Quelle-Katalog:Das Wunderwerk der Warenwelt

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Er ist fast so selbstverständlich wie das Telefonbuch - doch wegen der Arcandor-Pleite steht selbst der Quelle-Katalog nun auf dem Spiel.

O. Przybilla

Der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger hat die 1200-Seiten-Werke aus den Häusern Neckermann und Quelle einmal regelrecht geadelt. "Ein Ethnologe aus dem Jahr 3000 könnte aus diesen Katalogen genauere und fruchtbarere Schlüsse auf unsere Zustände ziehen als aus der gesamten erzählenden Literatur", schrieb Enzensberger.

Da war die Welt noch in Ordnung: Auch Claudia Schiffer modellte einst für den Quelle-Katalog. (Foto: Foto: dpa)

Von A wie Achselpads bis Z wie Zimmerbrunnen könnte der Ethnologe die Verfassung unserer Warenwelt erkunden. Doch für den Herbst 2009 droht den Volkskundlern eine schlimme Quellenlücke. Denn die Insolvenz von Arcandor lässt es momentan fragwürdig erscheinen, ob der Herbstkatalog des Fürther Versandhauses Quelle im Jahr 2009 tatsächlich wieder erscheinen wird.

Nicht zuletzt in Nürnberg sorgt das in diesen Tagen für erhebliche Verunsicherung. Dort findet sich im südlichen Stadtteil Langwasser das Unternehmen, das bislang einen großen Teil der kiloschweren Quelle-Kataloge produziert. Die Druckerei Prinovis ist Teil des Bertelsmann-Konzerns. In Langwasser lässt der ADAC seine Kundenzeitschrift drucken, zu einem Teil geht dort auch der Spiegel vom Stapel.

Die Probleme der Nürnberger Druckerei infolge von Quelle zeigten, wie sehr die ganze Region Mittelfranken von der Insolvenz des Arcandor-Konzerns betroffen ist, sagt Günther Beckstein. Der Landtagsabgeordnete aus Nürnberg, ehemals bayerischer Ministerpräsident, wohnt nur einige hundert Meter von der Druckerei entfernt. Beckstein kennt das Unternehmen sehr gut - und nicht nur, weil er gelegentlich per Einstweilige Verfügung gegen den Druck des Spiegel vorzugehen versucht hat. Viele von Becksteins Nachbarn arbeiten bei Prinovis. Beckstein muss also erleben, wie gedrückt die Stimmung in der Hochhaus-Siedlung Langwasser momentan ist - seit der Pleite von Arcandor.

Der Katalog wird leben

Bei Prinovis in Nürnberg, in der ehemaligen Druckerei Maul-Belser, arbeiten 1100 Mitarbeiter. Von den insgesamt sechs Millionen Quelle-Katalogen gehen die meisten in Langwasser vom Band. Das Auftragsvolumen von Arcandor lag in den vergangenen Jahren im zweistelligen Millionenbereich. Würde der Quelle-Katalog nun nicht mehr gedruckt werden können, wäre das "ein sehr schwerer Schlag" für den Standort Nürnberg, sagen sie in der Druckerei.

Dass es wirklich so weit kommen wird, können sie sich in Langwasser allerdings nur schwer vorstellen, auch nach der Insolvenz von Arcandor nicht. Denn erstens sind sämtliche Fotos längst geschossen, auch das Layout für die Herbstausgabe steht lange schon fest. Und zweitens haben sie in der Druckerei schon mehrmals erleben müssen, wie das gedruckte Kompendium der Konsumwelt vorschnell für tot erklärt worden ist. Seit es schick ist, auch die Ware von Quelle übers Internet zu beziehen, müssen sie in Langwasser "Grabesreden" auf ihr Druckprodukt erdulden, berichtet einer. Überlebt hat der Katalog diese Reden bislang immer.

Auch diesmal? Wer sich in Langwasser umhört oder am Nürnberger Hafen, wo das Unternehmen Schlott Sebaldus ebenfalls für Quelle druckt, hört trotz aller Unkenruf e viel Zuversicht. Würde der Insolvenzverwalter den Druck nicht in Auftrag geben, könne man schließlich "das Weihnachtsgeschäft vergessen". In Langwasser glauben sie nämlich zu wissen, dass "der Kunde im Katalog blättert und dann im Internet bestellt". Viel Zeit aber bleibt nicht. Spätestens nach den Sommerferien soll der Katalog ausgeliefert werden, die Herbstmode will entdeckt werden. "Der Katalog wird leben", sagt einer, "genauso wie das Telefonbuch."

© SZ vom 18.6.2009/vw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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