Nürnberg:Senioren müssen raus

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Weil die Landeskirche sparen muss, will sich die Stadtmission Nürnberg einen beliebten Treff nicht mehr leisten

Von Claudia Henzler, Nürnberg

Für evangelisch getaufte Menschen, die im katholischen Oberbayern aufgewachsen sind, kann ein Umzug nach Nürnberg einen ziemlichen Kulturschock bedeuten. Nach Jahren in der Diaspora muss man erst einmal damit klar kommen, dass die auffälligen Kirchen, die Prachtbauten im Herzen der Stadt, den Protestanten gehören. Die evangelische Kirche ist in Nürnberg überall sichtbar, nicht nur im Stadtbild, sondern auch im gesellschaftlichen Leben. Doch die Mitgliederzahlen sinken landesweit, und die evangelische Landeskirche hat beschlossen, sich schon jetzt finanziell darauf einzustellen, dass ihre Kirchensteuereinnahmen regelrecht einbrechen werden, wenn erst die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen. Dieser prophylaktische Sparkurs führt dazu, dass selbst im protestantisch starken Nürnberg demnächst ein beliebter Seniorentreff geschlossen wird.

Es ist ein Haus, wie man es sich für die Zeit nach dem Berufsleben wünschen würde: in Sichtweite der Burg, Trambahnanschluss vor der Tür, jeden Tag geöffnet, mit einem anregenden Kursangebot, mehreren Chören, einem Computerraum und der Möglichkeit, anschließend bei Kaffee und Kuchen mit anderen Besuchern zu ratschen oder sich zum Kartenspiel zu verabreden. Mitte November wird das vorbei sein, daran konnten die lautstarken und durchaus wütenden Proteste der Besucher nichts ändern. Zwischen 300 und 350 Gäste, überwiegend weiblich, hatte der Seniorentreff jede Woche, schätzt Gerlinde Knopp, die für das Programm verantwortlich war. Manche seien einmal pro Monat zur Schreibwerkstatt gekommen, andere mehrmals pro Woche.

Die Stadtmission Nürnberg, Teil des evangelischen Sozialverbands Diakonie, hat den Treff mehr als zwanzig Jahre lang getragen. Nun will sie sich die offene Seniorenarbeit nicht mehr leisten. Durch den Sparkurs der Landeskirche müsste man künftig 60 000 Euro statt bisher 20 000 Euro in den Treff stecken, argumentiert Vorstandsmitglied Matthias Ewelt. "60 000 sind eine Summe, die wir uns nicht aus dem Rippen schnitzen können." Die Stadtmission müsse sich auf ihre Kernaufgaben wie Pflege und Sozialberatung konzentrieren. "Uns macht das auch traurig, dass wir das aufgeben müssen", sagt Ewelt zum Seniorentreff. "Die Arbeit war toll."

Sowohl die Stadtmission als auch der evangelische Dekan, der dem Verwaltungsrat der Stadtmission angehört, weisen darauf hin, dass es anderswo haufenweise schöne Kurse gebe - bei der Volkshochschule (die in Nürnberg Bildungszentrum heißt), bei der evangelischen Stadtakademie und in vielen Kirchengemeinden. In einer werde sogar ein tägliches Seniorencafé angeboten.

Doch das ist natürlich nicht dasselbe. Der Charme des Treffs am Tiergärtnertor bestand gerade darin, dass die Frauen im Alter zwischen 65 und 92 Jahren am Tiergärtnertor ein zweites Zuhause gefunden hatten, einen festen Anlaufpunkt, an dem alle Angebote gebündelt waren. Zudem gab es im Seniorentreff Formate, die speziell für diese Zielgruppe entwickelt wurden, sagt Gerlinde Knopp. Ein Sprachkurs für 80-Jährige unterscheide sich doch recht deutlich vom normalen Volkshochschulangebot.

Besonders schlimm war die Nachricht von der Schließung des Seniorentreffs für die Besucher, weil weder die Leitung der Stadtmission noch das Dekanat versucht haben, den Treff halbwegs komplett umzusiedeln oder den Wandel professionell zu moderieren. Man hätte die Seniorinnen und Senioren wohl einfach mit dem Hinweis entlassen, sich anderswo umzuschauen, wenn die Mitarbeiter die Angelegenheit nicht zu ihrem Problem gemacht hätten. So hat Gerlinde Knopp in den vergangenen Wochen händeringend versucht, die bewährten Seniorentreff-Angebote irgendwo anders unterzubringen. Zumindest einige Gruppen sollten weiter in vertrauter Runde ein wenig Französisch parlieren oder über Literatur diskutieren können. Tatsächlich hat Knopp einige Organisationen und Kirchengemeinden gefunden, die bereit waren, ihren Kursen, Chören, dem Literaturtreff und der Schreibwerkstatt ein neues Zuhause zu bieten und, falls es mit einem freien Raum nicht getan ist, auch noch jene Kosten zu übernehmen, die nicht durch die Teilnehmerbeiträge gedeckt werden. Das führt zu der einigermaßen skurrilen Situation, dass man sich in einem von der evangelischen Stadtmission getragenen Haus darüber freut, die eigenen Teilnehmer bald an einen katholischen Erwachsenenbildungsträgers abgegeben zu können. Ausgerechnet im protestantischen Nürnberg.

© SZ vom 26.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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