Nürnberg:Der große Kater ist vorbei

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Die neue "Haus der Wirtschaft" symbolisiert den enormen Aufschwung im lange kriselnden Ballungsraum Nürnberg-Fürth. Und die IHK verabschiedet mit Dirk von Vopelius einen unkonventionellen Präsidenten

Von Uwe Ritzer, Nürnberg

Seit 1560 residiert die Vertretung der Nürnberger Handels- und Kaufleute (und mit der Zeit auch der Industriellen) an einem Eck des Hauptmarktes, unterhalb der Kaiserburg und unmittelbar neben Rathaus und Sebalduskirche. Zentraler geht es kaum in der Stadt. Im Selbstverständnis der Wirtschaft im fränkischen Ballungsraum ist es ein selbstbewusster Standort. Entsprechend repräsentativ fällt das runderneuerte "Haus der Wirtschaft" aus, das dem Anspruch im Namen folgend mehr sein soll als das Hauptquartier der Industrie- und Handelskammer (IHK) Nürnberg für Mittelfranken.

Sechs Jahre lang wurde das Gebäude entkernt, umgebaut, modernisiert und erweitert, unterbrochen von anderthalb Jahren archäologischer Grabungen. Der Umbau allein hat an die 36 Millionen Euro gekostet; das gesamte Projekt etwa 60 Millionen, die Kosten für das Ausweichquartier eingerechnet. Als unlängst von dort die ersten Mitarbeiter zurück an das Hauptmarkt-Eck zogen, war das Haus noch eine Baustelle. Was man genauso von der IHK an sich und der mittelfränkischen Wirtschaft allgemein behaupten könnte.

Der Umbau des IKH-Gebäudes hat mindestens 36 Millionen Euro gekostet. (Foto: Olaf Przybilla)

Allerdings keineswegs in einem problematischen Sinne. Der Abschluss der Bauarbeiten fällt lediglich terminlich zusammen mit einem einschneidenden, personellen Wechsel an der Spitze der IHK, der 148 000 mittelfränkische Firmen angehören. Und er fällt in einen bislang ebenso erfolgeichen, wie gravierenden Umbruch der Wirtschaft im fränkischen Ballungsraum.

Nach wie vor gibt es große, kriselnde Unternehmen in und um Nürnberg. Allen voran die GfK, der ihr rasantes Wachstum vom regionalen zu einem der größten Markt- und Konsumforscher der Welt nicht verdaut hat und nun kräftig abgespeckt. Niemand weiß derzeit, wie viel von der Firma übrig bleiben wird, zu deren Gründern Ludwig Erhard gehörte, Wirtschaftsminister und Bundeskanzler in den Wirtschaftswunderjahren.

Doch der große Kater ist vorbei. Der Untergang von Grundig und Quelle, das gewaltige Schrumpfen von AEG oder Triumph Adler, der Wegfall von Zehntausenden Industrie-Arbeitsplätzen - Nürnberg, Fürth und das Umland haben sich von alledem prächtig erholt. Seit der Finanz- und Wirtschaftskrise vor zehn Jahren geht es stetig aufwärts. Beschäftigung und Einwohnerzahl wachsen, das Bruttoinlandsprodukt liegt deutlich über dem Bundesschnitt. Die Branchenvielfalt ist größer denn je und eine agile Start-up-Szene ist entstanden, befeuert durch eine blühende Hochschul- und Forschungslandschaft, die bekanntlich bald um eine neue Uni erweitert wird. Ausweislich ihrer Strukturdaten hat sich das einstige Krisengebiet Mittelfranken in die Top Ten der deutschen Wirtschaftsregionen vorgearbeitet; gar von einer "Aufsteigerregion" spricht und schreibt die IHK.

Dirk von Vopelius (links) gibt sein Amt als IHK-Chef ab, Nachfolger wird voraussichtlich Armin Zitzmann. (Foto: IHK)

"Wir haben eine sensationelle Entwicklung genommen, weil wir das Underdog-Gefühl und die Jammerkultur hinter uns gelassen haben", sagt Dirk von Vopelius, 64. "Mut, Optimismus und Siegermentalität" glaubt er zu spüren. Seinen selbstbewussten Tönen ging eine kleine Baustellenführung durch einen Teil der neuen IHK-Zentrale voraus, verbunden mit dem Fazit, dass es keine bessere Zeit gebe, um aufzuhören. Zumindest nicht für ihn.

Mit dem Bezug des Hauses geht auch die zehnjährige Amtszeit von Dirk von Vopelius als Präsident der IHK zu Ende. Davor war er bereits zehn Jahre lang Vizepräsident der größten und wichtigsten wirtschaftlichen Organisation in Franken. Insgesamt bringt es der Unternehmer, der im Alter von 25 Jahren den großelterlichen Bürofachhändler Schuster & Walther übernahm und zu einer Firmengruppe für Bürodienstleistungen ausbaute, auf 35 Jahre in einschlägigen Ehrenämtern. Er gehörte auf der Seite der Wirtschaft zu den Antreibern, die im Zusammenschluss weiter Teile Nordbayerns zur "Metropolregion Nürnberg" 2005 ein probates Instrument erkannten, um die traditionell fränkische Kleinstaaterei zu überwinden und sich in einer globalen Wirtschaftswelt gemeinsam zu positionieren.

Voraussichtlich wird die kürzlich neu gewählte Vollversammlung der Kammer an diesem Dienstag Armin Zitzmann, 59, zu Vopelius' Nachfolger wählen, den Vorstandsvorsitzenden der Nürnberger Versicherung. Dem Mittelständler folgt also ein Manager. Und Vopelius will sich fortan seinen Ehrenämtern in der Kultur widmen, als Vorsitzender der IHK-Kulturstiftung, der Nürnberger Symphoniker und der Freunde der Kunstakademie.

Mit ihm verabschiedet sich ein sehr politischer IHK-Chef, der es dennoch immer geschickt verstand, sich aus Partei- und Tagespolitik herauszuhalten. Ob es um die Integration von Flüchtlingen in Arbeitsmarkt und Gesellschaft ging, das Thema Frauen in Führungspositionen oder Ethik in der Wirtschaft - Dirk von Vopelius war ein unkonventioneller Sprecher der fränkischen Wirtschaft, der nicht zuletzt mit selbstverfassten Editorials in der IHK-Mitgliederzeitschrift WIM häufiger den Pfad unternehmerischer Standespolitik verließ. "Na und", sagt er beim Kaffee im Anschluss an den Rundgang durch das neue IHK-Domizil. "Die IHK ist eine Werte- und Verantwortungsgemeinschaft und keine Arbeitgeber-Kampfgruppe oder ein Arbeitgeber-Lobbyverein." Als "Brückenbauer zwischen Wirtschaft und Gesellschaft" habe er sich verstanden, sagt Vopelius. Als er 2010 als Nachfolger von Klaus Wübbenhorst sein Amt antrat, litt das Land noch unter den Ausläufern der Finanz- und der Wirtschaftskrise. "Das Vertrauen vieler Menschen in die wirtschaftlich handelnden Personen war verständlicherweise tief erschüttert", sagt er.

Mit der Initiative "Ehrbarer Kaufmann" wollte Vopelius dem etwas entgegensetzen, gegenseitiges Verständnis aufbauen, Gräben zwischen Wirtschaft und Gesellschaft überwinden. Oft halfen schon Kleinigkeiten. Statt sich etwa mit dem DGB weiter öffentlich über die Qualität der Ausbildung zu zanken, richteten Gewerkschaft und IHK eine gemeinsame Beschwerdestelle ein. Seither werden Probleme sachlich und weitgehend geräuschlos geklärt.

Zugutekam dem scheidenden IHK-Präsidenten sein verbindliches Auftreten, dem jede unangenehme Schneidigkeit abgeht. Und vor allem sein Netzwerk; es gibt in Franken vermutlich niemanden, der mit ähnlich vielen Entscheidungsträgern auch aus der Politik von Nürnbergs SPD-OB Ulrich Maly bis zu Ministerpräsident Markus Söder (CSU) vertrauensvolle Duz-Freundschaften pflegt wie Vopelius. Wie der designierte Nachfolger Armin Zitzmann sein Amt versteht und welche Schwerpunkte er setzen wird, will Zitzmann erst nach seiner Wahl verkünden. Damit öffnet auch der runderneuerte Stammsitz der Nürnberger Händler, Kaufleute und Industriellen seine Pforten. Vom 11. bis 14. März sind dort Tage der offenen Tür.

© SZ vom 03.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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