Nürnberg:Ein Zuhause für Geschichte und Community

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Der Regensburger Unternehmer Waldemar Eisenbraun ist seit 2013 Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland. Er hat angekündigt, nach zwei Amtszeiten in diesem Jahr aufzuhören. (Foto: privat)

Das Los von Russlanddeutschen kennen nur wenige, und sie selbst fühlen sich oft fremd, sagt der Bundesvorsitzende

Interview von Claudia Henzler, Nürnberg

In seiner Regierungserklärung hat Ministerpräsident Markus Söder angekündigt, dass in Nürnberg ein Kulturzentrum für die Deutschen aus Russland entstehen soll. Die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland ist nun dabei, ein Konzept zu erarbeiten. Die SZ sprach darüber mit deren Bundesvorsitzenden Waldemar Eisenbraun aus Regensburg.

SZ: Die Landsmannschaft setzt sich seit Jahren für ein Kulturzentrum ein. Nun wird es kommen. Was genau soll dort passieren?

Waldemar Eisenbraun: Zum einen soll es sich an die breite Öffentlichkeit richten, zum anderen in die eigene Community hineinwirken, auch Kompetenzen vermitteln. Wir stellen fest, dass die einheimische Bevölkerung bis heute immer noch viel zu wenig über unsere Geschichte weiß, obwohl wir ein Teil der gesamtdeutschen Geschichte sind. Aber auch unsere eigenen Landsleute, die jüngere Generation, hat oft nur wenig mitbekommen, weil es die Großeltern nach dem Zweiten Weltkrieg und nach der Zwangsumsiedlung vorgezogen haben, nicht zu viel zu erzählen. Sie wissen oft gar nicht: Warum gingen die Leute damals nach Russland? Wie hat sich das entwickelt? Warum durften sie nicht wieder zurück? Da ist Aufklärungsarbeit nötig.

Denken Sie dabei an eine Ausstellung?

Unter anderem. Es sollen thematische Räume entstehen, in denen es zum Beispiel um die verschiedenen Zeiträume wie das Zarenreich und die Sowjetunion geht oder die Siedlungsgebiete vom Schwarzen Meer bis zum Kaukasus. Wir wollen in einem Raum auch Exponate zeigen, zum Beispiel alte Kirchenbücher oder Liederbücher. Aber es soll kein Museum sein, sondern eher einen kulturvermittelnden und erlebnisorientierten Charakter haben. Und selbstverständlich wird ein Teil multimedial aufbereitet sein, um junge Menschen und Schulklassen anzusprechen.

Das Zentrum wird sich also vor allem der Geschichte widmen?

Das ist nur ein Aspekt. Es gibt natürlich auch viel Bedarf, Talente zu fördern, etwa im Bereich Literatur und Musik. Uns schwebt vor, dass eine kleine Theatergruppe entstehen kann. Highlight des Kulturzentrums soll ein großer Saal mit Bühne werden, für Aufführungen, Konferenzen und große Veranstaltungen wie das Jahrestreffen der Wolgadeutschen. Wir haben bis jetzt keinerlei Räumlichkeiten dieser Art. Es wird eine Bibliothek geben und ein Archiv entstehen. Ein weiterer Aspekt wäre die Forschungsarbeit, denn es gibt so viel Material, das noch gar nicht wissenschaftlich erschlossen wurde.

Als Kultureinrichtung wollen Sie keine klassischen Integrationsangebote machen, trotzdem sprechen Sie von Kompetenzvermittlung. Was ist damit gemeint?

Wo wir Bedarf sehen, ist die sogenannte nachgeholte Integration. Für Menschen, die schon länger da sind, die aber noch keinen Kopf dafür hatten, sich mit bestimmten politischen Konstellationen zu befassen, weil sie zu sehr damit beschäftigt waren, hier auf die Beine zu kommen und ihre Kinder groß zu ziehen. Dass man sie abholt bei ihren Problemen und zeigt, wie es anders funktionieren kann, und hier noch mal politische Bildung leistet. Wichtig wäre uns auch, mediale Kompetenz zu vermitteln, dass die Menschen nicht alles glauben sollten, was sie im Internet lesen. Da gibt es bestimmte Entwicklungen, die wir so nicht hinnehmen können.

Studien zeigen, dass der Anteil der AfD-Wähler unter den Russlanddeutschen bundesweit nicht eklatant höher war als in der übrigen Bevölkerung. In Stadtteilen wie Nürnberg-Langwasser, wo besonders viele Russlanddeutsche leben, waren die Ergebnisse der AfD aber sehr hoch. Wie erklären Sie sich das?

Über Langwasser kann ich wenig sagen. Meine Vermutung ist, wenn ich die Ergebnisse landes- oder bundesweit anschaue: Es gibt einfach Gegenden, wo Menschen mit einer schwierigen Lebenssituation zusammenkommen. Es scheint, dass da die Anfälligkeit höher ist - und dabei denke ich jetzt durchaus an die neuen Bundesländer und damit an Gegenden, in denen es kaum Russlanddeutsche gibt. Ich wäre sehr vorsichtig mit gewissen Ableitungen. Es gibt bestimmte Bemühungen der AfD, vielleicht wirken sie in die russlanddeutsche Community hinein. Aber das ist alles spekulativ. Ich möchte das den Leuten nicht unterstellen und auch nicht sagen, dass jemand falsch oder unüberlegt wählt. Was wir als Verband erreichen wollen, ist dass die Wahlbeteiligung steigt. Es ist schade, wenn man dieses Privileg gar nicht nutzt.

Ein Fakt ist jedenfalls, dass die AfD diese Wählergruppe sehr umwirbt.

Das ist richtig. Und die anderen nicht. Diesen Vorwurf kann man auch sehr laut aussprechen: Die etablierten Parteien haben uns einfach vergessen. Sie haben sich nicht die Mühe gemacht, stärker in die Community hineinzuhorchen. Jetzt stellen wir fest, dass ein gewisses Umdenken stattfindet. Als Beispiel: Seit den letzten Landtagswahlen gibt es in fünf Bundesländern Beauftragte für Aussiedler. Das ist ein Novum, zuvor gab es das nur in Hessen. Nach den Landtagswahlen wurde jemand in Nordrhein-Westfalen benannt und in Niedersachsen. Jetzt hat's der Dr. Söder gemacht für Bayern. Und in Baden-Württemberg macht's der Innenminister. Das ist die Entwicklung, die Parteien haben die Zielgruppe wiederentdeckt.

Ein Ergebnis davon ist auch, dass Sie jetzt das Kulturzentrum bekommen.

Das würde ich so sehen, ja.

© SZ vom 30.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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