Sex-Tourismus nach Tschechien:Die alltägliche Prostitution

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Für käuflichen Sex reisen viele Bayern ins tschechische Grenzgebiet. Prostituierte fallen hier längst nicht mehr auf. Doch nun verstört ein Mord die Welt der roten Herzen.

Max Hägler, Furth im Wald/Folmava

Rasch und energisch klingen die Stöckelschuhe, nachdem man geläutet hat. Doch die Tür öffnet sich langsam, zögerlich, eine Frau mit blondem Haar und silbernem Lidschatten lugt hervor, mustert den Gast, bis sie die Tür ganz öffnet.

Da, wo die roten Herzen blinken: Etwa 50 Bordelle gibt es kurz hinter der tschechischen Grenze. (Foto: Foto: Oliver Lang/ddp)

Gut möglich, dass sich die Frau an einen ganz ähnlichen Moment am vorvergangenen Freitag erinnert. Auch da betrat gegen 18 Uhr ein Oberpfälzer mit einem Schnauzbart das Haus. Er wollte das, was alle hier wollen im Club Mamba: Frauen. Eine 19 Jahre alte Slowakin suchte er sich aus. Wenige Stunden später starb sie, so schwer hatte ihr Kunde sie gefoltert.

Ein Tod, der plötzlich wieder zeigt, was dort passiert, wo Bayern schon zu Ende ist, aber das Leben für manche aus der Oberpfalz und Niederbayern erst richtig beginnt. Wo das in Bayern Verdrängte in den vergangenen Jahren zur Normalität geworden ist: 50 Bordelle drängen sich auf tschechischer Seite zwischen den Grenzorten Waidhaus und Philippsreut. Es sind weniger geworden, nicht zuletzt wegen der Wirtschaftskrise, doch ihretwegen fahren noch immer viele Ostbayern über die Grenze.

Nicht einmal einen Kilometer hinter Furth im Wald liegt der Club Mamba. Mit dem Taxi soll der mutmaßliche Folterer aus seinem Wohnort im Landkreis Cham hierher gekommen sein. Doch darüber will hier niemand sprechen.

In das Empfangszimmer, in das die große Blondine führt, dringt kaum Licht. An der Wand hängt ein Bild mit Sonnenblumen, ein Fernseher flimmert, davor sitzt ein halbes Dutzend Frauen. Was empfinden sie, was ist hier passiert, wie geht es weiter?

Die Frauen schütteln den Kopf, sie warten auf Kunden. Sie sind nicht zum Reden hier, sondern zum Geldverdienen. Der Einstiegspreis beträgt 45 Euro, das steht draußen an der Tür neben der Box mit der Aufschrift "Zeitungen".

Es ist eine eigenartige Welt, nicht nur Folmava, dieser hässliche Vorposten, der aus einer Großtankstelle, Asiamärkten und immer wieder Nightclubs besteht. Saufen, Sex und Sprit - alles ist in dieser Gegend billig. Das war nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die Devise und sorgte von der Ostsee bis nach Österreich jahrelang für Schlagzeilen. 20 Jahre später ist vieles noch genau wie damals, ist die Region immer noch eine Art Hinterhof der Deutschen.

Bordelle im Dorf Babylon

Einige Kilometer östlich von Folmava wird deutlich, dass sich die Prostitution nicht nur auf Rastanlagen beschränkt: Das Dorf Babylon hat 284 Einwohner, einen See mit schönem Strandbad - und zwei Bordelle. "Schauen wir der Realität ins Auge", meint Miroslav Pazdera, der Bürgermeister, "es gibt ein Problem." Wobei man sich arrangiert habe: Auf Initiative des Polizeichefs darf das Gewerbe nur noch am Ortsrand ausgeübt werden.

Das aber ist bei einem Dorf mit etwa 150 Häusern eine interpretationsfähige Angelegenheit: Die Bar Angelika jedenfalls steht mitten in einem Wohnviertel, ringsum stehen schmucke Häuschen. Vor einem toben zwei Dackel, vor einem anderen mäht ein Mann seinen Rasen. Er interessiert sich nicht im Geringsten dafür, dass ein Auto mit deutschem Kennzeichen seine Straße entlangfährt, auch die Kinder, die mit ihren Rädern um die Ecke biegen, beachten den Wagen nicht.

"Das Geschäft mit dem Sex ist Alltag hier für alle", sagt Eva Havel (Name geändert). Sie arbeitet zehn Kilometer weiter in Domazlice beim Gesundheitsprojekt "Jana". "Aber wir wollen das nicht verteufeln, wir nehmen es, wie es ist, und versuchen das Beste daraus zu machen."

Sieben Jana-Mitarbeiter versuchen Ordnung hineinzubringen in die Welt der rot leuchtenden Herzen. Bezahlt werden sie größtenteils von der Bezirksregierung der Oberpfalz, wo die Projektleitung sitzt. Dort sorgte man sich anfangs vor allem um die Gesundheit der deutschen Männer. Doch mittlerweile sind auch die Frauen in den Blick geraten. "Wir können die Situation kaum ändern, aber wir können Verantwortung übernehmen für die Frauen dort", sagt Barbara Stamm, die als Sozialministerin vor etwa 15 Jahren half, das Projekt anzuschieben.

Bei Jana können sich die Frauen kostenlos untersuchen lassen, in der Praxis oder im roten Kleinbus des Teams. Auf zwölf Routen klappern Havel und ihre Kollegen die Nightclubs zwischen Philippsreut und Waidhaus ab, 1500 Frauen beraten sie im Jahr. Still und leise machen die Mitarbeiter diese Arbeit.

50 Bordelle in einem menschenleeren Landstrich

Andere Initiativen, in Polen etwa, setzen auf Skandalisierung, prangern Prostitution öffentlichkeitswirksam an - Jana nicht. "Was bringen den Frauen krasse Schlagzeilen", fragt Havel. Ihr ist Vertrauen und Zugang innerhalb der Szene wichtiger, zumal schlimmste Verbrechen wie der Mord vor zehn Tagen nicht an der Tagesordnung sind. Etwa 30 Gewalt- oder Sittlichkeitsdelikte zählte die tschechische Polizei 2009 im Bezirk Plzen.

Es stellt sich die Frage, wieso sich 50 Bordelle in einem weitgehend menschenleeren Landstrich sammeln, wieso hinter Tankstellen und auch mitten in Wohnsiedlungen die roten Herzen blinken. Die Sex-Dienstleistungen sind etwas billiger, aber es ist, wenn man sich umhört, doch kein großer Unterschied zu den Preisen etwa in Regensburg.

Im Prinzip könnte ein Bordellbesitzer auch in Cham gutes Geld verdienen. Das häufige Argument des Einkommensunterschieds zwischen Ost und West greift nicht mehr, um zu erklären, wieso sich aus deutscher Sicht erst hinter der Grenze eine Rotlichtszene ausbreitet.

Vielleicht ist es eine Mentalitätsfrage, spekuliert Sozialpädagogin Havel. Tschechien sei eine der säkularsten Regionen Europas, ohne starke christliche Sexualmoral. Vielleicht debattiert das tschechische Parlament auch aus diesem Grund seit Jahren erfolglos über Gesetze, die den Bereich der Prostitution betreffen. In Bayern regelt die genau einen Paragraphen umfassende Prostitutionsverordnung die Sache: In Städten mit weniger als 30.000 Einwohnern sind Bordelle nicht erlaubt, Wiederholungstäter werden strafrechtlich verfolgt.

Zimmer 12 ist ihre Normalität

Die tschechischen Kommunen kämpfen dagegen in einer rechtlichen Grauzone. An der sächsischen Grenze zum Beispiel, in Chomutov, stellt die Polizei in ihrer Not anonymisierte Fotos von Anbahnungsversuchen auf der Straße ins Internet. Und eine Mutter von drei Töchtern hat dort vor kurzem Geld von Firmen gesammelt und Plakate aufhängen lassen mit dem Spruch: "Ich biete: Syphilis, Tripper, HIV." Die Straßenprostitution in Chomutov ist dadurch mittlerweile deutlich zurückgegangen.

In der Gegend hinter Furth im Wald haben sie auch an solche Sachen gedacht, aber: "Bei uns sind die Frauen weitgehend von der Straße in die Bordelle verschwunden, das Straßenbild schaut jetzt besser aus", sagt Pazdera erleichtert. Gegen die Etablissements wiederum blieben meist nur das sperrige Baurecht oder die schwachen Gemeindesatzungen. "Etwas anderes bleibt nicht, solange die Gesetze fehlen", sagt der Bürgermeister von Babylon. Er nimmt die zwei Bordelle hin.

Wer von dort aus einige Kilometer Richtung Deutschland fährt und dann in den Wald hinein, der ist bei einem der größten Bordelle der Gegend. Es ist das schönste und modernste Gebäude weit und breit.

Das alte Haus an der Stelle haben angeblich Mitglieder der Russenmafia vor einigen Jahren abgefackelt, da sie mit der Preisgestaltung nicht einverstanden gewesen sein sollen: 50 Euro pro Stunde. Sie hielten das für einen Dumpingpreis. Sonja, die natürlich anders heißt, arbeitet hier mit Unterbrechungen seit beinahe neun Jahren, Zimmer 12 ist ihre Normalität.

16 Jahre alt war sie, als sie es bei ihren Eltern nicht mehr aushielt. Über einen Job in einem Nagelstudio kam die zierliche blonde Frau zu ihrem ersten Freier. Über eine Zeitungsanzeige landete sie dann hier.

Das Geld lockt

Es gäbe Alternativen, um nicht verhungern zu müssen, so hat Sonja mal in einer Verpackungsfabrik gearbeitet. Auf ihrem Laptop klickt sie auf die Fotos, die sie lachend mit einer weißen Arbeitshaube zeigen. Doch das Geld lockte sie zurück in den Club: Weit mehr als tausend Euro kann Sonja hier im Monat verdienen. Und meistens gehe es gut, "solange nicht so eine Scheiße passiert wie an dem Freitag", sagt Sonja.

Es hätte auch eine Frau aus diesem Nightclub treffen können. Als die tschechische Polizei am Tag nach dem Mord mit dem Foto des Täters vorbeischaute, erinnerten sich mehrere Frauen, dass der 44-Jährige mit dem Schnauzbart an jenem Freitag auch hier vorbeikam, wohl unmittelbar vor seiner Tat. "Angst hat man da schon ein wenig", meint die junge Frau, "aber die allermeisten sind doch ganz freundlich."

Unten auf dem Hof fährt gerade ein tschechisches Taxi vor. Sonst sind nur deutsche Nummernschilder zu sehen: Ingolstadt, Cham, Straubing. Ein ganz normaler Arbeitstag, direkt hinter der deutsch-tschechischen Grenze.

© SZ vom 17.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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