Stromversorgung durch Kommunen:Kommunal ist wieder in

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Die Privatisierungseuphorie ist vorbei. Viele Gemeinden bringen die Energieversorgung wieder unter ihre Regie. Sie wollen ähnliche Gewinne erzielen, wie private Stromversorger bisher.

Mike Szymanski

Im Würmtal, südlich von München, geht Sonderbares vor sich. Da treffen sich Beamte der Gemeinden Krailling, Gräfelfing, Gauting, Neuried und Planegg seit Monaten in Hinterzimmern. Sie haben sich Schweigegelübde auferlegt, und so verlautet wenig aus diesen Gesprächsrunden.

Fünf Gemeinden im Würmtal wollen ein regionales Stromwerk gründen. (Foto: Foto: dpa)

Die Bürgermeister der Gemeinden halten sich daran. Und sie halten vor allem zusammen, weil sie dieses Mal nur gemeinsam weiterkommen. Die kleinen Gemeinden im Würmtal wollen den Großkonzernen, die die Netze unter sich aufgeteilt haben, den Rücken kehren. Sie wollen für sich selbst sorgen und das Stromnetz, das im Boden liegt, vom Energiekonzern Eon Bayern kaufen.

Energie als Daseinsvorsorge

Bei einem der wenigen öffentlichen Termine, bei denen die Lokalpolitiker aus dem Würmtal ihren Plan vorgestellt haben, sagte Gräfelfings Bürgermeister Christoph Göbel: "Hinter all dem steht die Überzeugung, dass Energie ein Thema der Daseinsvorsorge ist."

Daseinsvorsorge ist ein furchtbar veraltetes Wort für das, was gerade in Bayerns Kommunen wieder modern wird. Sie wollen wieder selbst für ihre Bürger da sein, wenn es darum geht, sie mit Strom, Wärme und Wasser zu versorgen. Jetzt holen sich die Städte und Gemeinden, was sie dafür brauchen - die Netze.

Renaissance der kommunalen Wirtschaft

Die fünf Würmtal-Gemeinden stehen an der Spitze einer Bewegung. In den nächsten Jahren laufen in Bayern mehr als die Hälfte der etwa 2000 Konzessionsverträge aus, mit denen die Kommunen in der Regel für 20 Jahre an Unternehmen der Versorgungswirtschaft das Recht vergeben, die Netz zu betreiben.

Aber dieses Mal sollen nicht die anderen an den Netzen verdienen. Diesmal wollen die Kommunen das Geld kassieren und Einfluss auf die Strompolitik nehmen. Die kommunale Wirtschaft erlebt eine Renaissance nach all den Jahren, in denen sich Kommunalpolitiker einredeten, die Privatwirtschaft könne all dies besser.

Ottobrunn zum Beispiel, ebenfalls eine Gemeinde im Münchner Speckgürtel, hat die Stromkonzession lieber den kommunalen Stadtwerken Schwäbisch Hall übertragen, als den Vertrag mit Eon Bayern zu verlängern. Auf der Internetseite der neu gegründeten Energieversorgung Ottobrunn GmbH heißt es: "Der Verkauf von Stadtwerken und Stromnetzen an Großkonzerne und nur ihren Aktionären verpflichteten Aktiengesellschaften hat sich als Irrweg erwiesen." Bürgermeister Thomas Loderer sagt: "Es gibt keinen Grund, die Entscheidung zu bereuen." Auch Landsberg am Lech will seinen Bürgern wieder selbst Strom anbieten.

Die Motive, diesen Schritt zu gehen, sind vielschichtig. Natürlich geht es dabei auch um Geld. Die Lokalpolitiker sehen, dass die vier Stromversorger Eon, RWE, EnBW und Vattenfall in Deutschland gut von ihrem Geschäft leben. Und wer den Blick auf Städte wirft, die noch Eigentümer ihrer Stadtwerke sind, München etwa oder Augsburg, erkennt, dass die sich einfach mehr leisten können. Es lohnt sich, Stadtwerke zu besitzen - in vielerlei Hinsicht.

Es hat nur lange gedauert, bis Städte und Gemeinden das auch begriffen haben. Die Rechnung ist im Grunde einfach: Der Netzbetreiber zahlt an die Kommune eine Konzessionsabgabe, kassiert aber von anderen Netznutzern wiederum Gebühren. Ist ein kommunales Unternehmen Betreiber, die Stadtwerke also, streicht die Kommune die Konzessionsabgabe ein und ist an den Erträgen aus dem Netz beteiligt.

Überdies hat die Politik Einfluss auf die Unternehmensstrategie und kann etwa den Ausbau regenerativer Energien vorantreiben. Auch das ist den Würmtal-Gemeinden wichtig. Den Bürgern einen niedrigeren Strompreis anbieten zu können, steht dagegen nur selten als Motiv im Vordergrund.

Ein Prospekt der Stadtwerke Kassel, mit dem das Unternehmen auch in Bayern für sich als Partner wirbt, weckt Wünsche. Darin heißt es fragend: "Liegt im Netz doch ein Schatz, der für die Gemeinde und ihre Bürger geborgen werden kann, wenn es selbst betrieben wird?" Im Würmtal dürfte tatsächlich ein Schatz vergraben liegen. Die Gemeinden sind fest entschlossen, Eon Bayern das Netz abzukaufen.

Matthias Albrecht - ein auf Konzessionsfragen spezialisierter Anwalt beim Münchner Beraterunternehmen Becker, Büttner, Held - steht Gemeinden bei Verhandlungen zur Seite. Generell kann er solche Geschäfte nur befürworten: "Die Übernahme von Netzen ist relativ risikoarm", sagt er. Er habe die Erfahrung gemacht, dass fast alle Stadt- und Gemeindewerke wirtschaftlich arbeiteten. Und das Netz im Würmtal gilt als sehr attraktiv. Es ist fast so verdichtet wie in Städten und erreicht 60000 Bürger.

Wunsch, in der Energiepolitik wieder mitzureden

Für Eon Bayern, dem mit 170000 Kilometer Stromleitungen größten Netzbetreiber in Bayern, ist es ein schmerzlicher Verlust, die Leitungen im Würmtal abgeben zu müssen. Daran dürfte auch der Umstand wenig ändern, dass die Gemeinden dem Vernehmen nach dafür einen unteren zweistelligen Millionenbetrag auf den Tisch werden legen müssen.

Eon Bayern-Chef Thomas Barth will sich zu dem konkreten Fall im Würmtal nicht äußern, weil derzeit noch Verhandlungen laufen. Auch er beobachtet, dass Kommunen häufiger selbst die Verantwortung für die Stromnetze übernehmen wollen und sich von den Branchenriesen abwenden. "Es ist der Wunsch, mehr mitbestimmen zu wollen", so erklärt er sich den Trend.

Er glaubt aber auch, dass sich viele Gemeinden falsche Hoffnung machten, wenn sie meinten, mit den Netzen reich zu werden. "Lukrativ ist der Netzbetrieb überhaupt nicht mehr", sagt er. Zu sehr seien die Renditen in der Vergangenheit nach unten gedrückt worden. "Man muss sich das wirklich gut überlegen", warnt Barth.

Im Würmtal rechnet sich das Netz offenbar dennoch. Die Gemeinden suchen noch einen Partner aus der Versorgungswirtschaft, der etwas davon versteht, wie man ein solches Netz unterhält, und der im neuen Regionalwerk mit maximal 49 Prozent einsteigt. Und die Interessenten stehen Schlange.

Eon Bayern hat auch ein Angebot unterbreitet. Franz Hochstatter von den Stadtwerken Fürstenfeldbruck etwa sagt: "Wir würden gerne." Die Stadtwerke München teilen mit: "Wir haben großes Interesse." Das klingt alles andere als nach einem schlechten Geschäft.

© SZ vom 04.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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