Prostitution in Bayreuth:Vom Festspielhaus ins Freudenhaus

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"Für Jugendliche erst ab 16 Jahren geeignet": ein Foto aus dem Buch "Prostitution im alten Bayreuth" von Wilfried Engelbrecht. (Foto: Zeitlupe Verlag/oh)
  • Wilfried Engelbrecht widmet sich in seinem neuen Buch einem Thema, das bislang kaum erforscht wurde: der Prostitution in Bayreuth von 1459 bis 1974.
  • Der Hobby-Historiker entdeckte im Stadtarchiv einen Hinweis darauf, dass es bereits im 15. Jahrhundert ein Freudenhaus in der Festspielstadt gegeben hat.
  • Engelbrecht hat das Thema nicht nur ausführlich beschrieben, sondern auch bildreich dokumentiert. Dieser Text bespricht sein neues Werk.

Von Katja Auer, Bayreuth

Es muss eine wahre Tortur gewesen sein, die Uraufführung von Wagners "Der Ring des Nibelungen" im Sommer 1876. Die ersten Festspiele in Bayreuth, 16 Stunden Musikdrama auf den harten Sitzen. Und dann die Infrastruktur. "Jedes Stück Brot, jedes Seidel Bier muss erkämpft werden mit unglaublichen Anstrengungen, durch List und eiserne Geduld", berichtet der Komponist Peter Tschaikowski daheim in Russland. Die Gasthäuser waren voll, die Preise hoch, die Quartiere schlecht. Stress für die Besucher. Und nicht einmal ein Bordell gab es in der Stadt.

Dieses Detail wird gemeinhin bei den Berichten über die Festspiele, die in Bayreuth ja nun wirklich ausführlich beschrieben werden, nicht eigens benannt. Wilfried Engelbrecht hat es nun getan und sich ausführlich einem bislang unerforschten Kapitel der Stadtgeschichte gewidmet: der Prostitution in Bayreuth.

"Für Jugendliche erst ab 16 Jahren geeignet", steht auf dem Buchdeckel, auf Wunsch des Verlages, denn Engelbrecht hat das Thema nicht nur ausführlich beschrieben, sondern auch bildreich dokumentiert. Schon vor 25 Jahren hat er angefangen, sich durch das Stadtarchiv zu graben und alte Fotos und Dokumente zu sichten. "Vielleicht wegen meiner restriktiven Sexualerziehung", sagt Engelbrecht, 66, der sich bis zu seinem Ruhestand im Historischen Museum eher mit den weniger erotischen Seiten Bayreuths beschäftigt hat.

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(Foto: Zeitlupe Verlag)

Von der Puffmutter selbst ist kein Foto überliefert, aber von der Polizei wurde sie als "die alte dicke Besitzerin" beschrieben.

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(Foto: Zeitlupe Verlag)

Die Weinhandlung von Anna Kratz war Bayreuths bekanntestes Bordell.

Die Mädchen waren jung, viele sehr jung. Und nicht alle arbeiteten freiwillig in Bayreuth.

Die Stadt duldete das Etablissement in der Weinhandlung Kratz

Nun, es hat noch eine Weile gedauert, aber von 1892 konnten die männlichen Festspielgäste in Bayreuth die Weinhandlung Kratz aufsuchen, in der Anna Kratz und ihrer Mitarbeiterinnen den Herren ihre Dienste anboten. Die Stadt duldete das Etablissement, so berichtet es Engelbrecht, wenngleich die Polizei angehalten war, das Treiben dort aufmerksam zu verfolgen.

Weil die Hussiten 1430 die Stadt plünderten und niederbrannten, sind aus der Zeit davor keine Schriftstücke erhalten. So hat auch Engelbrecht nicht herausfinden können, ob es möglicherweise schon 1194, als Bayreuth zum ersten Mal urkundlich erwähnt wurde, ein Bordell gegeben hat. Der erste Hinweis stammt aus dem Jahr 1459, als in den städtischen Steuerlisten der "Frauenzins" vermerkt ist, den das Frauenhaus abwarf. 1520 schließlich ließ Markgraf Casimir ein Bordell in der Stadt einrichten, er plante, mit seinem Hofstaat nach Bayreuth zu kommen und wollte entsprechend unterhalten werden.

Anerkannt waren die Damen freilich nicht, in der Gesellschaft rangierten sie ganz unten. Ihre unehelichen Kinder, ihre "Hurenbälger", hatten kaum eine Chance auf den sozialen Aufstieg. Die Markgrafen versuchten die Lust per Gesetz zu zügeln, ein umfangreiches Sünden- und Strafregister sollte die Hurerei und Ehebruch eindämmen.

Eine Dirne, die zum dritten Mal unzüchtig schwanger geworden war, ließ Markgraf Friedrich 1745 "des Landes auf ewig verweisen". Vorher allerdings sollte sich noch "zur wohlverdienten Strafe in den Huren-Karren gespannet durch die Gassen der Stadt" gefahren werden.

Puffmutter Kratz soll in Menschenhandel verstrickt gewesen sein

Im Biedermeier beschreibt Engelbrecht ein Klima der Denunziation in der Stadt. Nachbarn schwärzten Prostituierte an, die von der Polizei verfolgt wurden. Wie die junge Adeline Gebhardt, die einen "müßigen und unsittlichen Lebenswandel führt" und zu den "schamlosesten Lustdirnen" gehört, wie es in einem Urteil von 1840 heißt. Sie wurde drei Tage eingesperrt, "geschärft am ersten und dritten Tag durch Entziehung einer warmen Speise" und angehalten, fortan ein sittsames Leben zu führen.

Später dann, als immer mehr Festspielgäste in die Stadt kamen, etablierte sich die Prostitution in Bayreuth, auch wenn die Nachbarn protestierten. Jene Anna Kratz war eine stadtbekannte Persönlichkeit, bis in die 1930er Jahre führte sie als Puffmutter ihr Bordell. Sie soll ihre Mädchen finanziell ausgebeutet haben und gar in Menschenhandel verstrickt gewesen sein sowie Mädchen aus Böhmen und Österreich in ihrer Weinhandlung den Männern angeboten haben. Dennoch hatte sie in der Stadtverwaltung offenbar ihre Unterstützer, denn Engelbrecht belegt, wie oft sie im Lauf ihrer langen Karriere mit den Behörden in Konflikt geraten und dann doch wieder davongekommen ist.

Priester und Frauenvereine versuchten immer wieder, der käuflichen Liebe eine Ende zu setzen, gelungen ist es freilich nicht. Eine Fliegerbombe zerstörte das Bordell zwar im Zweiten Weltkrieg, doch der amerikanische Militärgouverneur ließ schon im Mai 1945 wieder eines eröffnen. Die amerikanischen Soldaten steigerten die Nachfrage. Allerdings wurde das Haus schon drei Jahre später wieder geschlossen.

Jahrzehnte war Bayreuth ohne eigenes Freudenhaus, bis 1974 das Wirtshaus "Zur Schere" eröffnete. Der Betreiber kommt von auswärts. "Irgendwie muss sich die angebliche sexuelle Notlage Bayreuths bis nach Baden-Württemberg herumgesprochen haben", schrieb damals die Frankenpost.

Engelbrecht, Wilfried: Prostitution im alten Bayreuth. Pornografischer Streifzug durch die Stadtgeschichte (1459-1974). Bayreuther Zeitlupe Verlag. 19,95 Euro.

© SZ vom 07.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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