Plädoyers im Reichenhall-Prozess:Schuld und Schlamperei

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Die Verteidigung spricht von einer Farce: Im Revisionsprozess zum Eishalleneinsturz in Bad Reichenhall fordert die Staatsanwalt eine Bewährungesstrafe. Andere sehen die Verantwortung nicht beim Angeklagten, sondern in der Stadtverwaltung.

Heiner Effern

Die Staatsanwaltschaft Traunstein hat im Revisionsprozess zum Einsturz der Bad Reichenhaller Eishalle für den Angeklagten Rüdiger S. eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren gefordert. Der 58 Jahre alte Bauingenieur habe sich der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung schuldig gemacht. Im Strafmaß eingerechnet ist eine Verurteilung aus einem Schmiergeldverfahren gegen den Bauingenieur, die nach dem ersten Eishallenprozess erfolgt ist. Auch die Anwälte der Hinterbliebenen verlangten bis auf eine Ausnahme eine Verurteilung. Ein Abweichler forderte wie die Verteidigung einen Freispruch.

Am 2. Januar 2006 stürzte die Eishalle in Bad Reichenhall ein. 15 Menschen starben unter den Trümmern. (Foto: dpa)

Zur zweiten Auflage des Verfahrens vor dem Landgericht Traunstein kam es, weil der Freispruch von Rüdiger S. vom Bundesgerichtshof im Januar 2010 aufgehoben worden war. Die eineinhalb Jahre auf Bewährung für den Statiker, der während der Bauphase verantwortlich war, sowie der Freispruch eines nur am Rande beteiligten Architekten sind dagegen längst rechtskräftig.

Kausalitätsketten, objektives Tun und Unterlassen - eine Lawine juristischer Fachbegriffe drohte am Tag der Plädoyers das tragische Geschehen des 2. Januar 2006 mit den 15 toten Eisläufern zu verschütten. Doch kurz vor Mittag ergriff Robert Schmidbauer das Wort und erinnerte an den Winternachmittag, an dem seine Frau und seine beiden Töchter ein bisschen Spaß beim Eislaufen haben wollten. Er erinnerte daran, wie sich seine Frau schwer verletzt aus den Trümmern befreite - und als erstes eine ihrer beiden toten Töchter "auf dem Bauch liegen sah, mit einem Balken im Genick". Die zweite sah Dagmar Schmidbauer nicht mehr, "wir können nur hoffen, dass sie nicht leiden musste", sagte ihr Mann. Rüdiger S. hätte das verhindern können, "aber er hat es nicht gemacht".

Diese Ansicht deckte sich mit der Schlusserklärung von Oberstaatsanwalt Günther Hammerdinger. Er hielt dem Angeklagten vor, dass er dem Dach der Eishalle in einer Studie aus dem Jahr 2003 einen allgemein guten Zustand bescheinigt habe, ohne es gründlich untersucht zu haben. Hätte er die Mängel erkannt und der Stadt gemeldet, hätte es in der Halle "am 2. Januar 2006 mit Sicherheit keinen Betrieb mehr gegeben". Vertreter der Nebenkläger wiesen darauf hin, dass der Bauingenieur durch sein positives Gutachten aktiv Schuld auf sich geladen habe. In Anbetracht der 33 Jahre andauernden Schlamperei in der Stadt nicht sehr viel, doch genug für eine Verurteilung, so der Tenor.

Die Verteidigung des Angeklagten hatte ungewöhnlich früh eingesetzt, nämlich schon mit dem Plädoyer des ersten Nebenklägers. Robert Schromm, dessen Frau in der Eishalle gestorben ist, forderte einen Freispruch, da die wahren Schuldigen in der Stadtverwaltung der Stadt Bad Reichenhall gesessen hätten. Der Prozess sei "eine Farce", die Staatsanwaltschaft habe bewusst die Falschen verfolgt. "Man stelle sich vor, was für ein Ruck durch deutsche Amtsstuben gegangen wäre, wenn hier städtische Mitarbeiter zur Verantwortung gezogen worden wären." Und er stellte in den Raum, wie viele Milliarden die öffentliche Hand für Gutachten und Sanierungen hätte ausgeben müssen, wenn auf einmal eine Haftung ihrer Angestellten drohe.

Die Verantwortlichen in der Stadt Bad Reichenhall hätten auch nach Ansicht von Verteidiger Rolf Krüger auf der Anklagebank sitzen müssen. Er bezichtigte sie der Inkompetenz, Ignoranz, und Verantwortungslosigkeit. Er legte dar, dass seiner Ansicht nach sein Mandant nie den Auftrag hatte, das Dach der Eishalle zu untersuchen. Er habe lediglich andere bekannte Mängel besichtigen und die Kosten für eine mögliche Sanierung schätzen sollen. Falls dies nicht zuträfe und sein Mandant tatsächlich seine Pflichten verletzt habe, dann hätte er immer noch keine Schuld am Einsturz der Eishalle. Denn schon frühere Gutachten zur Eishalle hätten schwere Mängel aufgewiesen, ohne eine angemessene Reaktion bei der Stadt hervorzurufen. Krüger nannte den früheren Oberbürgermeister, dessen Bauamtsleiterin und den Hochbauchef ein "Bermudadreieck", in dem jeder Hinweis auf Gefahr folgenlos verschwunden sei.

© SZ vom 26.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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