Nürnberg:Kultur für alle

Lesezeit: 3 min

Nürnberg bietet mit dem Bardentreffen und den Klassik-Open-Airs drei der größten Nulltarif-Konzerte an. Das gehört zum Konzept der Stadt, in der die Idee der "Soziokultur" geboren wurde

Von Claudia Henzler, Nürnberg

Freiluftkonzerte gibt es fast überall, ein Angebot wie in Nürnberg ist jedoch außergewöhnlich: das Weltmusikfestival "Bardentreffen", bei dem am vergangenen Wochenende mehr als 200 000 Besucher in die Altstadt kamen, dazu zwei Klassik-Abende in einem öffentlichen Park, die ebenfalls Massen anlocken. Nürnberg ist die Heimat von drei der größten Nulltarif-Konzerte unter freiem Himmel. Das ist kein Zufall, dahinter steckt der politische Anspruch einer Stadt, "die Menschen, egal welcher Herkunft, mit Kunstangeboten in Kontakt zu bringen", wie Nürnbergs Kulturreferentin Julia Lehner (CSU) sagt. Die Stadt habe mit den Großveranstaltungen gute Formate für solch einen niederschwelligen Zugang entwickelt. "Kulturelle Bildung darf ab und zu nichts kosten, um damit diese Teilhabe zu ermöglichen", sagt Lehner.

Dass dies tatsächlich gelingt, könne jeder beobachten, der sich bei den Klassik-Konzerten umschaut, sagt Andreas Radlmaier. Er leitet das Projektbüro im städtischen Kulturreferat, das die Musikevents organisiert. "Da ist die spanische Community genauso da wie die russische oder die türkische." Auch junge Leute, die vielleicht "eher Ambiente-affin sind als Klassik-affin", aber genau darum gehe es ja auch: Lust auf bisher Unbekanntes machen.

Zwischen 50 000 und 70 000 Zuhörer kommen pro Konzert in den Luitpoldhain, einen großen Park im Süden der Stadt. Sie bringen Kühltaschen mit, breiten Decken aus, stellen Klappstühle auf - oft schon Stunden vorher, denn die Freiluftkonzerte sind eine Mischung aus Picknickspaß und Hochkultur. Das Ergebnis ist aus Radlmaiers Sicht eine ganz besondere Atmosphäre. Auch Julia Lehner schwärmt vom "friedlichen Miteinander" dieses Großevents. Am kommenden Samstag wird das noch einmal zu erleben sein, wenn die Nürnberger Symphoniker unter ihrem neuen Chefdirigenten Kahchun Wong auftreten.

Viele Nürnberger sind stolz darauf, "den größten und grünsten Konzertsaal Europas" zu haben, wie auf einem Werbeplakat steht. Manche von ihnen können sogar richtig ärgerlich werden, wenn Trittbrettfahrer aus dem kostenlosen Angebot Profit schlagen wollen. So finden sich in den Nürnberger Zeitungen immer wieder wütende Leserbriefe, weil einzelne Unternehmen die Konzertkulisse nutzen, um Gäste gegen Bezahlung zu bewirten. Eine Praxis, die Radlmaier durch freundliche Ermahnungen zu beenden versucht.

Auch wenn das Bardentreffen in der Altstadt schon 1976 erfunden wurde und die Klassik-Konzerte erst im Jahr 2000, stehen sie in gewisser Weise in der Tradition eines sozialdemokratischen Kulturverständnisses, das vor 40 Jahren in Nürnberg wesentlich mitentwickelt wurde. Der damalige Kulturdezernent Hermann Glaser - er starb vor wenigen Wochen - hatte in den Siebzigerjahren für niederschwellige Kulturangebote geworben, die alle Bevölkerungsgruppen ansprechen. Seine Ideen wurden bundesweit unter dem Stichwort "Soziokultur" diskutiert und fanden zum Beispiel in den dezentralen Stadtteil-Kulturzentren einen sichtbaren Ausdruck. Julia Lehner, die heutige CSU-Kulturreferentin, wollte danach Grenzen zwischen Soziokultur und Hochkultur aufheben. Sie betont, dass sich die Veranstaltungen in großen Schritten weiterentwickelt hätten - und auch in Zukunft weiterentwickeln müssten, um für alle Bevölkerungsgruppen interessant zu bleiben. "Der Spiegel der Gesellschaft muss auf der Bühne und vor der Bühne sein."

Weltmusik vor toller Kulisse: Auf dem zentralen Hauptmarkt steht eine große Bühne beim Nürnberger Bardentreffen. (Foto: Uwe Niklas)

Waren beim Bardentreffen anfangs noch mittelalterliches Liedgut und politische Protestsongs zu hören, handelt es sich heute um ein internationales Musikfestival mit vielen Künstlern, die in ihren Heimatländern als Stars gelten. Die Idee zu den Klassik-Konzerten ist kurz vor der Jahrtausendwende entstanden, als Nürnberg einen großen Stadtgeburtstag plante. Sie kamen so gut an, dass sie fortgeführt wurden. Seit 2013 gibt es zusätzlich noch ein Familienkonzert.

Die beiden Nürnberger Symphonieorchester stellen sich dabei selbst zur Verfügung, die Stadt kümmert sich um die Logistik. Etwa drei Viertel der Kosten werden durch Sponsoren, Gastronomie und Spenden gedeckt. Beim Bardentreffen, das mit einem Budget von 420 000 Euro arbeitet, werden laut Radlmaier 50 Prozent der Ausgaben durch Sponsoren und andere Einnahmen ausgeglichen. Hinzu kommen nicht unbeachtliche Personalkosten, weil die Stadt acht Mitarbeiter ausschließlich für diese Festivals und einige andere Kulturevents beschäftigt, wie die "Blaue Nacht". Mehr als Hunderttausend Besucher ziehen alljährlich durch die Altstadt, wenn die Nürnberger Museen und Kultureinrichtungen in dieser Nacht ihre Türen öffnen und die Burg mit einer Videoinstallation illuminiert wird.

Im vergangenen Jahr hat eine Haushaltsumfrage der Stadt gezeigt, dass die großen Kulturevents von den Bürgern generationsübergreifend für gut befunden werden. Beim Bardentreffen kommt nach Radlmaiers Erkenntnissen fast 70 Prozent des Publikums aus der Metropolregion Nürnberg. Für das Klassik-Open-Air wird das in diesem Jahr mit einer Besucherumfrage erforscht.

© SZ vom 03.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: