Prozess in Wunsiedel:Jäger erschießt Mann statt Wildschwein

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Ein Jäger (r.) steht wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht. Er hat einen jungen Mann erschossen. Versehentlich wohl. Wie es dazu kam, ist noch unklar. (Foto: David Ebener/dpa)
  • Ein Jäger tötet nachts einen drogenabhängigen Mann, der sich im Maisfeld herumtreibt. Doch vor Gericht gibt es zwei unterschiedliche Versionen über den Vorfall.
  • Der Staatsanwalt sagt, der Jäger habe den Mann mit einem Wildschwein verwechselt und gezielt auf ihn geschossen.
  • Nach der Version des Jägers habe sich der Schuss aus Versehen gelöst und den Mann getroffen.

Von Katja Auer, Wunsiedel

Wildschweine hat er jagen wollen in jener Nacht im September, weil die so großen Schaden anrichten in dieser Gegend. Aber am Ende der Nacht lag ein junger Mann tot unter dem Hochsitz. Weil sich versehentlich ein Schuss gelöst habe, sagt der 54-jährige Angeklagte. Weil er den Mann mit einem Wildschwein verwechselt und auf ihn geschossen habe, sagt der Staatsanwalt nach einem halben Prozesstag am Amtsgericht Wunsiedel. Dort hat die Verhandlung um eine fahrlässige Tötung am Dienstag begonnen - bis der Staatsanwalt beantragt, den Vorwurf als Totschlag zu benennen und an das Landgericht Hof zu überweisen.

Denn er sei im Lauf des Vormittags zu dem Schluss gekommen, dass der Angeklagte nicht nur fahrlässig, sondern "bedingt vorsätzlich" gehandelt habe. Sehr wohl habe er nämlich vom Hochsitz nach unten gesehen und auf den Schatten geschossen, den er da gesehen habe. Dass er einen Menschen erkannt habe, unterstelle er nicht, sagt der Staatsanwalt. Aber er habe geschossen und so billigend Tod in Kauf genommen, einen Menschen zu treffen.

Das Gericht weist den Antrag ab. Ein Vorsatz sei nicht erkennbar, sagt der Richter. Der Angeklagte habe um diese Uhrzeit nicht mit einem Menschen gerechnet. Nicht dort, nicht mitten in der Nacht.

Wie der Jäger den Vorfall beschreibt

So erzählt es auch der Jäger und so steht es in der Anklageschrift. Demnach habe er nicht geschossen, nicht absichtlich, sondern ein Schuss habe sich gelöst, als er das Gewehr zum Entspannen nach unten gerichtet habe. Dass jemand unter dem Hochsitz stand, habe er nicht gesehen. Natürlich nicht, beteuert er, sonst hätte er doch die Waffe niemals dorthin gerichtet.

Der Mann aus Schönwald ist erfahren, daran bleibt kein Zweifel. Und die Sache nimmt ihn sichtlich mit. "Ich habe selber Kinder", sagt er und wendet sich an die Familie des jungen Mannes, er könne sich vorstellen, wie schwer das sein müsse. "Ich möchte mich ehrlich und aufrichtig bei Ihnen entschuldigen." 40 Jahre sei er schon "im Schießwesen" tätig, sagt er, er ist langjähriger Jäger und bildet den Nachwuchs aus. Vor zehn Jahren hat er sich zum Büchsenmacher qualifiziert und dafür die Schreinerei aufgegeben, die ihm wegen der Arthrose in den Knien zunehmend schwer fiel.

"Die Jagd und die Arbeit", sagt er unter Tränen, das waren seine Leidenschaften. Oft sei er täglich auf die Jagd gegangen, er war ja eh mit dem Hund unterwegs. Er erzählt vom Schwarzwild, das er vom Hochsitz an dem abgelegenen Maisfeld bei Schönwald schießen wollte. Er hat extra eine Schneise in den Acker geschlagen, damit die Wildschweine besser zu erkennen seien. Gegen 3.30 Uhr sei er auf den Hochsitz gestiegen damals, habe sich in seinen Ansitzsack gehüllt und gewartet.

Opfer stand unter Drogen

Fast eineinhalb Stunden saß er da, bis sich endlich etwas bewegte. Ein "Wesen", so nennt es der Angeklagte, habe sich zwischen Maisfeld und Wald bewegt, ein silbergrauer Schatten. Ein Keiler vielleicht, die im Sommer ein graues Rückenfell haben. Durch das Zielfernrohr verfolgte er das Wesen, das Gewehr schon im Anschlag, bis er es aus dem Blickfeld verlor. Er habe noch einmal geschaut, mit bloßem Auge, und dann, weil nichts mehr zu erkennen gewesen sei, die Waffe zum Entspannen gegen den Boden gerichtet. Wie es üblich sei. Dabei habe sich ein Schuss gelöst. Und den jungen Mann getroffen, der unter dem Jägersitz stand. Unerkannt. Er könne sich das nicht erklären, sagt der 54-Jährige, immer wieder. Er versuchte noch, den jungen Mann zu reanimieren. Vergeblich.

Rätselhaft bleibt, was der 26-Jährige aus Schwarzenbach am Wald mitten in der Nacht in einem Maisfeld mehr als 50 Kilometer von seinem Heimatort entfernt machte. Ohne Unterwäsche und mit Drogen im Blut. Seine Verlobte erzählt verstörende Details, wonach er sich verfolgt fühlte, wenn er Crystal eingenommen hatte und dass er dann in den Wald lief und auf Jägersitze stieg, weil er dort den besseren Überblick zu haben glaubte.

"Die Drogen haben ihn kaputt gemacht", sagt sie unter Tränen. Wo er allerdings unterwegs war an jenem Abend, dafür hat sie auch keine Erklärung. Sie erzählt von einer SMS, dass er in Hof sei, um einen Verstärker zukaufen. Ein Kriminalbeamter sagt, wahrscheinlich sei er mit Kumpels nach Tschechien gefahren, um Drogen zu kaufen. Möglicherweise hat es auf dem Heimweg einen Streit gegeben und der junge Mann wurde aus dem Auto geworfen. Er wollte offenbar heim laufen. Dort ist er nicht angekommen.

Der Prozess wird am 29. Januar fortgesetzt. Dann soll voraussichtlich auch ein Urteil fallen.

© SZ vom 21.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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