Prozess um Tötung auf Verlangen:Pflegepraktikant vor Gericht

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Sie sei seine "Lieblingspatientin", soll er gesagt haben: Ein 17-jähriger Pflegepraktikant soll eine 100-jährige Bewohnerin im Altenheim getötet haben - weil diese es wünschte. Nun steht er in Bamberg vor Gericht.

Von Olaf Przybilla

Er hat die 100-jährige Frau im Rollstuhl durch das Altenpflegeheim im oberfränkischen Scheßlitz geschoben, und Beobachter, die ihm dabei zugeschaut haben, konnten den Eindruck einer fast innigen Beziehung gewinnen. Der 17-jährige Pflegepraktikant sagte es ja selbst, wenn auch in nicht ganz üblichen Worten für ein Altenheim: Um seine "Lieblingspatientin" handele es sich bei der 100-Jährigen, soll er gesagt haben.

Diese, so behauptet es der Praktikant, habe ihm im vergangenen Jahr mitgeteilt, sie wolle nicht mehr. Ihr Leben habe keinen Sinn mehr. Und er, der hilfsbereite 17-Jährige, könne sich doch etwas einfallen lassen. Im Juni 2012 hat der Praktikant die Frau umgebracht. Seit Mittwoch muss er sich vor dem Landgericht Bamberg in nichtöffentlicher Sitzung wegen Tötung auf Verlangen verantworten.

Dass die Geschichte, die der ehemalige Praktikant erzählt, so stimmt, davon geht die Staatsanwaltschaft aus. Das stärkste Indiz dafür ist der Tag zuvor. Da hatte der 17-Jährige offenbar schon einmal versucht, die 100-Jährige zu töten. Und zwar auf dieselbe Art und Weise wie tags darauf.

Er betritt morgens das Zimmer der Frau. Er presst der Frau ein Kissen ins Gesicht. Und er wartet, bis sich die 100-Jährige nicht mehr rührt. Dann richtet er die Frau wieder auf und holt die Kollegen des Heims. Als diese in das Zimmer kommen, sitzt die Frau aufrecht in ihrem Bett, die Haare geordnet, die Situation sieht friedlich aus. So, als sei da eine sanft entschlafen. Aber die Frau ist an diesem Tag gar nicht tot. Sie beginnt wieder zu atmen. Aber über den Tötungsversuch des Pflegepraktikanten verliert sie kein Wort.

Warum sollte die Frau sonst geschwiegen haben?

Für die Staatsanwaltschaft ist das ein sehr starkes Indiz dafür, dass die Darstellung des Angeklagten insoweit stimmt; dass also die Frau den jungen Mann tatsächlich darum gebeten hatte, sie zu töten. Warum sonst sollte die Frau sonst geschwiegen haben? Am Tag darauf wiederholt der Angeklagte das Prozedere. Er nimmt das starke Kissen, das normalerweise zur Stabilisierung der Bewohnerin auf dem Bett liegt, und drückt zu. Diesmal so lange, dass die 100-Jährige daran stirbt.

Der Fall hatte für Schlagzeilen gesorgt im Sommer. Eine Tötung auf Verlangen, wie sie in Altenheimen immer wieder vorkommt, gewiss. Aber eben doch ein fragwürdiger Fall: Ist es verantwortbar, einen labilen 17-Jährigen den psychischen Belastungen eines Altenpflegeheims auszusetzen?

Und noch etwas schreckte auf an der Sache: Der gewaltsame Tod der Frau wäre womöglich nie aufgeflogen, wenn sich der Praktikant nicht selbst zu erkennen gegeben hätte. Wenn er nicht verstörende Kurzmitteilungen an seine Kumpels verschickt hätte, denen er nicht nur unterbreitete, einen Menschen getötet zu haben. Sondern auch noch gleich die Rechtfertigung für sein Tun mitgeliefert hatte. Dass seine Kumpels nichts Besseres zu tun hatten, als diese Mitteilungen eines 17-Jährigen einer Boulevardzeitung zu stecken, machte diesen Fall zusätzlich verstörend.

Der Angeklagte stammt aus gutem Hause. Sein Vater ist Akademiker, nimmt am gesellschaftlichen Leben der Kleinstadt regen Anteil. Zwei Schwestern hat der Angeklagte, beide haben es aufs Gymnasium geschafft, er machte sein Quali und suchte sich danach einen Praktikumsplatz. Ist da einer psychisch labil, weil er womöglich den eigenen Ansprüchen und denen seiner Familie nicht gerecht wurde? Die Verteidigung des Angeklagten argumentiert in diese Richtung.

Durchaus, die Art, wie der 17-Jährige sich um die Frau ohne eigene Kinder gekümmert hat, wie er mit ihr gesprochen, wie er ihr Komplimente gemacht hat, vermittelte mindestens den Anschein eines vernünftigen und nicht zu selbstbezogen agierenden jungen Mannes. Aber dass der 17-Jährige nicht unproblematisch war, dafür hätte es durchaus auch Hinweise gegeben: Jugendsünden einerseits.

Andererseits wurde inzwischen auch bekannt, dass er als Praktikant im Altenheim Geld gestohlen hatte. Wenn auch nicht von der 100-Jährigen. Wegen acht Fällen von Diebstahl muss sich der 17-Jährige zusätzlich verantworten.

Nach Auskunft eines Gerichtssprechers räumte er die Taten am ersten Verhandlungstag ein, danach wurden ehemalige Freunde vernommen. Drei Tage sind für die Verhandlung angesetzt, das Urteil wird für Freitag erwartet.

© SZ vom 11.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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