Prozess in Nürnberg:Vater äußert sich zur Flucht mit Tochter

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Vor den Augen der Mutter zerrte Daniel G. seine vierjährige Tochter in ein Auto und verschleppte sie in die Schweiz. Vor Gericht berichtet er von harten Zeiten nach der Geburt, der psychisch kranken Mutter - und erklärt sein Vorgehen.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Der zweite Tag im Prozess um einen Vater, dem vorgeworfen wird, seine Tochter in die Schweiz verschleppt zu haben, beginnt mit einer Erklärung des Angeklagten. Ja, sagt des Anwalt des 39-Jährigen, sein Mandant räume den ihm vorgeworfenen Sachverhalt ein, allerdings mit Einschränkungen. Tatsächlich habe er im September 2013 seine leibliche Tochter auf offener Straße an sich genommen. Dies sei deshalb geschehen, weil das Kindswohl nach Meinung von Sachverständigen bei der Mutter gefährdet gewesen sei.

Allerdings habe die Staatsanwaltschaft den Tathergang nicht korrekt dargestellt: So sei keine Gewalt im Spiel gewesen, als er der Mutter das Kind abgenommen habe. Und seine Begleiter - die Staatsanwaltschaft geht von drei Männern und einer Frau aus - hätten das Kind nicht berührt. Sie seien lediglich zum Schutz des Vaters dabei gewesen, für den Fall, dass die Mutter in männlicher Begleitung gewesen wäre.

Vater fuhr zunächst mit seiner Tochter nach Italien

Der Vater war vier Monate nach dem Vorfall in der Schweiz festgenommen worden, wohin er mit seiner vier Jahre alten Tochter offenbar geflohen war. Mehr will der Angeklagte vor dem Nürnberger Jugendschöffengericht eigentlich nicht sagen. Als die Staatsanwältin insistiert, sie wolle trotzdem Fragen stellen, spricht Daniel G. aber doch. Wie lange er sich mit seiner Tochter in der Schweiz aufgehalten habe, könne er nicht sagen. Einige Wochen etwa.

Und davor, will die Staatsanwältin wissen. Davor hätte er und seine Tochter die Zeit in Italien verbracht, am Meer. Etwa wie in einem Urlaub habe man sich das vorzustellen. Aber er sei doch seit geraumer Zeit arbeitslos, wie er sich denn die Zukunft mit seiner Tochter vorgestellt habe, will die Staatsanwältin wissen. Erspartes habe er dafür herangenommen, sagt Daniel G. Außerdem sei er auf dem Weg zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewesen, der über seinen Fall informiert sei. Die europäische Menschenrechtskonvention sei die Mindestanforderung, an der sich deutsche Gerichte zu orientieren hätten.

Mutter erkrankte während der Schwangerschaft psychisch

Jetzt fragt die Richterin: Ob irgendeine gerichtliche Entscheidung existiert, die ihm das Sorgerecht über seine Tochter gab oder gibt? Nein, antwortet der Angeklagte leise. Und ob in der Menschenrechtskonvention irgendwo stehe, dass er als nicht ehelicher Vater das Sorgerecht innehabe? Nein, antwortet der Angeklagte ganz ruhig, denkt kurz nach und sagt: "Da steht, dass die Familie geschützt ist."

Daniel G. spricht dann noch sehr viel über die vergangenen Jahre. Und eines ist anschließend allen klar im Raum. Da sitzt einer, der sehr viel durchgemacht haben muss in der Zeit nach der Geburt seiner Tochter. Er erzählt, wie die Mutter des Kindes psychisch krank geworden ist während der Schwangerschaft. Wie sie manchmal viele verschiedene, dann wieder gar keine Medikamente genommen habe, bis der Notarzt kam. Wie sie mehrfach stationär eingeliefert wurde in ein Krankenhaus. Wie sie ihn angeblich irgendwann bedrohte und er die Türschlösser ausgetauscht habe.

SEK holte Tochter aus der Wohnung

Wie es dann immer hin und her gegangen sei, er nicht gewusst habe, ob die Mutter sich um ihre Tochter kümmern wolle oder nicht. Wie die Mutter nach den ersten 16 Monaten, in denen fast ausschließlich er sich um das Kind gekümmert habe, plötzlich das Kind nicht mehr zurückbrachte. Und wie danach der Streit losging. "Wenn man alle familienrechtlichen Akten hier ausbreiten wollte, bräuchte man alle Tische im Saal", sagt sein Anwalt. Aber Daniel G. braucht das eigentlich gar nicht, er kennt die Akten fast auswendig. "Wahnsinn", entfährt es einmal der Richterin.

Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung holt eine Sondereinsatzkommando der Polizei die Tochter aus der Wohnung von Daniel G. Ob er seiner Tochter diese traumatische Erfahrung nicht hätte ersparen wollen, fragt die Richterin. Verglichen mit der Gefahr, dass die Tochter wieder zur Mutter muss, habe er das verhältnismäßig gefunden, antwortet er.

Die Mutter soll erst vernommen werden. Eine Polizistin sagt über sie, nachdem ihr das Kind vom Vater weggenommen wurde, habe sie weder überfordert noch hysterisch gewirkt. Nur sehr besorgt um das Wohl ihrer Tochter.

© SZ vom 14.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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