Soziales:Ein Zeichen, das in die Irre leitet

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Wie gut Rollstuhlfahrer ihr Ziel erreichen, hängt ganz wesentlich von der Barrierefreiheit öffentlicher Wege ab. (Foto: Daniel Maurer/dpa)

Das neue Signet "Bayern barrierefrei" des Sozialministeriums löst bei Verbänden und Landtags-Grünen massive Kritik aus: Es erfülle keine Qualitätsstandards, es belohne reine Absichtserklärungen, es gaukele Hilfe für Behinderte vor. Starker Tobak, findet Ministerin Müller

Von Dietrich Mittler, München

Wieder macht es klack, Blitzlicht erfüllt den Raum, und Johannes Hintersberger (CSU) lächelt in die Kamera: Mal posiert Bayerns Sozialstaatssekretär mit einer Museumsdirektorin, mal mit dem Vorstandsvorsitzenden der Versicherungskammer Bayern, mal mit der Betriebsleiterin eines Cafés. Aber immer ist die Plakette dabei, die Hintersberger mit wechselnder Begleitmannschaft hochhält. "Bayern barrierefrei" und "Wir sind dabei!", steht auf der Tafel mit bunten Piktogrammen, die unter anderem einen Rollstuhlfahrer darstellen. Nicht zu vergessen die vier Bohrlöcher, um das Signet werbewirksam am Gebäude anbringen zu können. Und natürlich das Staatswappen.

Sozialministerin Emilia Müller hat das im vergangenen Jahr eingeführte Signet "Bayern barrierefrei" auch schon dargeboten - und das publikumswirksam in der Fröttmaninger Arena in München. Der FC Bayern spiele, was Barrierefreiheit und behindertengerechte Maßnahmen angehe, "in der Champions League" und sei damit landesweit ein Vorbild, sagte Müller. Und genau darum geht es der Sozialministerin bei dieser Kampagne: Vorbilder auszuzeichnen, die aus eigenen Mitteln unter anderem in leicht zugängliche Sportstadien, Museen, Verwaltungsgebäuden und Cafés investieren; die auch daran denken, visuelle Informationen für Hörgeschädigte beizusteuern und dabei die Blinden und Sehgeschädigten nicht außer acht lassen.

Nun aber gerät dieser Ansatz in die Kritik. Kürzlich erhielt die Ministerin einen Beschwerdebrief des Münchner Behindertenbeirats. Dessen Vorsitzender Werner Graßl erhebt massive Vorwürfe. Viele mit unverbindlichen Signets bedachte Einrichtungen "im Bereich des Tourismus" seien "nicht wirklich barrierefrei". Behinderte hätten entsprechende Erfahrungen gemacht. "Damit wurden die Menschen in diesem Bereich lange in die Irre geleitet und verreisten künftig überhaupt nicht mehr", beschwert sich Graßl. Die Ministerin solle deshalb auch das neue Signet "nicht weiter bewerben" und sich stattdessen für "mehr tatsächliche Barrierefreiheit" einsetzen. Dazu sei es aber unerlässlich, auch die notwendigen Mittel bereitzustellen.

Die Grünen im Landtag nutzen Graßls Brief nun als Steilvorlage zum Angriff. Das Signet "Bayern barrierefrei" erwecke zwar den Eindruck, es handele sich dabei um "ein tatsächliches Prüfzeichen oder Qualitätssiegel". Indes reiche für die Vergabe der Plakette eine "bloße Absichts- oder Willenserklärung" aus, um sie zu bekommen. Und das, so schlussfolgern die Grünen, sei im Grunde nichts anderes als "ein vom Staatsministerium geförderter Betrug an den Menschen, die auf Barrierefreiheit angewiesen sind und sich darauf verlassen".

In einem Antrag fordern die Grünen, für das Signet harte Qualitätsstandards einzuführen - "wie bei Gütesiegeln üblich". Darüber könnte frühestens am kommenden Donnerstag der Sozialausschuss entscheiden. Joachim Unterländer (CSU), der Vorsitzende des Ausschusses, sagte: "Ich sehe im Augenblick keine Notwendigkeit, diesem Antrag zu folgen. Bei der Vergabe des Signets werden sehr wohl Qualitätskriterien berücksichtigt." Und damit ist der Vorstoß der Grünen so gut wie vom Tisch.

Aus Sicht des Sozialministeriums ist die Kritik ohnehin starker Tobak. "Das Signet ist keine Zertifizierung und wurde zu keiner Zeit als solche verkauft", sagte eine Sprecherin am Donnerstag. Es sei vielmehr eine Anerkennung für einen konkreten beachtlichen Beitrag zur Barrierefreiheit.

"Barrierefreiheit", das ist die Losung der Ministerin, könne nur gelingen, "wenn alle mitmachen - das Land, die Kommunen, die Wirtschaft und alle anderen Akteure, die Barrieren abbauen können". Dazu aber brauche es Vorbilder. Überdies investiere die Staatsregierung bereits viel Geld für die angestrebte Barrierefreiheit. Hier aber, so sagen die Kritiker, könne Bayern weit mehr tun: "Im Haushaltsjahr 2016 finden sich gerade einmal 20 Millionen Euro dafür an zusätzlichen Mitteln, der Rest sind weitergereichte Bundesmittel oder ohnehin regelmäßig eingeplante Ausgaben", heißt es etwa aus dem Sozialverband VdK.

© SZ vom 04.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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