Serie: Zum 20. Todestag von FJS:Die Stimme seines Herrn

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Wilfried Scharnagl ist für Franz Josef Strauß mehr als ein Berater gewesen - er war sein politisches Alter Ego.

Peter Fahrenholz

Wenn schon in der allerersten Begegnung unwiderruflich die Weichen gestellt werden, wird sie gern mit dem Adjektiv "schicksalhaft" versehen. Bei Wilfried Scharnagl ist es jedenfalls so gewesen. Scharnagl ist 25 Jahre alt, Volontär beim Freisinger Tagblatt, einer damals noch eigenständigen Tageszeitung, als er 1963 zum ersten Mal auf Franz Josef Strauß trifft.

Wilfried Scharnagl und sein Alter Ego Franz Josef Strauß. (Foto: Foto: oh)

Es ist eine Veranstaltung in der Münchner Residenz unter dem Motto "Bayern dankt Adenauer", und der junge Zeitungsvolontär Scharnagl, ein kräftiger, großgewachsener Mann, gerät praktisch blitzartig in den Bann des CSU-Vorsitzenden. "Strauß hat mich sofort gepackt, diese Kraft der Rede, dieser Horizont."

Ein Jahr später bewirbt sich Scharnagl schriftlich bei Strauß. Er würde gerne für ihn arbeiten, schreibt er. "Dann hat man sich gesehen, und dann habe ich angefangen", beschreibt Scharnagl lakonisch den Beginn einer Beziehung, die in der deutschen Politik bis heute einzigartig geblieben ist.

Denn Scharnagl war mehr als 20 Jahre lang nicht nur der "Spin Doctor", der Strauß vermarktete und illuminierte, der Stratege hinter den Kulissen - er war, jedenfalls in den politischen Dingen, praktisch das Alter Ego von Strauß. "Er schreibt, was ich denke, und ich denke, was er schreibt", hat Strauß einmal über Scharnagl gesagt.

Doch bis es so weit ist, dauert es eine Weile. Am Anfang ist Wilfried Scharnagl ganz normaler Redakteur des Parteiblattes Bayernkurier. Während der Zeit der ersten Großen Koalition von 1966 bis 1969 darf die Redaktion, natürlich mit Billigung von Strauß, ungeniert über den Koalitionspartner herziehen. Wenn sich Willy Brandt in der Koalitionsrunde wieder einmal über die Rüpeleien des Bayernkuriers beschwerte, pflegte Strauß mit Unschuldsmiene zu antworten: "Wissen Sie, Herr Brandt, Sie können den Kardinal auch nicht für alles verantwortlich machen, was seine Kapläne tun."

1977 wird Scharnagl dann selbst ins Kardinalskollegium der CSU berufen, Strauß macht ihn zum Chefredakteur des Bayernkuriers, eine Funktion, die Scharnagl 24 Jahre lang bekleiden sollte, weit über den Tod von Strauß hinaus.

Mit seiner Ernennung zum Chefredakteur "war die absolute politische Nähe" gegeben", erinnert sich Scharnagl. Es war die Nähe von zwei Brüdern im Geiste. In den politischen Grundsatzfragen waren sich beide immer einig, über Taktik hätten sie "gelegentlich diskutiert", sagt Scharnagl. Meist ging es dabei darum, wie man auf Äußerungen von politischen Gegnern oder Medienberichte reagieren sollte, über die Strauß sich ärgerte.

Dann war es Scharnagl, der den zur Hitzköpfigkeit neigenden Strauß vor größerem Schaden zu bewahren trachtete. Er habe die Dinge dann "in seinem Sinne, aber nicht in seiner Wortwahl" geregelt, sagt er. Scharnagl verfolgte im Bayernkurier alles mit unnachsichtiger Strenge, was bei der Schwesterpartei CDU nur irgendwie der Linksabweichung verdächtig war.

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Die SPD und später die Grünen bekamen ohnehin routinemäßig ihr Fett ab. Dabei wusste Scharnagl immer ganz genau, dass in der CSU längst nicht alles Gold war, was glänzte. "Ich habe das auch meinem Strauß gesagt, wir verdienen natürlich auch manchmal Prügel", sagt er.

Mein Strauß, das meint Wilfried Scharnagl auch heute noch so. Strauß gehört bis heute seine ungebrochene Bewunderung, er hat Strauß einst ein "Faszinosum" genannt. "Mir ist nie ein Politiker von einer solchen Bandbreite untergekommen", sagt er, ein Mann, der so viele Widersprüche in sich vereint habe. "Er war Herrscher und Rebell zugleich."

Dabei hatte Scharnagl mit dem Heer von Speichelleckern und Schleppenträgern, die Strauß stets umschwirrten, nichts gemein. Der hochgebildete Scharnagl überragte den Rest des CSU-Feldes nicht nur körperlich. Das Kraftpaket Strauß, das in Wirklichkeit oft ein Zauderer vor dem Herrn war, war das Herz der CSU.

Aber der konservative Scharnagl war ihr Hirn. Denken würde Scharnagl das vielleicht auch, aber sagen würde er es nie. Denn zu seinen Grundsätzen gehörte stets, nach außen hin absolute Loyalität zu seiner Partei zu zeigen. Selbst als man ihn 2001 gegen seinen Willen als Chef des Bayernkuriers hinausdrängte, weil das Parteiblatt, über das die Zeit irgendwie hinweggegangen war, schon lange rote Zahlen schrieb, kam ihm offiziell kein böses Wort über die Lippen. Dabei war er tief verbittert.

Wilfried Scharnagl flüchtet sich dann gerne in den Scherz, natürlich könne er ein dreibändiges Werk über die Schwächen der CSU schreiben, aber über die Schwächen der Konkurrenz würde es ein neunbändiges werden. Über die Schwächen von Franz Josef Strauß kann man mit Wilfried Scharnagl nicht wirklich sprechen. Er sei kein Heiliger, hat Strauß selber einmal eingestanden, und einer wie Scharnagl, der Strauß bei so vielen Gelegenheiten nahe war, weiß natürlich genau, dass unter den Spezis, mit denen sich Strauß gern umgab, mancher Fehlgriff war.

Scharnagl verwendet dann gerne das Bild vom Himalaya, der neben seinen imposanten Gipfeln auch tiefe Abgründe habe. "Ein Maulwurfshügel wirft keinen großen Schatten." Wenn er glaubt, dass seine Ikone Strauß unfair behandelt wird, kann er sich heute noch genauso empören wie damals. Strauß, grämt sich Scharnagl, sei der einzige Politiker in Deutschland, dem nie etwas verziehen worden sei.

Zurück ins Glied

Nach Strauß' Tod verlor Scharnagl seine Rolle als Chefeinflüsterer. Er musste ins Glied zurücktreten und versuchte, durch seine Leitartikel im Bayernkurier, so gut es ging, die ständigen Dissonanzen zwischen Theo Waigel und Edmund Stoiber zu übertünchen.

Scharnagl ist bis heute eine Art graue Eminenz der CSU. Er gehört dem Parteivorstand an, ihm entgeht so gut wie keine parteiinterne Intrige, und wer seinen Rat haben will, bekommt ihn, auch wenn das für den Ratsuchenden mitunter unangenehm ist. Unter vier Augen kann Scharnagl sehr ungeschminkt sein.

Hat es nach der Strauß-Ära einen Berater mit vergleichbarem Einfluss gegeben?

Vielen fällt dabei sofort der Stoiber-Adlatus Martin Neumeyer ein. Scharnagl vermag auf solche Fragen auf facettenreiche Weise zu schweigen. Nach einer langen Weile sagt er dann aber doch etwas: "Ein Ratgeber verfehlt sein Ziel, wenn er glaubt, er könne den Beratenen völlig einnehmen." Beratung und Beraten werden, das habe "mit Freiheit zu tun". Und: "Beratung ohne Widerspruch ist absurd."

Wilfried Scharnagl hat nach seinem unsanften Ende beim Bayernkurier mit einem Freund eine Beratungsfirma gegründet, Beratung ist ja irgendwie immer sein Geschäft gewesen. Aber so wie unter Strauß war es nie mehr, wo Beratung oft auch die Stabilisierung des persönlichen Freundes bedeutete. So wie 1984, als Marianne Strauß starb. Ihr Mann war auf Staatsbesuch in Jugoslawien, seine Wagenkolonne wurde angehalten.

Scharnagl war mit dabei, als Strauß in eine Kneipe gewunken wurde. Auf dem Tresen stand ein orangenes Telefon, Scharnagl wird die Szene nie vergessen. Strauß war sein Leben, und eigentlich gilt das bis heute. In wenigen Tagen, rechtzeitig vor dem 20.Todestag von Franz Josef Strauß, wird Wilfried Scharnagl das Buch vorstellen, an dem er die letzten Monate geschrieben hat. Es heißt - wie wohl sonst? - "Mein Strauß".

© SZ vom 18.08.2008/bica - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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