, denn die Arten sind untypisch für intakte Moore. Sie kennzeichnen den derzeitigen Zustand.

Aber der soll sich ändern, nicht nur hier, sondern auch anderswo. "Die Zeit drängt, wir wollen Ergebnisse vorlegen", sagt Müller-Kroehling. Im kommenden Frühjahr, hofft er, wird es so weit sein. Dann könnte in Bayern eine fast ganz zerstörte Landschaftsform wieder aufleben - im Dienste des Klimaschutzes.

© SZ vom 04.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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