Prozessende:Am Ende ein Routinefall

Lesezeit: 4 min

Dreimal Bewährung, einmal Gefängnis: Das Amtsgericht Amberg verurteilt vier Flüchtlinge, die im Dezember 15 Passanten verletzten. Die Tat hatte in ganz Deutschland Aufregung ausgelöst, die Staatsanwaltschaft spricht von einem "jugendtypischen Geschehen"

Von Andreas Glas

Es ist Freitag, 9.20 Uhr, als Richter Peter Jung das Urteil verliest. Über drei Afghanen und einen Iraner, die binnen zweieinhalb Stunden 21 Menschen wahllos angegriffen und 15 von ihnen verletzt haben. Ende Dezember war das, in Amberg. Der Fall hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt. Nun also, gut vier Monate später, spricht der Richter die Flüchtlinge schuldig. Kein Raunen bei den Zuschauern, keine Regung bei den Angeklagten. Der Fall, der so lärmend begann, geht ganz leise zu Ende.

Die Strafen der drei Afghanen - 17, 18 und 20 Jahre alt - setzt das Gericht zur Bewährung aus. Es sind Jugendhaftstrafen, sechs bis 13 Monate. Der 18-jährige Iraner erhält eine Jugendstrafe ohne Bewährung: zwei Jahre und sieben Monate. Er soll in einer Erziehungsanstalt untergebracht werden. Bei dem Iraner hatte das Gericht weitere Gewalttaten mitverhandelt, die er in Regensburg begangen hatte, drei Wochen vor den Übergriffen in Amberg, Oberpfalz, 43 000 Einwohner.

Der Fall Amberg. Vom "Prügel-Mob" schrieb die Bild-Zeitung, die AfD sprach von "Hetzjagden". Und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte kurz nach den Übergriffen: "Das sind Gewaltexzesse, die wir nicht dulden können." Der Fall entflammte zu Jahresbeginn die Debatte um konsequente Abschiebungen ausländischer Straftäter. In seiner Urteilsbegründung ruft Richter Jung diese Geräuschkulisse noch einmal in Erinnerung. Er stellt klar: "Die vier Angeklagten sitzen hier nicht als Blitzableiter für Empfindungen von Bürgern, die aufgewühlt waren. Die Angeklagten sitzen hier auch nicht als Werkzeug, um ein abschreckendes Exempel für die Allgemeinheit zu statuieren." Es handle sich "um Menschen, die Schuld auf sich geladen haben" und deshalb "zu bestrafen sind".

Als der Richter das sagt, sitzen nur wenige Zuschauer in Saal II des Amberger Amtsgerichts. Etwa die Hälfte der Plätze bleibt leer. Schon damals, zum Jahreswechsel, schien das Interesse im Rest der Republik größer zu sein als in Amberg selbst. "Alles total überdimensioniert", sagte Oberbürgermeister Michael Cerny (CSU) im SZ-Interview. Er meinte die Aufmerksamkeit, die plötzlich über seine Stadt hereinbrach. "Der Vorfall hier hat wohl medial gerade gut gepasst, in die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr", sagte Cerny. "Und dann hat sich das so hochgeschaukelt. Aber meine Stadt gerät in einen Blickwinkel, in den wir nicht gehören." Die AfD dagegen hält an ihrem Blickwinkel fest. Der Prozess ist keine zwei Stunden zu Ende, da verschickt Katrin Ebner-Steiner eine Pressemitteilung. Die Strafen für die vier Flüchtlinge bezeichnet die AfD-Landtagsfraktionschefin als "Kuscheljustiz". Es ist ein letzter Versuch, die Deutungshoheit über den Fall Amberg zu erlangen.

Ende des Jahres rückte das sonst eher beschauliche Amberg kurzzeitig in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Was am 29. Dezember genau geschah, schildert Staatsanwältin Jennifer Jäger am Donnerstag in ihrem Plädoyer. Sie erzählt, wie einer der Angeklagten das erste Mal zutritt, gegen 18.40 Uhr. Sie erzählt, dass Alkohol und Drogen im Spiel sind. Sie erzählt von Ohrfeigen, Faustschlägen und Fußtritten, von Prellungen, Hämatomen, Kopfverletzungen. Und davon, wie die Polizei die Prügelnden kurz nach 21 Uhr festnimmt. "Dann war das endlich zu Ende", sagt Jäger.

Trotz aller Gewalt hatte die Staatsanwaltschaft die Geräuschkulisse des Falls bereits nach Abschluss ihrer Ermittlungen heruntergedimmt. Es seien "sehr viele Zufälle im Spiel gewesen", sagte Oberstaatsanwalt Joachim Diesch im April bei einer Pressekonferenz. Er sprach von einer Mischung aus Langeweile und Alkohol, die häufig eine "Gruppendynamik" auslöse. "Nichts Ungewöhnliches", sondern "jugendtypisches Verhalten". Man müsse das "lösen von der Herkunft der Personen", sagte Diesch.

So ähnlich formuliert es dann auch Richter Peter Jung in seiner Urteilsbegründung. Er sagt: "Die Angeklagten sitzen hier nicht stellvertretend für alle Afghanen und alle Iraner. Sondern als Menschen, die trotz weniger Lebensjahre schon eine bewegte Geschichte hinter sich haben." Von den Biografien der vier jungen Männer hatten ihm am Donnerstag die Vertreter der Jugendgerichtshilfe berichtet. Die Biografien erzählten von Krieg und Armut in der Heimat, von Todesängsten bei der Flucht im Schlauchboot übers Mittelmeer, von den Schwierigkeiten, in einem fremden Land Fuß zu fassen. Das ist dann wohl auch die Botschaft dieses Urteils: dass die Schläger von Amberg keine Monster sind, für ihre Taten gibt es psychologische Erklärungen. Von der Schuld befreit sie das dennoch nicht. Man dürfe die Gewalt "nicht runterspielen", das sagt auch Staatsanwältin Jäger.

Lediglich fünf Prozesstage hat das Verfahren vor dem Amberger Amtsgericht gedauert. Dass alles so schnell ging, war keinesfalls abzusehen, als die Angeklagten das erste Mal in Fußfesseln über den Parkettboden des Gerichtssaals schlurften. Keine zweieinhalb Wochen ist das her, 25 Verhandlungstage waren da noch angesetzt, bis Mitte Juli. Doch gleich am ersten Tag ließen die Angeklagten ihre Anwälte Erklärungen verlesen, in denen sie ihre Taten zugaben und bedauerten. Davor hatte es eine Einigung gegeben zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Strafverteidigern. Im Fall von Geständnissen waren Strafmaße ausgehandelt worden, die in drei Fällen zur Bewährung ausgesetzt werden sollten. Und so kommt es am Freitag dann auch.

Vor Gericht wurde schnell klar, dass kein "prügelnder Mob" durch die Straßen gezogen war. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Die Geständnisse haben den Opfern eine ausführliche Befragung vor Gericht erspart. Ein Umstand, der ebenso strafmildernd ins Urteil einfloss wie die Tatsache, dass die 15 angegriffenen Menschen "weitgehend nur geringfügig verletzt wurden". Und noch etwas berücksichtigte das Gericht beim Strafmaß: Dass die vier Angeklagten seit Ende Dezember in U-Haft saßen. Entsprechend erleichtert sehen die drei Afghanen aus, die das Gerichtsgebäude als freie Männer verlassen dürfen. Ohne Fußfesseln.

"Ob nun Abschiebungen geschehen, liegt allein im Ermessen der Ausländerbehörde", sagt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft unmittelbar nach der Urteilsverkündung. Einige Stunden später, um 15.31 Uhr, schaltet sich dann Joachim Herrmann (CSU) ein. "Es ist ein wichtiges Signal, dass der Rechtsstaat schnell und entschlossen auf derartige Gewalttaten reagiert", heißt es in einer Pressemitteilung des Innenministers. Weiter schreibt Herrmann, man werde "alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um den Aufenthalt solcher Gewalttäter in unserem Land schnellstmöglich zu beenden".

Was dies für die Täter von Amberg bedeutet, steht ebenfalls in der Mitteilung des Ministers. Demnach sollen zwei der drei Afghanen so schnell wie möglich in ihr Heimatland abgeschoben werden. Für einen der beiden habe man "bereits nahtlos die Abschiebungshaft erwirkt". Der dritte Afghane dagegen darf in der Bundesrepublik bleiben. Er ist geduldet, weil er eine deutsche Tochter hat. Der Iraner wiederum soll zunächst seine Haftstrafe absitzen, danach "wollen wir alle rechtlichen Hebel in Bewegung setzen, um ihn unmittelbar aus der Haft in den Iran abzuschieben", schreibt Herrmann - und beendet sein Schreiben mit einer Drohung. Das Landesamt für Asyl und Rückführungen werde die Täter von Amberg "scharf im Auge behalten".

© SZ vom 11.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: