Spielzeugsoldaten! Gleich in einer der ersten Vitrinen steht ein Dutzend uniformierter Männchen. Als hätte der kleine Kronprinz Ludwig soeben noch in seiner Hohenschwangauer Kinderstube mit ihnen herumhantiert, ehe er zu seinen geliebten Fasanenwürsteln gerufen wurde.
Die farbigen Mantschgerln sind eine Mischung aus Zinnsoldaten und Playmobil-Figuren. Aus Holz und Pappmaschee gefertigt. Alle Nationen sind vertreten, Franzosen, Preußen, Österreicher und Bayern. So hat der spätere König Ludwig II. schon beim Spielen gelernt, mit welchem Gewand die diversen Armeen in die Schlacht zogen.
Ludwig II. hat tatsächlich mit ihnen gespielt", sagt Elisabeth von Hagenow, "es ist meine Lieblingsvitrine." Die promovierte Kunsthistorikern ist Leiterin des Projekts "Museum der bayerischen Könige", das am Freitag in Hohenschwangau zu Füßen der zwei Königsschlösser Neuschwanstein und Hohenschwangau eröffnet wurde.
Die Ausstellung im ehemaligen Grandhotel Alpenrose und dem benachbarten Jägerhaus soll die dritte Attraktion in dem Ort werden, der alljährlich von zwei Millionen Touristen überschwemmt wird. Nach einem ersten Rundgang darf mit Fug und Recht behauptet werden: Die Schau auf 1200 Quadratmeter bereichert das touristische Angebot erheblich.
Zu Hektik, Kitsch und Fotomotiven droben in den Schlössern gibt es jetzt unten am Ufer des Alpsees ein ernsthaftes Alternativprogramm; hier kann sich der Besucher ganz nach seinem Gusto über das bayerische Königshaus informieren. Und zwar nicht nur über den sogenannten Märchenkönig und seine wahnwitzigen Projekte, sondern über die gesamte Familie der Wittelsbacher.
Zudem darf der Besucher - ganz im Gegensatz zu den Führungen im Schloss - so lange bleiben und so tief schürfen wie er will. Kurzum: Das "Museum der bayerischen Könige" ist für historisch Interessierte schlichtweg Pflicht.
Die Idee zu dem Museum hatte Franz Herzog von Bayern. Ihn störte schon seit langem, dass die Geschichte seiner Familie ständig auf Ludwig II. reduziert wurde. 2008 startete der Wittelsbacher Ausgleichsfonds (WAF) die Gegenoffensive: Er nahm eine zweistellige Millionensumme in die Hand, restaurierte sein denkmalgeschütztes und Jahrzehnte ungenutztes ehemaliges Grandhotel Alpenrose mitsamt dem benachbarten Jägerhaus, krönte beide Gebäude mit einem High-Tech-Stahlgewölbe und ließ das Haus der Bayerischen Geschichte ein Konzept erstellen.
Das Ergebnis kann sich sehen lassen - in musealer, architektonischer und auch touristischer Hinsicht. Denn schon vor dem Museumsportal wird klar: Die Alpseestraße 27 ist eine der schönsten Adressen Bayerns. Höchste Zeit, dass sie wiederbelebt wird.
Das Berliner Architekturbüro Staab hat die Umgebung geschickt in ihre Pläne einbezogen: Wer das großzügige Museumsfoyer - ehemals der Speisesaal des Grandhotels - betritt, läuft gleichsam direkt in den Alpsee hinein; denn dieser spiegelt sich in der Rückwand des Raumes. Es ist nicht die einzige Stelle, an der das Museum mit einem Ausblick auf den See oder die zwei Schlösser überrascht.
Doch zunächst gilt es, das Palmenhaus zu bestaunen - ein nobler Raum, ganz in Blau gehalten, mit Steinboden-Mosaik, Kachelofen, Wandmalereien und einer Glasdecke. Hier will der WAF Empfänge, Vorträge und Symposien veranstalten.
Die Ausstellung selbst beginnt im Obergeschoss unter dem dreischiffigen Stahlgewölbe: Im Zentrum glänzt der "Saal der Könige" mit einem prächtigen Tafelaufsatz aus vergoldeter Bronze: Die 40 Einzelteile erzählen die Nibelungensage und stehen auf einem weißen Tisch, erstaunlicherweise vollkommen frei ohne störende Glasvitrine. Aber Vorsicht, wer den Schalen, Gefäßen und Kerzenständern zu nahe kommt, löst die Alarmanlage aus.
Im zweiten Schiff befindet sich der "begehbare Stammbaum", der die Geschichte einer der ältesten Dynastien Europas nacherzählt. Der Besucher kann die Darstellung sehr flott abschreiten. Oder er taucht an den Bildschirmen in die Datenbank ein, die die Lebensgeschichte jedes einzelnen Wittelsbachers erzählt.
Das dritte Schiff ist der schlichteste und genialste Teil des Museums: Ein 21 Meter breites Panoramafenster gibt linkerhand den Blick auf den Alpsee frei. In den verspiegelten Fensterrahmen erscheint gleichzeitig Schloss Hohenschwangau, obwohl dieses hoch droben rechts auf dem Berg steht. Ein optischer Trick, der zum Verweilen auf der Ruhebank geradezu zwingt.
Es ist die einzige Ruhebank im Touristendreieck Neuschwanstein-Hohenschwangau-Alpenrose, auf ihr kann man Kraft sammeln für die anspruchsvollen weiteren Themen-Kabinette. Diese behandeln die Bau- und Kunstpolitik, das Zeitalter der Technik, das Ende der Monarchie, die Ära des Nationalsozialismus, und - wenig überraschend - den Mythos Ludwig II. Viele Exponate stammen aus dem Magazin des WAF, einige aber auch aus Privatbesitz der königlichen Familie sowie aus dem sogenannten "Geheimen Hausarchiv".
Es ist das schönste Museum in ganz Deutschland", schwärmt Museumsleiterin Luitgard Löw. Ihre Begeisterung ist erklärbar: Zuvor war die habilitierte Archäologin und Volkskundlerin im Nordkap-Museum tätig. "Da haben wir Filzstiefel und Ölhäute ausgestellt, und jetzt kann ich den Georgiritter-Mantel zeigen, den Ludwig II. getragen hat."
Das Museum wird langfristig etwa 20 Mitarbeiter beschäftigen, es ist wohlgemerkt ein Privatmuseum, getragen vom WAF. "Das ist ein Draufzahlgeschäft", sagt Luitpold Prinz von Bayern. Dafür kann die Familie aber zeigen, was sie will: So wird in dem Museum auch deutlich demonstriert, dass die Wittelsbacher im Volke meist sehr beliebt waren: "Luitpold war der meistbeschenkte Monarch seiner Zeit", betont Elisabeth von Hagenow. Natürlich sind die kostbaren Präsente zahlreich ausgestellt.
Das Ende der bayerischen Monarchie wird symbolisiert durch das 326-teilige Service, das König Ludwig III. und Marie Therese von ihren neun Kindern im Februar 1918 zur Goldenen Hochzeit bekamen.
Jedes Geschirrteil zeigt ein anderes Motiv, mit dem das Ehepaar Erinnerungen verbindet. Die Einzelteile aus der Nymphenburger Porzellan-Manufaktur waren bislang nur einmal kurzfristig ausgestellt. Sie bedecken alle vier Wände bis unter die Decke. Dies zeigt das Ausmaß dieses Geschenkes - und die Realitätsferne der Familie; denn wenig später wurde Ludwig bei der Novemberrevolution als König für abgesetzt erklärt.
Sein Sohn, Kronprinz Rupprecht, musste nach Italien fliehen, als die Nazis die Macht übernommen hatten. Seine Familie wurden in Sippenhaft genommen und ins Konzentrationslager Flossenbürg gebracht. Dort lebten sie als "Sonderhäftlinge" in eigenen Häusern - die Häftlingsuniformen und die Armtätowierung blieb ihnen erspart. Aber sie blieben bis 1945 eingesperrt.
Die heute lebende Generation der Wittelsbacher meidet die Öffentlichkeit recht konsequent. In der Ausstellung äußern sich wenigstens die älteren Semester in Interviews. Später sollen auch die jüngeren Nachfahren zu Wort kommen. Ob, wann und wie diese Ankündigung umgesetzt wird, darf mit Spannung erwartet werden. Denn bislang geben sie sich ausnahmslos zurückhaltend.
Am Ende des Rundgangs erwartet den Besucher der obligatorische Museums-Shop. Das geplante Hotel ist dagegen noch nicht bezugsfertig. Dafür wird das Restaurant an diesem Samstag eröffnet. In der "Alpenrose am See" kredenzt Küchenchef Alexander Zimmermann unter anderem die Prinzregententorte. "Die hat neun Schichten - eine für jedes Kind von Ludwig I.", so Zimmermann. Zudem serviert er - nach Originalrezept von Leibkoch Johann Rottenhöfer - die Lieblingsspeise des Märchenkönigs: Fasanenwürstel.
Wissenswertes für Besucher:
Eintrittspreise: 8,50 Euro, ermäßigt 7 Euro. Kinder bis fünf Jahre frei. Es gibt Kombitickets mit den Schlössern.
Öffnungszeiten: täglich von 9 bis 18Uhr.
Führungen: 1,50 Euro zusätzlich. Fachspezifische Führungen - auch für Kinder und Schüler - werden angeboten.
Audioguides: in Deutsch und Englisch. Später sind sieben Sprachen geplant.